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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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allen Vorteilen, die das innere Meer der Antillen bietet,
Nutzen ziehen. Nirgends kann der Verkehr mit den großen
Inseln und selbst mit denen unter dem Winde stärker sein als
durch die Häfen von Cumana, Barcelona, Guayra, Porto-
Cabello, Coro und Maracaybo, nirgends war der Schleich-
handel mit dem Auslande schwerer im Zaume zu halten. Ist
es da zu verwundern, daß bei diesem leichten Handelsverkehr
mit den freien Amerikanern und mit den Völkern des politisch
aufgeregten Europas in den unter der Generalkapitanerie
Venezuela vereinigten Provinzen Wohlstand, Bildung und
das unruhige Streben nach Selbstregierung, in dem die Liebe
zur Freiheit und zu republikanischen Einrichtungen zur Aeuße-
rung kommt, gleichmäßig zugenommen haben?

Die kupferfarbigen Eingeborenen, die Indianer, bilden
nur da einen sehr ansehnlichen Teil der ackerbauenden Be-
völkerung, wo die Spanier bei der Eroberung ordentliche
Regierungen, eine bürgerliche Gesellschaft, alte, meist sehr ver-
wickelte Institutionen vorgefunden, wie in Neuspanien südlich
von Durango und in Peru von Cuzco bis Potosi. In der
Generalkapitanerie Caracas ist die indianische Bevölkerung des
bebauten Landstrichs, wenigstens außerhalb der Missionen,
unbeträchtlich. Zur Zeit großer politischer Zerwürfnisse flößen
die Indianer den Weißen und Mischlingen keine Besorgnisse
ein. Als ich im Jahre 1800 die Gesamtbevölkerung der sieben
vereinigten Provinzen auf 900000 Seelen schätzte, nahm ich
die Indianer zu einem Neunteil an, während sie in Mexiko
fast die Hälfte ausmachen.

Unter den Rassen, aus denen die Bevölkerung von Vene-
zuela besteht, ist die schwarze, auf die man zugleich mit Teil-
nahme wegen ihres Unglücks, und mit Furcht wegen einer
möglichen gewaltsamen Auflehnung blickt, nicht der Kopfzahl
nach, aber wegen der Zusammendrängung auf einen kleinen
Flächenraum, von Belang. Wir werden bald sehen, daß in
der ganzen Kapitanerie die Sklaven nur ein Fünfzehnteil der
ganzen Bevölkerung ausmachen; auf Cuba, wo unter allen
Antillen die Neger den Weißen gegenüber am wenigsten
zahlreich sind, war im Jahre 1811 das Verhältnis wie 1 zu 3.
Die sieben vereinigten Provinzen von Venezuela haben
60000 Sklaven; Cuba, das achtmal kleiner ist, hat 212000.
Betrachtet man das Meer der Antillen, zu dem der Meer-
busen von Mexiko gehört, als ein Binnenmeer mit mehreren
Ausgängen, so ist es wichtig, die politischen Beziehungen ins

allen Vorteilen, die das innere Meer der Antillen bietet,
Nutzen ziehen. Nirgends kann der Verkehr mit den großen
Inſeln und ſelbſt mit denen unter dem Winde ſtärker ſein als
durch die Häfen von Cumana, Barcelona, Guayra, Porto-
Cabello, Coro und Maracaybo, nirgends war der Schleich-
handel mit dem Auslande ſchwerer im Zaume zu halten. Iſt
es da zu verwundern, daß bei dieſem leichten Handelsverkehr
mit den freien Amerikanern und mit den Völkern des politiſch
aufgeregten Europas in den unter der Generalkapitanerie
Venezuela vereinigten Provinzen Wohlſtand, Bildung und
das unruhige Streben nach Selbſtregierung, in dem die Liebe
zur Freiheit und zu republikaniſchen Einrichtungen zur Aeuße-
rung kommt, gleichmäßig zugenommen haben?

Die kupferfarbigen Eingeborenen, die Indianer, bilden
nur da einen ſehr anſehnlichen Teil der ackerbauenden Be-
völkerung, wo die Spanier bei der Eroberung ordentliche
Regierungen, eine bürgerliche Geſellſchaft, alte, meiſt ſehr ver-
wickelte Inſtitutionen vorgefunden, wie in Neuſpanien ſüdlich
von Durango und in Peru von Cuzco bis Potoſi. In der
Generalkapitanerie Caracas iſt die indianiſche Bevölkerung des
bebauten Landſtrichs, wenigſtens außerhalb der Miſſionen,
unbeträchtlich. Zur Zeit großer politiſcher Zerwürfniſſe flößen
die Indianer den Weißen und Miſchlingen keine Beſorgniſſe
ein. Als ich im Jahre 1800 die Geſamtbevölkerung der ſieben
vereinigten Provinzen auf 900000 Seelen ſchätzte, nahm ich
die Indianer zu einem Neunteil an, während ſie in Mexiko
faſt die Hälfte ausmachen.

