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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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Erdfläche überblickt, so groß als ein Vierteil von Frankreich.
Der scheinbare Meereshorizont liegt dort 27 km weiter ab
als auf der Silla, und doch sahen wir dort den Horizont,
wenigstens eine Zeitlang, sehr deutlich. Er war scharf be-
grenzt und verschwamm nicht mit den anstoßenden Luftschichten.
Auf der Silla, die um 1070 m niedriger ist als der Pik von
Tenerifa, konnten wir den näher gerückten Horizont gegen
Nord und Nord-Nord-Ost nicht sehen. Blickten wir über die
Meeresfläche weg, die einem Spiegel glich, so fiel uns auf,
wie das reflektierte Licht in steigendem Verhältnis abnahm.
Wo die Gesichtslinie die äußerste Grenze der Fläche streift,
verschwamm das Wasser mit den darüber gelagerten Luft-
schichten. Dieser Anblick hat etwas sehr Auffallendes. Man
erwartet den Horizont im Niveau des Auges zu sehen, und
statt daß man in dieser Höhe eine scharfe Grenze zwischen
den beiden Elementen bemerkte, schienen die fernsten Wasser-
schichten sich in Dunst aufzulösen und mit dem Luftozean zu
mischen. Dasselbe beobachtete ich, nicht an einem einzigen
Stück des Horizontes, sondern auf einer Strecke von mehr als
160°, am Ufer der Südsee, als ich zum erstenmal auf dem
spitzen Felsen über dem Krater der Pichincha stand, eines Vul-
kanes, der höher ist als der Montblanc. Ob ein sehr ferner
Horizont sichtbar ist oder nicht, das hängt von zwei ver-
schiedenen Momenten ab, von der Lichtmenge, welche der Teil
des Ozeans empfängt, auf den die Gesichtslinie zuläuft, und
von der Schwächung, die das reflektierte Licht bei seinem
Durchgange durch die dazwischen liegenden Luftschichten erleidet.
Trotz des heiteren Himmels und der durchsichtigen Luft kann
die See in der Entfernung von 170 bis 180 km schwach
beleuchtet sein, oder die Luftschichten zunächst der Oberfläche
können das Licht bedeutend schwächen, indem sie die durch-
gehenden Strahlen absorbieren.

Selbst vorausgesetzt, die Refraktion äußere gar keinen
Einfluß, sollte man auf dem Gipfel der Silla bei schönem
Wetter die Inseln Tortuga, Orchila, Roques und Aves sehen,
von denen die nächsten 112,5 km entfernt sind. Wir sahen
keine derselben, sei es nun wegen des Zustandes der Luft,
oder weil die Zeit, die wir bei heiterem Himmel dazu ver-
wenden konnten, die Inseln zu suchen, nicht lang genug war.
Ein unterrichteter Seemann, der den Berg mit uns hatte
besteigen wollen, Don Miguel Areche, versicherte uns, die
Silla bei den Salzklippen an der Roca de Fuera, unter

Erdfläche überblickt, ſo groß als ein Vierteil von Frankreich.
Der ſcheinbare Meereshorizont liegt dort 27 km weiter ab
als auf der Silla, und doch ſahen wir dort den Horizont,
wenigſtens eine Zeitlang, ſehr deutlich. Er war ſcharf be-
grenzt und verſchwamm nicht mit den anſtoßenden Luftſchichten.
Auf der Silla, die um 1070 m niedriger iſt als der Pik von
Tenerifa, konnten wir den näher gerückten Horizont gegen
Nord und Nord-Nord-Oſt nicht ſehen. Blickten wir über die
Meeresfläche weg, die einem Spiegel glich, ſo fiel uns auf,
wie das reflektierte Licht in ſteigendem Verhältnis abnahm.
Wo die Geſichtslinie die äußerſte Grenze der Fläche ſtreift,
verſchwamm das Waſſer mit den darüber gelagerten Luft-
ſchichten. Dieſer Anblick hat etwas ſehr Auffallendes. Man
erwartet den Horizont im Niveau des Auges zu ſehen, und
ſtatt daß man in dieſer Höhe eine ſcharfe Grenze zwiſchen
den beiden Elementen bemerkte, ſchienen die fernſten Waſſer-
ſchichten ſich in Dunſt aufzulöſen und mit dem Luftozean zu
miſchen. Dasſelbe beobachtete ich, nicht an einem einzigen
Stück des Horizontes, ſondern auf einer Strecke von mehr als
160°, am Ufer der Südſee, als ich zum erſtenmal auf dem
ſpitzen Felſen über dem Krater der Pichincha ſtand, eines Vul-
kanes, der höher iſt als der Montblanc. Ob ein ſehr ferner
Horizont ſichtbar iſt oder nicht, das hängt von zwei ver-
ſchiedenen Momenten ab, von der Lichtmenge, welche der Teil
des Ozeans empfängt, auf den die Geſichtslinie zuläuft, und
von der Schwächung, die das reflektierte Licht bei ſeinem
Durchgange durch die dazwiſchen liegenden Luftſchichten erleidet.
Trotz des heiteren Himmels und der durchſichtigen Luft kann
die See in der Entfernung von 170 bis 180 km ſchwach
beleuchtet ſein, oder die Luftſchichten zunächſt der Oberfläche
können das Licht bedeutend ſchwächen, indem ſie die durch-
gehenden Strahlen abſorbieren.

