Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

fehlen, der darin bestand, den Punkt, wo sich der Orinoko mit
dem Rio Negro und dem Amazonenstrom verbindet, durch
astronomische Beobachtungen festzustellen. Wir gingen daher
von Barbula nach Guacara zurück, um uns von der achtungs-
würdigen Familie des Marques del Toro zu verabschieden
und noch drei Tage am Ufer des Sees zu verweilen.

Es war Fastnacht und der Jubel allgemein. Die Lustbar-
keiten, de carnes tollendas genannt, arteten zuweilen ein wenig
ins Rohe aus. Die einen führen einen mit Wasser beladenen
Esel herum, und wo ein Fenster offen ist, begießen sie das
Zimmer mit einer Spritze; andere haben Tüten voll Haare
der Picapica oder Dolichos pruriens in der Hand und blasen
das Haar, das auf der Haut ein heftiges Jucken verursacht,
den Vorübergehenden ins Gesicht.

Von Guacara gingen wir nach Nueva Valencia zurück.
Wir trafen da einige französische Ausgewanderte, die einzigen,
die wir in fünf Jahren in den spanischen Kolonieen gesehen.
Trotz der Blutsverwandtschaft zwischen den königlichen Fa-
milien von Frankreich und Spanien durften sich nicht einmal
die französischen Priester in diesen Teil der Neuen Welt flüchten,
wo der Mensch so leicht Unterhalt und Obdach findet. Jen-
seits des Ozeans boten allein die Vereinigten Staaten dem
Unglück eine Zufluchtsstätte. Eine Regierung, die stark, weil
frei, und vertrauensvoll, weil gerecht ist, brauchte sich nicht zu
scheuen, die Verbannten aufzunehmen.

Wir haben früher versucht, über den Zustand des Indigo-,
des Baumwollen- und Zuckerbaues in der Provinz Caracas
einige bestimmte Angaben zu machen. Ehe wir die Thäler
von Aragua und die benachbarten Küsten verlassen, haben
wir uns nur noch mit den Kakaopflanzungen zu beschäftigen,
die von jeher für die Hauptquelle des Wohlstandes dieser
Gegenden galten. Die Provinz Caracas (nicht die Capitania
general, also mit Ausschluß der Pflanzungen von Cumana,
in der Provinz Barcelona, in Maracaybo, in Varinas und
im spanischen Guyana) erzeugte am Schlusse des 18. Jahr-
hunderts jährlich 150000 Fanegas, von den 30000 in der
Provinz und 10000 in Spanien verzehrt wurden. Nimmt
man die Fanega, nach dem Marktpreise zu Cadiz, nur zu
25 Piastern an, so beträgt der Gesamtwert der Kakaoausfuhr
aus den sechs Häfen der Capitania general von Caracas
800000 Piaster.

Der Kakaobaum wächst gegenwärtig in den Wäldern von

fehlen, der darin beſtand, den Punkt, wo ſich der Orinoko mit
dem Rio Negro und dem Amazonenſtrom verbindet, durch
aſtronomiſche Beobachtungen feſtzuſtellen. Wir gingen daher
von Barbula nach Guacara zurück, um uns von der achtungs-
würdigen Familie des Marques del Toro zu verabſchieden
und noch drei Tage am Ufer des Sees zu verweilen.

Es war Faſtnacht und der Jubel allgemein. Die Luſtbar-
keiten, de carnes tollendas genannt, arteten zuweilen ein wenig
ins Rohe aus. Die einen führen einen mit Waſſer beladenen
Eſel herum, und wo ein Fenſter offen iſt, begießen ſie das
Zimmer mit einer Spritze; andere haben Tüten voll Haare
der Picapica oder Dolichos pruriens in der Hand und blaſen
das Haar, das auf der Haut ein heftiges Jucken verurſacht,
den Vorübergehenden ins Geſicht.

Von Guacara gingen wir nach Nueva Valencia zurück.
Wir trafen da einige franzöſiſche Ausgewanderte, die einzigen,
die wir in fünf Jahren in den ſpaniſchen Kolonieen geſehen.
Trotz der Blutsverwandtſchaft zwiſchen den königlichen Fa-
milien von Frankreich und Spanien durften ſich nicht einmal
die franzöſiſchen Prieſter in dieſen Teil der Neuen Welt flüchten,
wo der Menſch ſo leicht Unterhalt und Obdach findet. Jen-
ſeits des Ozeans boten allein die Vereinigten Staaten dem
Unglück eine Zufluchtsſtätte. Eine Regierung, die ſtark, weil
frei, und vertrauensvoll, weil gerecht iſt, brauchte ſich nicht zu
ſcheuen, die Verbannten aufzunehmen.

