Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.Blütezeit der Befaria, der Alpenrose des tropischen Amerikas, Man hört das Klima von Caracas oft einen ewigen Leider ist in diesem so gemäßigten Klima die Witterung Blütezeit der Befaria, der Alpenroſe des tropiſchen Amerikas, Man hört das Klima von Caracas oft einen ewigen Leider iſt in dieſem ſo gemäßigten Klima die Witterung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0119" n="111"/> Blütezeit der Befaria, der Alpenroſe des tropiſchen Amerikas,<lb/> purpurrot ſchimmert. Ueber dieſer Waldregion ſteigen zwei<lb/> Felsmaſſen in Kuppelform empor. Sie ſind völlig kahl und<lb/> dadurch erſcheint der Berg, der im gemäßigten Europa kaum<lb/> die Schneegrenze erreichte, höher, als er wirklich iſt. Mit<lb/> dieſem großartigen Proſpekt der Silla und der Bergſzenerie<lb/> im Norden der Stadt ſteht der angebaute Strich des Thales,<lb/> die lachende Ebene von Chacao, Petare und La Vega im<lb/> angenehmſten Kontraſt.</p><lb/> <p>Man hört das Klima von Caracas oft einen ewigen<lb/> Frühling nennen, und dasſelbe findet ſich überall im tropiſchen<lb/> Amerika auf der halben Höhe der Kordilleren, zwiſchen 780<lb/> und 1750 <hi rendition="#aq">m</hi> über dem Meere, wenn nicht ſehr breite Thäler<lb/> und Hochebenen und dürrer Boden die Intenſität der ſtrah-<lb/> lenden Wärme übermäßig ſteigern. Was läßt ſich auch Köſt-<lb/> licheres denken als eine Temperatur, die ſich bei Tage zwiſchen<lb/> 20 und 26°, bei Nacht zwiſchen 16 und 18° hält, und in<lb/> der der Bananenbaum, der Orangenbaum, der Kaffeebaum,<lb/> der Apfelbaum, der Aprikoſenbaum und der Weizen neben-<lb/> einander gedeihen! Ein einheimiſcher Schriftſteller vergleicht<lb/> auch Caracas mit dem Paradieſe und findet im Anauco und<lb/> den benachbarten Bächen die vier Flüſſe desſelben.</p><lb/> <p>Leider iſt in dieſem ſo gemäßigten Klima die Witterung<lb/> ſehr unbeſtändig. Die Einwohner von Caracas klagen dar-<lb/> über, daß ſie an einem Tage verſchiedene Jahreszeiten haben<lb/> und die Uebergänge von einer Jahreszeit zur anderen ſehr<lb/> ſchroff ſind. Häufig folgt z. B. im Januar auf eine Nacht<lb/> mit einer mittleren Temperatur von 16° ein Tag, an dem<lb/> der Thermometer im Schatten acht Stunden lang über 22°<lb/> ſteht. Am ſelben Tage kommen aber Wärmegrade von 24<lb/> und von 18° vor. Dergleichen Schwankungen ſind in den<lb/> gemäßigten Landſtrichen Europas ganz gewöhnlich, in der<lb/> heißen Zone aber ſind ſelbſt die Europäer ſo ſehr an die<lb/> Gleichförmigkeit der äußeren Reize gewöhnt, daß ein Tem-<lb/> peraturwechſel von 6° ihnen beſchwerlich wird. In Cumana<lb/> und überall in der Niederung ändert ſich die Temperatur<lb/> von 11 Uhr morgens bis 11 Uhr abends gewöhnlich nur<lb/> um 2 bis 3°. Zudem äußern dieſe atmoſphäriſchen Schwan-<lb/> kungen in Caracas auf den menſchlichen Organismus ſtärkeren<lb/> Einfluß, als man nach dem bloßen Thermometerſtande glauben<lb/> ſollte. Im engen Thale wird die Luft ſozuſagen im Gleich-<lb/> gewicht gehalten von zwei Winden, deren einer von Weſt,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [111/0119]
Blütezeit der Befaria, der Alpenroſe des tropiſchen Amerikas,
purpurrot ſchimmert. Ueber dieſer Waldregion ſteigen zwei
Felsmaſſen in Kuppelform empor. Sie ſind völlig kahl und
dadurch erſcheint der Berg, der im gemäßigten Europa kaum
die Schneegrenze erreichte, höher, als er wirklich iſt. Mit
dieſem großartigen Proſpekt der Silla und der Bergſzenerie
im Norden der Stadt ſteht der angebaute Strich des Thales,
die lachende Ebene von Chacao, Petare und La Vega im
angenehmſten Kontraſt.
Man hört das Klima von Caracas oft einen ewigen
Frühling nennen, und dasſelbe findet ſich überall im tropiſchen
Amerika auf der halben Höhe der Kordilleren, zwiſchen 780
und 1750 m über dem Meere, wenn nicht ſehr breite Thäler
und Hochebenen und dürrer Boden die Intenſität der ſtrah-
lenden Wärme übermäßig ſteigern. Was läßt ſich auch Köſt-
licheres denken als eine Temperatur, die ſich bei Tage zwiſchen
20 und 26°, bei Nacht zwiſchen 16 und 18° hält, und in
der der Bananenbaum, der Orangenbaum, der Kaffeebaum,
der Apfelbaum, der Aprikoſenbaum und der Weizen neben-
einander gedeihen! Ein einheimiſcher Schriftſteller vergleicht
auch Caracas mit dem Paradieſe und findet im Anauco und
den benachbarten Bächen die vier Flüſſe desſelben.
Leider iſt in dieſem ſo gemäßigten Klima die Witterung
ſehr unbeſtändig. Die Einwohner von Caracas klagen dar-
über, daß ſie an einem Tage verſchiedene Jahreszeiten haben
und die Uebergänge von einer Jahreszeit zur anderen ſehr
ſchroff ſind. Häufig folgt z. B. im Januar auf eine Nacht
mit einer mittleren Temperatur von 16° ein Tag, an dem
der Thermometer im Schatten acht Stunden lang über 22°
ſteht. Am ſelben Tage kommen aber Wärmegrade von 24
und von 18° vor. Dergleichen Schwankungen ſind in den
gemäßigten Landſtrichen Europas ganz gewöhnlich, in der
heißen Zone aber ſind ſelbſt die Europäer ſo ſehr an die
Gleichförmigkeit der äußeren Reize gewöhnt, daß ein Tem-
peraturwechſel von 6° ihnen beſchwerlich wird. In Cumana
und überall in der Niederung ändert ſich die Temperatur
von 11 Uhr morgens bis 11 Uhr abends gewöhnlich nur
um 2 bis 3°. Zudem äußern dieſe atmoſphäriſchen Schwan-
kungen in Caracas auf den menſchlichen Organismus ſtärkeren
Einfluß, als man nach dem bloßen Thermometerſtande glauben
ſollte. Im engen Thale wird die Luft ſozuſagen im Gleich-
gewicht gehalten von zwei Winden, deren einer von Weſt,
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