und Ohio fast unaufhörlich. Im Osten der Alleghanies waren die Schwingungen schwächer als im Westen, in Tennessee und Kentucky. Sie waren von einem starken unterirdischen Getöse begleitet, das von Südwest herkam. Auf einigen Punkten zwischen Neumadrid und Little Prairie, wie beim Salzwerk nördlich von Cincinnati unter 34° 45' der Breite, spürte man mehrere Monate lang täglich, ja fast stündlich Erdstöße. Sie dauerten im ganzen vom 16. Dezember 1811 bis ins Jahr 1813. Die Stöße waren anfangs auf den Süden, auf das untere Mississippithal beschränkt, schienen sich aber allmählich gegen Norden fortzupflanzen.
Um dieselbe Zeit nun, wo in den Staaten jenseits der Alleghanies diese lange Reihe von Erderschütterungen anhob, im Dezember 1811, spürte man in der Stadt Caracas den ersten Erdstoß bei stiller, heiterer Luft. Dieses Zusammen- treffen war schwerlich ein zufälliges, denn man muß bedenken, daß, so weit auch die betreffenden Länder auseinander liegen, die Niederungen von Louisiana und die Küsten von Venezuela und Cumana demselben Becken, dem Meere der Antillen, angehören. Dieses Mittelmeer mit mehreren Aus- gängen ist von Südost nach Nordwest gerichtet, und es scheint sich früher über die weiten, allmählich 58,95 und 156 m über das Meer ansteigenden, aus sekundären Gebirgsarten bestehenden, vom Ohio, Missouri, Arkansas und Mississippi durchströmten Ebenen forterstreckt zu haben. Aus geologischem Gesichtspunkte betrachtet, erscheinen als Begrenzung des See- beckens der Antillen und des Meerbusens von Mexiko im Süden die Küstenbergkette von Venezuela und die Kordilleren von Merida und Pamplona, im Osten die Gebirge der An- tillen und die Alleghanies, im Westen die Anden von Mexiko und die Rocky Mountains, im Norden die unbedeutenden Höhenzüge zwischen den kanadischen Seen und den Neben- flüssen des Mississippi. Ueber zwei Dritteile dieses Beckens sind mit Wasser bedeckt. Zwei Reihen thätiger Vulkane fassen es ein: ostwärts auf den Kleinen Antillen, zwischen dem 13. und 16. Grad der Breite, westwärts in den Kordilleren von Nicaragua, Guatemala und Mexiko, zwischen dem 11. und 20. Grad. Bedenkt man, daß das große Erdbeben von Lissabon am 1. November 1755 fast im selben Augenblick an der Küste von Schweden, am Ontariosee und auf Martinique gespürt wurde, so kann die Annahme nicht zu keck erscheinen, daß das ganze Becken der Antillen von Cumana und Caracas bis zu
und Ohio faſt unaufhörlich. Im Oſten der Alleghanies waren die Schwingungen ſchwächer als im Weſten, in Tenneſſee und Kentucky. Sie waren von einem ſtarken unterirdiſchen Getöſe begleitet, das von Südweſt herkam. Auf einigen Punkten zwiſchen Neumadrid und Little Prairie, wie beim Salzwerk nördlich von Cincinnati unter 34° 45′ der Breite, ſpürte man mehrere Monate lang täglich, ja faſt ſtündlich Erdſtöße. Sie dauerten im ganzen vom 16. Dezember 1811 bis ins Jahr 1813. Die Stöße waren anfangs auf den Süden, auf das untere Miſſiſſippithal beſchränkt, ſchienen ſich aber allmählich gegen Norden fortzupflanzen.