Wir haben früher verſucht, über den Zuſtand des Indigo-,
des Baumwollen- und Zuckerbaues in der Provinz Caracas
einige beſtimmte Angaben zu machen. Ehe wir die Thäler
von Aragua und die benachbarten Küſten verlaſſen, haben
wir uns nur noch mit den Kakaopflanzungen zu beſchäftigen,
die von jeher für die Hauptquelle des Wohlſtandes dieſer
Gegenden galten. Die Provinz Caracas (nicht die Capitania
general, alſo mit Ausſchluß der Pflanzungen von Cumana,
in der Provinz Barcelona, in Maracaybo, in Varinas und
im ſpaniſchen Guyana) erzeugte am Schluſſe des 18. Jahr-
hunderts jährlich 150000 Fanegas, von den 30000 in der
Provinz und 10000 in Spanien verzehrt wurden. Nimmt
man die Fanega, nach dem Marktpreiſe zu Cadiz, nur zu
25 Piaſtern an, ſo beträgt der Geſamtwert der Kakaoausfuhr
aus den ſechs Häfen der Capitania general von Caracas
800000 Piaſter.

Der Kakaobaum wächſt gegenwärtig in den Wäldern von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0257" n="249"/>
fehlen, der darin be&#x017F;tand, den Punkt, wo &#x017F;ich der Orinoko mit<lb/>
dem Rio Negro und dem Amazonen&#x017F;trom verbindet, durch<lb/>
a&#x017F;tronomi&#x017F;che Beobachtungen fe&#x017F;tzu&#x017F;tellen. Wir gingen daher<lb/>
von Barbula nach Guacara zurück, um uns von der achtungs-<lb/>
würdigen Familie des Marques del Toro zu verab&#x017F;chieden<lb/>
und noch drei Tage am Ufer des Sees zu verweilen.</p><lb/>
          <p>Es war Fa&#x017F;tnacht und der Jubel allgemein. Die Lu&#x017F;tbar-<lb/>
keiten, <hi rendition="#aq">de carnes tollendas</hi> genannt, arteten zuweilen ein wenig<lb/>
ins Rohe aus. Die einen führen einen mit Wa&#x017F;&#x017F;er beladenen<lb/>
E&#x017F;el herum, und wo ein Fen&#x017F;ter offen i&#x017F;t, begießen &#x017F;ie das<lb/>
Zimmer mit einer Spritze; andere haben Tüten voll Haare<lb/>
der Picapica oder <hi rendition="#aq">Dolichos pruriens</hi> in der Hand und bla&#x017F;en<lb/>
das Haar, das auf der Haut ein heftiges Jucken verur&#x017F;acht,<lb/>
den Vorübergehenden ins Ge&#x017F;icht.</p><lb/>
          <p>Von Guacara gingen wir nach Nueva Valencia zurück.<lb/>
Wir trafen da einige franzö&#x017F;i&#x017F;che Ausgewanderte, die einzigen,<lb/>
die wir in fünf Jahren in den &#x017F;pani&#x017F;chen Kolonieen ge&#x017F;ehen.<lb/>
Trotz der Blutsverwandt&#x017F;chaft zwi&#x017F;chen den königlichen Fa-<lb/>
milien von Frankreich und Spanien durften &#x017F;ich nicht einmal<lb/>
die franzö&#x017F;i&#x017F;chen Prie&#x017F;ter in die&#x017F;en Teil der Neuen Welt flüchten,<lb/>
wo der Men&#x017F;ch &#x017F;o leicht Unterhalt und Obdach findet. Jen-<lb/>
&#x017F;eits des Ozeans boten allein die Vereinigten Staaten dem<lb/>
Unglück eine Zufluchts&#x017F;tätte. Eine Regierung, die &#x017F;tark, weil<lb/>
frei, und vertrauensvoll, weil gerecht i&#x017F;t, brauchte &#x017F;ich nicht zu<lb/>
&#x017F;cheuen, die Verbannten aufzunehmen.</p><lb/>
          <p>Wir haben früher ver&#x017F;ucht, über den Zu&#x017F;tand des Indigo-,<lb/>
des Baumwollen- und Zuckerbaues in der Provinz Caracas<lb/>
einige be&#x017F;timmte Angaben zu machen. Ehe wir die Thäler<lb/>
von Aragua und die benachbarten Kü&#x017F;ten verla&#x017F;&#x017F;en, haben<lb/>
wir uns nur noch mit den Kakaopflanzungen zu be&#x017F;chäftigen,<lb/>
die von jeher für die Hauptquelle des Wohl&#x017F;tandes die&#x017F;er<lb/>
