Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.nördlichen Europa überall vorkommt, bedeckte die Zweige der Es war 41/2 Uhr abends, als wir mit unseren Beob- A. v. Humboldt, Reise. II. 10
nördlichen Europa überall vorkommt, bedeckte die Zweige der Es war 4½ Uhr abends, als wir mit unſeren Beob- A. v. Humboldt, Reiſe. II. 10
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0153" n="145"/> nördlichen Europa überall vorkommt, bedeckte die Zweige der<lb/> Befaria und der <hi rendition="#aq">Gaultheria odorata,</hi> und hing bis zur<lb/> Wurzel der Geſträuche nieder. Während ich die Mooſe unter-<lb/> ſuchte, welche den Gneis im Grunde zwiſchen beiden Gipfeln<lb/> überziehen, fand ich zu meiner Ueberraſchung echte Geſchiebe,<lb/> gerollte Quarzſtücke. Man ſieht leicht ein, daß das Thal<lb/> von Caracas einmal ein Landſee ſein kann, ehe der Guayre-<lb/> fluß gegen Oſt bei Caurimare, am Fuße des Hügels Auyamas<lb/> durchbrach, und ehe die Tijeſchlucht ſich nach Weſt gegen Catia<lb/> und Cabo Blanco zu geöffnet hatte; aber wie könnte das<lb/> Waſſer je bis zum Fuße des Sillagipfels geſtiegen ſein, da<lb/> die dieſem Gipfel gegenüberliegenden Berge von Ocumare ſo<lb/> niedrig ſind, daß das Waſſer über ſie in die Llanos hätte<lb/> abfließen müſſen? Die Geſchiebe können nicht von höheren<lb/> Punkten hergeſchwemmt ſein, weil keine Höhe ringsum die<lb/> Silla überragt. Soll man annehmen, daß ſie mit der ganzen<lb/> Bergkette längs des Meeresufers emporgehoben worden ſind?</p><lb/> <p>Es war 4½ Uhr abends, als wir mit unſeren Beob-<lb/> achtungen fertig waren. In der Freude über den glücklichen<lb/> Erfolg unſerer Reiſe dachten wir nicht daran, daß der Weg<lb/> abwärts im Finſtern über ſteile, mit kurzem glatten Raſen<lb/> bedeckte Abhänge gefährlich ſein könnte. Wegen des Nebels<lb/> konnten wir nicht in das Thal hinunterſehen; wir ſahen aber<lb/> deutlich den Doppelhügel der Puerta, und derſelbe erſchien,<lb/> wie immer die Gegenſtände, die faſt ſenkrecht unter einem<lb/> liegen, ganz auffallend nahe gerückt. Wir gaben den Ge-<lb/> danken auf, zwiſchen den beiden Gipfeln der Silla zu über-<lb/> nachten, und nachdem wir den Weg wieder gefunden, den wir<lb/> uns im Heraufſteigen durch den dichten Helikonienbuſch ge-<lb/> bahnt, kamen wir in den Pejual, in die Region der wohl-<lb/> riechenden und harzigen Sträucher. Die herrlichen Befarien,<lb/> ihre mit großen Purpurblüten bedeckten Zweige nahmen uns<lb/> wieder ganz in Anſpruch. Wenn man in dieſen Erdſtrichen<lb/> Pflanzen für Herbarien ſammelt, iſt man um ſo wähleriſcher,<lb/> je üppiger die Vegetation iſt. Man wirft Zweige, die man<lb/> eben abgeſchnitten, wieder weg, weil ſie einem nicht ſo ſchön<lb/> vorkommen als Zweige, die man nicht erreichen konnte. Wen-<lb/> det man endlich, mit Pflanzen beladen, dem Buſchwerk den<lb/> Rücken, ſo will es einen faſt reuen, daß man nicht noch mehr<lb/> mitgenommen. Wir hielten uns ſo lange im Pejual auf,<lb/> daß die Nacht uns überraſchte, ehe wir in 1750 <hi rendition="#aq">m</hi> Höhe die<lb/> Savanne betraten.</p><lb/> <fw place="bottom" type="sig">A. v. <hi rendition="#g">Humboldt</hi>, Reiſe. <hi rendition="#aq">II.</hi> 10</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [145/0153]
nördlichen Europa überall vorkommt, bedeckte die Zweige der
Befaria und der Gaultheria odorata, und hing bis zur
Wurzel der Geſträuche nieder. Während ich die Mooſe unter-
ſuchte, welche den Gneis im Grunde zwiſchen beiden Gipfeln
überziehen, fand ich zu meiner Ueberraſchung echte Geſchiebe,
gerollte Quarzſtücke. Man ſieht leicht ein, daß das Thal
von Caracas einmal ein Landſee ſein kann, ehe der Guayre-
fluß gegen Oſt bei Caurimare, am Fuße des Hügels Auyamas
durchbrach, und ehe die Tijeſchlucht ſich nach Weſt gegen Catia
und Cabo Blanco zu geöffnet hatte; aber wie könnte das
Waſſer je bis zum Fuße des Sillagipfels geſtiegen ſein, da
die dieſem Gipfel gegenüberliegenden Berge von Ocumare ſo
niedrig ſind, daß das Waſſer über ſie in die Llanos hätte
abfließen müſſen? Die Geſchiebe können nicht von höheren
Punkten hergeſchwemmt ſein, weil keine Höhe ringsum die
Silla überragt. Soll man annehmen, daß ſie mit der ganzen
Bergkette längs des Meeresufers emporgehoben worden ſind?
Es war 4½ Uhr abends, als wir mit unſeren Beob-
achtungen fertig waren. In der Freude über den glücklichen
Erfolg unſerer Reiſe dachten wir nicht daran, daß der Weg
abwärts im Finſtern über ſteile, mit kurzem glatten Raſen
bedeckte Abhänge gefährlich ſein könnte. Wegen des Nebels
konnten wir nicht in das Thal hinunterſehen; wir ſahen aber
deutlich den Doppelhügel der Puerta, und derſelbe erſchien,
wie immer die Gegenſtände, die faſt ſenkrecht unter einem
liegen, ganz auffallend nahe gerückt. Wir gaben den Ge-
danken auf, zwiſchen den beiden Gipfeln der Silla zu über-
nachten, und nachdem wir den Weg wieder gefunden, den wir
uns im Heraufſteigen durch den dichten Helikonienbuſch ge-
bahnt, kamen wir in den Pejual, in die Region der wohl-
riechenden und harzigen Sträucher. Die herrlichen Befarien,
ihre mit großen Purpurblüten bedeckten Zweige nahmen uns
wieder ganz in Anſpruch. Wenn man in dieſen Erdſtrichen
Pflanzen für Herbarien ſammelt, iſt man um ſo wähleriſcher,
je üppiger die Vegetation iſt. Man wirft Zweige, die man
eben abgeſchnitten, wieder weg, weil ſie einem nicht ſo ſchön
vorkommen als Zweige, die man nicht erreichen konnte. Wen-
det man endlich, mit Pflanzen beladen, dem Buſchwerk den
Rücken, ſo will es einen faſt reuen, daß man nicht noch mehr
mitgenommen. Wir hielten uns ſo lange im Pejual auf,
daß die Nacht uns überraſchte, ehe wir in 1750 m Höhe die
Savanne betraten.
A. v. Humboldt, Reiſe. II. 10
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