Selbſt vorausgeſetzt, die Refraktion äußere gar keinen
Einfluß, ſollte man auf dem Gipfel der Silla bei ſchönem
Wetter die Inſeln Tortuga, Orchila, Roques und Aves ſehen,
von denen die nächſten 112,5 km entfernt ſind. Wir ſahen
keine derſelben, ſei es nun wegen des Zuſtandes der Luft,
oder weil die Zeit, die wir bei heiterem Himmel dazu ver-
wenden konnten, die Inſeln zu ſuchen, nicht lang genug war.
Ein unterrichteter Seemann, der den Berg mit uns hatte
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[140/0148] Erdfläche überblickt, ſo groß als ein Vierteil von Frankreich. Der ſcheinbare Meereshorizont liegt dort 27 km weiter ab als auf der Silla, und doch ſahen wir dort den Horizont, wenigſtens eine Zeitlang, ſehr deutlich. Er war ſcharf be- grenzt und verſchwamm nicht mit den anſtoßenden Luftſchichten. Auf der Silla, die um 1070 m niedriger iſt als der Pik von Tenerifa, konnten wir den näher gerückten Horizont gegen Nord und Nord-Nord-Oſt nicht ſehen. Blickten wir über die Meeresfläche weg, die einem Spiegel glich, ſo fiel uns auf, wie das reflektierte Licht in ſteigendem Verhältnis abnahm. Wo die Geſichtslinie die äußerſte Grenze der Fläche ſtreift, verſchwamm das Waſſer mit den darüber gelagerten Luft- ſchichten. Dieſer Anblick hat etwas ſehr Auffallendes. Man erwartet den Horizont im Niveau des Auges zu ſehen, und ſtatt daß man in dieſer Höhe eine ſcharfe Grenze zwiſchen den beiden Elementen bemerkte, ſchienen die fernſten Waſſer- ſchichten ſich in Dunſt aufzulöſen und mit dem Luftozean zu miſchen. Dasſelbe beobachtete ich, nicht an einem einzigen Stück des Horizontes, ſondern auf einer Strecke von mehr als 160°, am Ufer der Südſee, als ich zum erſtenmal auf dem ſpitzen Felſen über dem Krater der Pichincha ſtand, eines Vul- kanes, der höher iſt als der Montblanc. Ob ein ſehr ferner Horizont ſichtbar iſt oder nicht, das hängt von zwei ver- ſchiedenen Momenten ab, von der Lichtmenge, welche der Teil des Ozeans empfängt, auf den die Geſichtslinie zuläuft, und von der Schwächung, die das reflektierte Licht bei ſeinem Durchgange durch die dazwiſchen liegenden Luftſchichten erleidet. Trotz des heiteren Himmels und der durchſichtigen Luft kann die See in der Entfernung von 170 bis 180 km ſchwach beleuchtet ſein, oder die Luftſchichten zunächſt der Oberfläche können das Licht bedeutend ſchwächen, indem ſie die durch- gehenden Strahlen abſorbieren. Selbſt vorausgeſetzt, die Refraktion äußere gar keinen Einfluß, ſollte man auf dem Gipfel der Silla bei ſchönem Wetter die Inſeln Tortuga, Orchila, Roques und Aves ſehen, von denen die nächſten 112,5 km entfernt ſind. Wir ſahen keine derſelben, ſei es nun wegen des Zuſtandes der Luft, oder weil die Zeit, die wir bei heiterem Himmel dazu ver- wenden konnten, die Inſeln zu ſuchen, nicht lang genug war. Ein unterrichteter Seemann, der den Berg mit uns hatte beſteigen wollen, Don Miguel Areche, verſicherte uns, die Silla bei den Salzklippen an der Roca de Fuera, unter

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/148>, abgerufen am 22.11.2024.