Um dieſelbe Zeit nun, wo in den Staaten jenſeits der Alleghanies dieſe lange Reihe von Erderſchütterungen anhob, im Dezember 1811, ſpürte man in der Stadt Caracas den erſten Erdſtoß bei ſtiller, heiterer Luft. Dieſes Zuſammen- treffen war ſchwerlich ein zufälliges, denn man muß bedenken, daß, ſo weit auch die betreffenden Länder auseinander liegen, die Niederungen von Louiſiana und die Küſten von Venezuela und Cumana demſelben Becken, dem Meere der Antillen, angehören. Dieſes Mittelmeer mit mehreren Aus- gängen iſt von Südoſt nach Nordweſt gerichtet, und es ſcheint ſich früher über die weiten, allmählich 58,95 und 156 m über das Meer anſteigenden, aus ſekundären Gebirgsarten beſtehenden, vom Ohio, Miſſouri, Arkanſas und Miſſiſſippi durchſtrömten Ebenen forterſtreckt zu haben. Aus geologiſchem Geſichtspunkte betrachtet, erſcheinen als Begrenzung des See- beckens der Antillen und des Meerbuſens von Mexiko im Süden die Küſtenbergkette von Venezuela und die Kordilleren von Merida und Pamplona, im Oſten die Gebirge der An- tillen und die Alleghanies, im Weſten die Anden von Mexiko und die Rocky Mountains, im Norden die unbedeutenden Höhenzüge zwiſchen den kanadiſchen Seen und den Neben- flüſſen des Miſſiſſippi. Ueber zwei Dritteile dieſes Beckens ſind mit Waſſer bedeckt. Zwei Reihen thätiger Vulkane faſſen es ein: oſtwärts auf den Kleinen Antillen, zwiſchen dem 13. und 16. Grad der Breite, weſtwärts in den Kordilleren von Nicaragua, Guatemala und Mexiko, zwiſchen dem 11. und 20. Grad. Bedenkt man, daß das große Erdbeben von Liſſabon am 1. November 1755 faſt im ſelben Augenblick an der Küſte von Schweden, am Ontarioſee und auf Martinique geſpürt wurde, ſo kann die Annahme nicht zu keck erſcheinen, daß das ganze Becken der Antillen von Cumana und Caracas bis zu
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und Ohio faſt unaufhörlich. Im Oſten der Alleghanies waren
die Schwingungen ſchwächer als im Weſten, in Tenneſſee und
Kentucky. Sie waren von einem ſtarken unterirdiſchen Getöſe
begleitet, das von Südweſt herkam. Auf einigen Punkten
zwiſchen Neumadrid und Little Prairie, wie beim Salzwerk
nördlich von Cincinnati unter 34° 45′ der Breite, ſpürte man
mehrere Monate lang täglich, ja faſt ſtündlich Erdſtöße. Sie
dauerten im ganzen vom 16. Dezember 1811 bis ins Jahr
1813. Die Stöße waren anfangs auf den Süden, auf das
untere Miſſiſſippithal beſchränkt, ſchienen ſich aber allmählich
gegen Norden fortzupflanzen.
Um dieſelbe Zeit nun, wo in den Staaten jenſeits der
Alleghanies dieſe lange Reihe von Erderſchütterungen anhob,
im Dezember 1811, ſpürte man in der Stadt Caracas den
erſten Erdſtoß bei ſtiller, heiterer Luft. Dieſes Zuſammen-
treffen war ſchwerlich ein zufälliges, denn man muß bedenken,
daß, ſo weit auch die betreffenden Länder auseinander liegen,
die Niederungen von Louiſiana und die Küſten von Venezuela
und Cumana demſelben Becken, dem Meere der Antillen,
angehören. Dieſes Mittelmeer mit mehreren Aus-
gängen iſt von Südoſt nach Nordweſt gerichtet, und es
ſcheint ſich früher über die weiten, allmählich 58,95 und 156 m
über das Meer anſteigenden, aus ſekundären Gebirgsarten
beſtehenden, vom Ohio, Miſſouri, Arkanſas und Miſſiſſippi
durchſtrömten Ebenen forterſtreckt zu haben. Aus geologiſchem
Geſichtspunkte betrachtet, erſcheinen als Begrenzung des See-
beckens der Antillen und des Meerbuſens von Mexiko im
Süden die Küſtenbergkette von Venezuela und die Kordilleren
von Merida und Pamplona, im Oſten die Gebirge der An-
tillen und die Alleghanies, im Weſten die Anden von Mexiko
und die Rocky Mountains, im Norden die unbedeutenden
Höhenzüge zwiſchen den kanadiſchen Seen und den Neben-
flüſſen des Miſſiſſippi. Ueber zwei Dritteile dieſes Beckens
ſind mit Waſſer bedeckt. Zwei Reihen thätiger Vulkane faſſen
es ein: oſtwärts auf den Kleinen Antillen, zwiſchen dem 13.
und 16. Grad der Breite, weſtwärts in den Kordilleren von
Nicaragua, Guatemala und Mexiko, zwiſchen dem 11. und
20. Grad. Bedenkt man, daß das große Erdbeben von Liſſabon
am 1. November 1755 faſt im ſelben Augenblick an der Küſte
von Schweden, am Ontarioſee und auf Martinique geſpürt
wurde, ſo kann die Annahme nicht zu keck erſcheinen, daß das
ganze Becken der Antillen von Cumana und Caracas bis zu
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/160>, abgerufen am 16.07.2024.
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