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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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von der Seeseite weht, während der andere von Ost, aus
dem Binnenlande kommt. Ersterer heißt der "Wind von
Catia", weil er von Catia, westwärts von Cabo Blanco,
durch die Schlucht Tipe heraufkommt, deren wir oben bei
Gelegenheit des Projektes einer neuen Straße und eines neuen
Hafens, statt der Straße und des Hafens von Guayra, er-
wähnt haben. Der Wind von Catia ist aber nur scheinbar
ein Westwind, meist ist es der Seewind aus Ost und Nordost,
der, wenn er stark bläst, sich in der Quebrada de Tipe fängt.
Von den hohen Bergen Aguas Negras zurückgeworfen, kommt
der Wind nach Caracas herauf auf der Seite des Kapuziner-
klosters und des Rio Caraguata. Er ist sehr feucht und das
Wasser schlägt sich aus ihm nieder, im Maße als er sich
abkühlt; der Gipfel der Silla umzieht sich daher auch mit
Wolken, sobald der Catia ins Thal dringt. Die Einwohner
von Caracas fürchten sich sehr vor ihm; Personen mit reiz-
barem Nervensystem verursacht er Kopfschmerzen. Ich habe
welche gekannt, die, um sich dem Winde nicht auszusetzen,
nicht aus dem Hause gehen, wie man in Italien thut, wenn
der Sirokko weht. Ich glaubte während meines Aufenthaltes
in Caracas gefunden zu haben, daß der Wind von Catia
reiner (etwas reicher an Sauerstoff) sei als der Wind von
Petare; ich meinte auch, seine reizende Wirkung möchte eben
von dieser Reinheit herrühren. Aber die Mittel, die ich an-
gewendet, sind sehr unzuverlässig. Der Wind von Petare
kommt von Ost und Südost, vom östlichen Ende des Guayre-
thales herein und führt die trockenere Luft des Gebirges und
des Binnenlandes herbei; er zerstreut die Wolken und läßt
den Gipfel der Silla in seiner ganzen Pracht hervortreten.

Bekanntlich sind die Veränderungen, welche die Mischung
der Luft an einem gegebenen Orte durch die Winde erleidet,
auf eudiometrischem Wege nicht zu ermitteln, da die genauesten
Methoden nur 0,003 Sauerstoff angeben. Die Chemie kennt
noch kein Mittel, um den Inhalt zweier Flaschen zu unter-
scheiden, von denen die eine während des Sirokko oder des
Catia mit Luft gefüllt worden ist, und die andere, bevor diese
Winde wehten. Es ist mir jetzt wahrscheinlich, daß der auf-
fallende Effekt des Catia und aller Luftströmungen, die im
gemeinen Glauben verrufen sind, vielmehr dem Wechsel in
Feuchtigkeit und Temperatur als chemischen Mischungsverän-
derungen zuzuschreiben sind. Man braucht keine Miasmen
von der ungesunden Seeküste nach Caracas heraufkommen zu

von der Seeſeite weht, während der andere von Oſt, aus
dem Binnenlande kommt. Erſterer heißt der „Wind von
Catia“, weil er von Catia, weſtwärts von Cabo Blanco,
durch die Schlucht Tipe heraufkommt, deren wir oben bei
Gelegenheit des Projektes einer neuen Straße und eines neuen
Hafens, ſtatt der Straße und des Hafens von Guayra, er-
wähnt haben. Der Wind von Catia iſt aber nur ſcheinbar
ein Weſtwind, meiſt iſt es der Seewind aus Oſt und Nordoſt,
der, wenn er ſtark bläſt, ſich in der Quebrada de Tipe fängt.
Von den hohen Bergen Aguas Negras zurückgeworfen, kommt
der Wind nach Caracas herauf auf der Seite des Kapuziner-
kloſters und des Rio Caraguata. Er iſt ſehr feucht und das
Waſſer ſchlägt ſich aus ihm nieder, im Maße als er ſich
abkühlt; der Gipfel der Silla umzieht ſich daher auch mit
Wolken, ſobald der Catia ins Thal dringt. Die Einwohner
von Caracas fürchten ſich ſehr vor ihm; Perſonen mit reiz-
barem Nervenſyſtem verurſacht er Kopfſchmerzen. Ich habe
welche gekannt, die, um ſich dem Winde nicht auszuſetzen,
nicht aus dem Hauſe gehen, wie man in Italien thut, wenn
der Sirokko weht. Ich glaubte während meines Aufenthaltes
in Caracas gefunden zu haben, daß der Wind von Catia
reiner (etwas reicher an Sauerſtoff) ſei als der Wind von
Petare; ich meinte auch, ſeine reizende Wirkung möchte eben
von dieſer Reinheit herrühren. Aber die Mittel, die ich an-
gewendet, ſind ſehr unzuverläſſig. Der Wind von Petare
kommt von Oſt und Südoſt, vom öſtlichen Ende des Guayre-
thales herein und führt die trockenere Luft des Gebirges und
des Binnenlandes herbei; er zerſtreut die Wolken und läßt
den Gipfel der Silla in ſeiner ganzen Pracht hervortreten.

