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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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weilen selbst giftigen Safte verbunden. Der amerikanische
Wilde wie der auf den Inseln der Südsee hat das Satzmehl
durch Auspressen und Trennen vom Safte aussüßen gelernt.
In der Pflanzenmilch und den milchigen Emulsionen sind
äußerst nahrhafte Stoffe, Eiweiß, Käsestoff und Zucker mit
Kautschuk und ätzenden schädlichen Materien, wie Morphium
und Blausäure, verbunden. Dergleichen Mischungen sind
nicht nur nach den Familien, sondern sogar bei den Arten
derselben Gattung verschieden. Bald ist es das Morphium
oder der narkotische Grundstoff, was der Pflanzenmilch ihre
vorwiegende Eigenschaft gibt, wie bei manchen Mohnarten,
bald das Kautschuk, wie bei der Hevea und Castilloa, bald
Eiweiß und Käsestoff, wie beim Melonenbaum und Kuhbaum.

Die milchigen Gewächse gehören vorzugsweise den drei
Familien der Euphorbien, der Urticeen und der Apocyneen
an, und da ein Blick auf die Verteilung der Pflanzenbildungen
über den Erdball zeigt, daß diese drei Familien 1 in den Nie-
derungen der Tropenländer durch die zahlreichsten Arten ver-
treten sind, so müssen wir daraus schließen, daß eine sehr hohe
Temperatur zur Bildung von Kautschuk, Eiweiß und Käse-
stoff beiträgt. Der Saft des Palo de Vaca ist ohne Zweifel
das auffallendste Beispiel, daß nicht immer ein scharfer, schäd-
licher Stoff mit dem Eiweiß, dem Käsestoff und dem Kaut-
schuk verbunden ist; indessen kannte man in den Gattungen
Euphorbia und Asklepias, die sonst durch ihre ätzenden Eigen-
schaften bekannt sind, Arten, die einen milden, unschädlichen
Saft haben. Hierher gehört der Tubayba dulce der Kana-
rischen Inseln, von dem schon oben die Rede war, 2 und As-
clepias lactifera
auf Ceylon. Wie Burmann erzählt, bedient
man sich dort, in Ermangelung der Kuhmilch, der Milch der
letztgenannten Pflanze und kocht mit den Blättern derselben
die Speisen, die man sonst mit tierischer Milch zubereitet.
Es ist zu erwarten, daß ein Reisender, dem die gründlichsten

1 Nach diesen drei großen Familien kommen die Papaveraceae,
Chicoraceae, Lobeliaceae, Campanulaceae, Sapoteae
und Cucur-
bitaceae.
Die Blausäure ist der Gruppe der Rosaceae amygda-
laceae
eigentümlich. Bei den Monokotyledonen kommt ein Milchsaft
vor, aber die Fruchthülle der Palmen, die so süße und angenehme
Emulsionen gibt, enthält ohne Zweifel Käsestoff. Was ist die
Milch der Pilze?
2 Euphorbia balsamifera.

weilen ſelbſt giftigen Safte verbunden. Der amerikaniſche
Wilde wie der auf den Inſeln der Südſee hat das Satzmehl
durch Auspreſſen und Trennen vom Safte ausſüßen gelernt.
In der Pflanzenmilch und den milchigen Emulſionen ſind
äußerſt nahrhafte Stoffe, Eiweiß, Käſeſtoff und Zucker mit
Kautſchuk und ätzenden ſchädlichen Materien, wie Morphium
und Blauſäure, verbunden. Dergleichen Miſchungen ſind
nicht nur nach den Familien, ſondern ſogar bei den Arten
derſelben Gattung verſchieden. Bald iſt es das Morphium
oder der narkotiſche Grundſtoff, was der Pflanzenmilch ihre
vorwiegende Eigenſchaft gibt, wie bei manchen Mohnarten,
bald das Kautſchuk, wie bei der Hevea und Castilloa, bald
Eiweiß und Käſeſtoff, wie beim Melonenbaum und Kuhbaum.