Unter den Raſſen, aus denen die Bevölkerung von Vene-
zuela beſteht, iſt die ſchwarze, auf die man zugleich mit Teil-
nahme wegen ihres Unglücks, und mit Furcht wegen einer
möglichen gewaltſamen Auflehnung blickt, nicht der Kopfzahl
nach, aber wegen der Zuſammendrängung auf einen kleinen
Flächenraum, von Belang. Wir werden bald ſehen, daß in
der ganzen Kapitanerie die Sklaven nur ein Fünfzehnteil der
ganzen Bevölkerung ausmachen; auf Cuba, wo unter allen
Antillen die Neger den Weißen gegenüber am wenigſten
zahlreich ſind, war im Jahre 1811 das Verhältnis wie 1 zu 3.
Die ſieben vereinigten Provinzen von Venezuela haben
60000 Sklaven; Cuba, das achtmal kleiner iſt, hat 212000.
Betrachtet man das Meer der Antillen, zu dem der Meer-
buſen von Mexiko gehört, als ein Binnenmeer mit mehreren
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[99/0107] allen Vorteilen, die das innere Meer der Antillen bietet, Nutzen ziehen. Nirgends kann der Verkehr mit den großen Inſeln und ſelbſt mit denen unter dem Winde ſtärker ſein als durch die Häfen von Cumana, Barcelona, Guayra, Porto- Cabello, Coro und Maracaybo, nirgends war der Schleich- handel mit dem Auslande ſchwerer im Zaume zu halten. Iſt es da zu verwundern, daß bei dieſem leichten Handelsverkehr mit den freien Amerikanern und mit den Völkern des politiſch aufgeregten Europas in den unter der Generalkapitanerie Venezuela vereinigten Provinzen Wohlſtand, Bildung und das unruhige Streben nach Selbſtregierung, in dem die Liebe zur Freiheit und zu republikaniſchen Einrichtungen zur Aeuße- rung kommt, gleichmäßig zugenommen haben? Die kupferfarbigen Eingeborenen, die Indianer, bilden nur da einen ſehr anſehnlichen Teil der ackerbauenden Be- völkerung, wo die Spanier bei der Eroberung ordentliche Regierungen, eine bürgerliche Geſellſchaft, alte, meiſt ſehr ver- wickelte Inſtitutionen vorgefunden, wie in Neuſpanien ſüdlich von Durango und in Peru von Cuzco bis Potoſi. In der Generalkapitanerie Caracas iſt die indianiſche Bevölkerung des bebauten Landſtrichs, wenigſtens außerhalb der Miſſionen, unbeträchtlich. Zur Zeit großer politiſcher Zerwürfniſſe flößen die Indianer den Weißen und Miſchlingen keine Beſorgniſſe ein. Als ich im Jahre 1800 die Geſamtbevölkerung der ſieben vereinigten Provinzen auf 900000 Seelen ſchätzte, nahm ich die Indianer zu einem Neunteil an, während ſie in Mexiko faſt die Hälfte ausmachen. Unter den Raſſen, aus denen die Bevölkerung von Vene- zuela beſteht, iſt die ſchwarze, auf die man zugleich mit Teil- nahme wegen ihres Unglücks, und mit Furcht wegen einer möglichen gewaltſamen Auflehnung blickt, nicht der Kopfzahl nach, aber wegen der Zuſammendrängung auf einen kleinen Flächenraum, von Belang. Wir werden bald ſehen, daß in der ganzen Kapitanerie die Sklaven nur ein Fünfzehnteil der ganzen Bevölkerung ausmachen; auf Cuba, wo unter allen Antillen die Neger den Weißen gegenüber am wenigſten zahlreich ſind, war im Jahre 1811 das Verhältnis wie 1 zu 3. Die ſieben vereinigten Provinzen von Venezuela haben 60000 Sklaven; Cuba, das achtmal kleiner iſt, hat 212000. Betrachtet man das Meer der Antillen, zu dem der Meer- buſen von Mexiko gehört, als ein Binnenmeer mit mehreren Ausgängen, ſo iſt es wichtig, die politiſchen Beziehungen ins

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/107>, abgerufen am 25.11.2024.