Gegenden galten. Die Provinz Caracas (nicht die Capitania<lb/>
general, al&#x017F;o mit Aus&#x017F;chluß der Pflanzungen von Cumana,<lb/>
in der Provinz Barcelona, in Maracaybo, in Varinas und<lb/>
im &#x017F;pani&#x017F;chen Guyana) erzeugte am Schlu&#x017F;&#x017F;e des 18. Jahr-<lb/>
hunderts jährlich 150000 Fanegas, von den 30000 in der<lb/>
Provinz und 10000 in Spanien verzehrt wurden. Nimmt<lb/>
man die Fanega, nach dem Marktprei&#x017F;e zu Cadiz, nur zu<lb/>
25 Pia&#x017F;tern an, &#x017F;o beträgt der Ge&#x017F;amtwert der Kakaoausfuhr<lb/>
aus den &#x017F;echs Häfen der Capitania general von Caracas<lb/>
800000 Pia&#x017F;ter.</p><lb/>
          <p>Der Kakaobaum wäch&#x017F;t gegenwärtig in den Wäldern von<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[249/0257] fehlen, der darin beſtand, den Punkt, wo ſich der Orinoko mit dem Rio Negro und dem Amazonenſtrom verbindet, durch aſtronomiſche Beobachtungen feſtzuſtellen. Wir gingen daher von Barbula nach Guacara zurück, um uns von der achtungs- würdigen Familie des Marques del Toro zu verabſchieden und noch drei Tage am Ufer des Sees zu verweilen. Es war Faſtnacht und der Jubel allgemein. Die Luſtbar- keiten, de carnes tollendas genannt, arteten zuweilen ein wenig ins Rohe aus. Die einen führen einen mit Waſſer beladenen Eſel herum, und wo ein Fenſter offen iſt, begießen ſie das Zimmer mit einer Spritze; andere haben Tüten voll Haare der Picapica oder Dolichos pruriens in der Hand und blaſen das Haar, das auf der Haut ein heftiges Jucken verurſacht, den Vorübergehenden ins Geſicht. Von Guacara gingen wir nach Nueva Valencia zurück. Wir trafen da einige franzöſiſche Ausgewanderte, die einzigen, die wir in fünf Jahren in den ſpaniſchen Kolonieen geſehen. Trotz der Blutsverwandtſchaft zwiſchen den königlichen Fa- milien von Frankreich und Spanien durften ſich nicht einmal die franzöſiſchen Prieſter in dieſen Teil der Neuen Welt flüchten, wo der Menſch ſo leicht Unterhalt und Obdach findet. Jen- ſeits des Ozeans boten allein die Vereinigten Staaten dem Unglück eine Zufluchtsſtätte. Eine Regierung, die ſtark, weil frei, und vertrauensvoll, weil gerecht iſt, brauchte ſich nicht zu ſcheuen, die Verbannten aufzunehmen. Wir haben früher verſucht, über den Zuſtand des Indigo-, des Baumwollen- und Zuckerbaues in der Provinz Caracas einige beſtimmte Angaben zu machen. Ehe wir die Thäler von Aragua und die benachbarten Küſten verlaſſen, haben wir uns nur noch mit den Kakaopflanzungen zu beſchäftigen, die von jeher für die Hauptquelle des Wohlſtandes dieſer Gegenden galten. Die Provinz Caracas (nicht die Capitania general, alſo mit Ausſchluß der Pflanzungen von Cumana, in der Provinz Barcelona, in Maracaybo, in Varinas und im ſpaniſchen Guyana) erzeugte am Schluſſe des 18. Jahr- hunderts jährlich 150000 Fanegas, von den 30000 in der Provinz und 10000 in Spanien verzehrt wurden. Nimmt man die Fanega, nach dem Marktpreiſe zu Cadiz, nur zu 25 Piaſtern an, ſo beträgt der Geſamtwert der Kakaoausfuhr aus den ſechs Häfen der Capitania general von Caracas 800000 Piaſter. Der Kakaobaum wächſt gegenwärtig in den Wäldern von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/257
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/257>, abgerufen am 27.04.2024.