Die milchigen Gewächſe gehören vorzugsweiſe den drei
Familien der Euphorbien, der Urticeen und der Apocyneen
an, und da ein Blick auf die Verteilung der Pflanzenbildungen
über den Erdball zeigt, daß dieſe drei Familien 1 in den Nie-
derungen der Tropenländer durch die zahlreichſten Arten ver-
treten ſind, ſo müſſen wir daraus ſchließen, daß eine ſehr hohe
Temperatur zur Bildung von Kautſchuk, Eiweiß und Käſe-
ſtoff beiträgt. Der Saft des Palo de Vaca iſt ohne Zweifel
das auffallendſte Beiſpiel, daß nicht immer ein ſcharfer, ſchäd-
licher Stoff mit dem Eiweiß, dem Käſeſtoff und dem Kaut-
ſchuk verbunden iſt; indeſſen kannte man in den Gattungen
Euphorbia und Asklepias, die ſonſt durch ihre ätzenden Eigen-
ſchaften bekannt ſind, Arten, die einen milden, unſchädlichen
Saft haben. Hierher gehört der Tubayba dulce der Kana-
riſchen Inſeln, von dem ſchon oben die Rede war, 2 und As-
clepias lactifera
auf Ceylon. Wie Burmann erzählt, bedient
man ſich dort, in Ermangelung der Kuhmilch, der Milch der
letztgenannten Pflanze und kocht mit den Blättern derſelben
die Speiſen, die man ſonſt mit tieriſcher Milch zubereitet.
Es iſt zu erwarten, daß ein Reiſender, dem die gründlichſten

1 Nach dieſen drei großen Familien kommen die Papaveraceae,
Chicoraceae, Lobeliaceae, Campanulaceae, Sapoteae
und Cucur-
bitaceae.
Die Blauſäure iſt der Gruppe der Rosaceae amygda-
laceae
eigentümlich. Bei den Monokotyledonen kommt ein Milchſaft
vor, aber die Fruchthülle der Palmen, die ſo ſüße und angenehme
Emulſionen gibt, enthält ohne Zweifel Käſeſtoff. Was iſt die
Milch der Pilze?
2 Euphorbia balsamifera.
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[244/0252] weilen ſelbſt giftigen Safte verbunden. Der amerikaniſche Wilde wie der auf den Inſeln der Südſee hat das Satzmehl durch Auspreſſen und Trennen vom Safte ausſüßen gelernt. In der Pflanzenmilch und den milchigen Emulſionen ſind äußerſt nahrhafte Stoffe, Eiweiß, Käſeſtoff und Zucker mit Kautſchuk und ätzenden ſchädlichen Materien, wie Morphium und Blauſäure, verbunden. Dergleichen Miſchungen ſind nicht nur nach den Familien, ſondern ſogar bei den Arten derſelben Gattung verſchieden. Bald iſt es das Morphium oder der narkotiſche Grundſtoff, was der Pflanzenmilch ihre vorwiegende Eigenſchaft gibt, wie bei manchen Mohnarten, bald das Kautſchuk, wie bei der Hevea und Castilloa, bald Eiweiß und Käſeſtoff, wie beim Melonenbaum und Kuhbaum. Die milchigen Gewächſe gehören vorzugsweiſe den drei Familien der Euphorbien, der Urticeen und der Apocyneen an, und da ein Blick auf die Verteilung der Pflanzenbildungen über den Erdball zeigt, daß dieſe drei Familien 1 in den Nie- derungen der Tropenländer durch die zahlreichſten Arten ver- treten ſind, ſo müſſen wir daraus ſchließen, daß eine ſehr hohe Temperatur zur Bildung von Kautſchuk, Eiweiß und Käſe- ſtoff beiträgt. Der Saft des Palo de Vaca iſt ohne Zweifel das auffallendſte Beiſpiel, daß nicht immer ein ſcharfer, ſchäd- licher Stoff mit dem Eiweiß, dem Käſeſtoff und dem Kaut- ſchuk verbunden iſt; indeſſen kannte man in den Gattungen Euphorbia und Asklepias, die ſonſt durch ihre ätzenden Eigen- ſchaften bekannt ſind, Arten, die einen milden, unſchädlichen Saft haben. Hierher gehört der Tubayba dulce der Kana- riſchen Inſeln, von dem ſchon oben die Rede war, 2 und As- clepias lactifera auf Ceylon. Wie Burmann erzählt, bedient man ſich dort, in Ermangelung der Kuhmilch, der Milch der letztgenannten Pflanze und kocht mit den Blättern derſelben die Speiſen, die man ſonſt mit tieriſcher Milch zubereitet. Es iſt zu erwarten, daß ein Reiſender, dem die gründlichſten 1 Nach dieſen drei großen Familien kommen die Papaveraceae, Chicoraceae, Lobeliaceae, Campanulaceae, Sapoteae und Cucur- bitaceae. Die Blauſäure iſt der Gruppe der Rosaceae amygda- laceae eigentümlich. Bei den Monokotyledonen kommt ein Milchſaft vor, aber die Fruchthülle der Palmen, die ſo ſüße und angenehme Emulſionen gibt, enthält ohne Zweifel Käſeſtoff. Was iſt die Milch der Pilze? 2 Euphorbia balsamifera.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/252>, abgerufen am 27.04.2024.