Bekanntlich ſind die Veränderungen, welche die Miſchung
der Luft an einem gegebenen Orte durch die Winde erleidet,
auf eudiometriſchem Wege nicht zu ermitteln, da die genaueſten
Methoden nur 0,003 Sauerſtoff angeben. Die Chemie kennt
noch kein Mittel, um den Inhalt zweier Flaſchen zu unter-
ſcheiden, von denen die eine während des Sirokko oder des
Catia mit Luft gefüllt worden iſt, und die andere, bevor dieſe
Winde wehten. Es iſt mir jetzt wahrſcheinlich, daß der auf-
fallende Effekt des Catia und aller Luftſtrömungen, die im
gemeinen Glauben verrufen ſind, vielmehr dem Wechſel in
Feuchtigkeit und Temperatur als chemiſchen Miſchungsverän-
derungen zuzuſchreiben ſind. Man braucht keine Miasmen
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[112/0120] von der Seeſeite weht, während der andere von Oſt, aus dem Binnenlande kommt. Erſterer heißt der „Wind von Catia“, weil er von Catia, weſtwärts von Cabo Blanco, durch die Schlucht Tipe heraufkommt, deren wir oben bei Gelegenheit des Projektes einer neuen Straße und eines neuen Hafens, ſtatt der Straße und des Hafens von Guayra, er- wähnt haben. Der Wind von Catia iſt aber nur ſcheinbar ein Weſtwind, meiſt iſt es der Seewind aus Oſt und Nordoſt, der, wenn er ſtark bläſt, ſich in der Quebrada de Tipe fängt. Von den hohen Bergen Aguas Negras zurückgeworfen, kommt der Wind nach Caracas herauf auf der Seite des Kapuziner- kloſters und des Rio Caraguata. Er iſt ſehr feucht und das Waſſer ſchlägt ſich aus ihm nieder, im Maße als er ſich abkühlt; der Gipfel der Silla umzieht ſich daher auch mit Wolken, ſobald der Catia ins Thal dringt. Die Einwohner von Caracas fürchten ſich ſehr vor ihm; Perſonen mit reiz- barem Nervenſyſtem verurſacht er Kopfſchmerzen. Ich habe welche gekannt, die, um ſich dem Winde nicht auszuſetzen, nicht aus dem Hauſe gehen, wie man in Italien thut, wenn der Sirokko weht. Ich glaubte während meines Aufenthaltes in Caracas gefunden zu haben, daß der Wind von Catia reiner (etwas reicher an Sauerſtoff) ſei als der Wind von Petare; ich meinte auch, ſeine reizende Wirkung möchte eben von dieſer Reinheit herrühren. Aber die Mittel, die ich an- gewendet, ſind ſehr unzuverläſſig. Der Wind von Petare kommt von Oſt und Südoſt, vom öſtlichen Ende des Guayre- thales herein und führt die trockenere Luft des Gebirges und des Binnenlandes herbei; er zerſtreut die Wolken und läßt den Gipfel der Silla in ſeiner ganzen Pracht hervortreten. Bekanntlich ſind die Veränderungen, welche die Miſchung der Luft an einem gegebenen Orte durch die Winde erleidet, auf eudiometriſchem Wege nicht zu ermitteln, da die genaueſten Methoden nur 0,003 Sauerſtoff angeben. Die Chemie kennt noch kein Mittel, um den Inhalt zweier Flaſchen zu unter- ſcheiden, von denen die eine während des Sirokko oder des Catia mit Luft gefüllt worden iſt, und die andere, bevor dieſe Winde wehten. Es iſt mir jetzt wahrſcheinlich, daß der auf- fallende Effekt des Catia und aller Luftſtrömungen, die im gemeinen Glauben verrufen ſind, vielmehr dem Wechſel in Feuchtigkeit und Temperatur als chemiſchen Miſchungsverän- derungen zuzuſchreiben ſind. Man braucht keine Miasmen von der ungeſunden Seeküſte nach Caracas heraufkommen zu

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/120>, abgerufen am 22.11.2024.