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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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über, die acht Minuten anhielt. Unsere Reisegefährten, sogar
die Führer äußerten ihre Verwunderung über die Erscheinung,
ohne daß wir sie darauf aufmerksam zu machen brauchten.
Auf den ersten Blick glaubten wir, diese sich hin und
her bewegenden Lichtpunkte seien die Vorläufer eines neuen
Ausbruchs des großen Vulkanes von Lanzarote. Wir erinnerten
uns, daß Bouguer und La Condamine bei der Besteigung des
Vulkanes Pichincha den Ausbruch des Cotopaxi mit angesehen
hatten; aber die Täuschung dauerte nicht lange, und wir
sahen, daß die Lichtpunkte die durch die Dünste vergrößerten
Bilder verschiedener Sterne waren. Die Bilder standen perio-
disch still, dann schienen sie senkrecht aufzusteigen, sich zur
Seite abwärts zu bewegen und wieder am Ausgangspunkt
anzugelangen. Diese Bewegung dauerte eine bis zwei Sekun-
den. Wir hatten keine Mittel zur Hand, um die Größe der
seitlichen Verrückung genau zu messen, aber den Lauf des
Lichtpunktes konnten wir ganz gut beobachten. Er erschien
nicht doppelt durch Luftspiegelung und ließ keine leuchtende
Spur hinter sich. Als ich im Fernrohr eines kleinen Trough-
tonschen Sextanten die Sterne mit einem hohen Berggipfel
auf Lanzarote in Kontakt brachte, konnte ich sehen, daß die
Oszillation beständig gegen denselben Punkt hinging, nämlich
gegen das Stück des Horizontes, wo die Sonnenscheibe er-
scheinen sollte, und daß, abgesehen von der Deklinations-
bewegung des Sternes, das Bild immer an denselben Fleck
zurückkehrte. Diese scheinbaren seitlichen Refraktionen hörten
auf, lange bevor die Sterne vor dem Tageslicht gänzlich ver-
schwanden. Ich habe hier genau wiedergegeben, was wir in
der Dämmerung beobachteten, versuche aber keine Erklärung
der auffallenden Erscheinung, die ich schon vor zwölf Jahren
in Zachs astronomischem Tagebuch bekannt gemacht habe. Die
Bewegung der Dunstbläschen infolge des Sonnenaufgangs,
die Mischung verschiedener, in Temperatur und Dichtigkeit
sehr von einander abweichenden Luftschichten haben ohne
Zweifel zu der Verrückung der Gestirne in horizontaler Rich-
tung das Ihrige beigetragen. Etwas Aehnliches sind wohl die
starken Schwankungen der Sonnenscheibe, wenn sie eben den
Horizont berührt; aber diese Schwankungen betragen selten
mehr als zwanzig Sekunden, während die seitliche Bewegung
der Sterne, wie wir sie auf dem Pik in mehr als 3507 m
Höhe beobachteten, ganz gut mit bloßem Auge zu bemerken
und auffallender war als alle Erscheinungen, die man bis

über, die acht Minuten anhielt. Unſere Reiſegefährten, ſogar
die Führer äußerten ihre Verwunderung über die Erſcheinung,
ohne daß wir ſie darauf aufmerkſam zu machen brauchten.
Auf den erſten Blick glaubten wir, dieſe ſich hin und
her bewegenden Lichtpunkte ſeien die Vorläufer eines neuen
Ausbruchs des großen Vulkanes von Lanzarote. Wir erinnerten
uns, daß Bouguer und La Condamine bei der Beſteigung des
Vulkanes Pichincha den Ausbruch des Cotopaxi mit angeſehen
hatten; aber die Täuſchung dauerte nicht lange, und wir
ſahen, daß die Lichtpunkte die durch die Dünſte vergrößerten
Bilder verſchiedener Sterne waren. Die Bilder ſtanden perio-
diſch ſtill, dann ſchienen ſie ſenkrecht aufzuſteigen, ſich zur
Seite abwärts zu bewegen und wieder am Ausgangspunkt
anzugelangen. Dieſe Bewegung dauerte eine bis zwei Sekun-
den. Wir hatten keine Mittel zur Hand, um die Größe der
ſeitlichen Verrückung genau zu meſſen, aber den Lauf des
Lichtpunktes konnten wir ganz gut beobachten. Er erſchien
nicht doppelt durch Luftſpiegelung und ließ keine leuchtende
Spur hinter ſich. Als ich im Fernrohr eines kleinen Trough-
tonſchen Sextanten die Sterne mit einem hohen Berggipfel
auf Lanzarote in Kontakt brachte, konnte ich ſehen, daß die
Oszillation beſtändig gegen denſelben Punkt hinging, nämlich
gegen das Stück des Horizontes, wo die Sonnenſcheibe er-
ſcheinen ſollte, und daß, abgeſehen von der Deklinations-
bewegung des Sternes, das Bild immer an denſelben Fleck
zurückkehrte. Dieſe ſcheinbaren ſeitlichen Refraktionen hörten
auf, lange bevor die Sterne vor dem Tageslicht gänzlich ver-
ſchwanden. Ich habe hier genau wiedergegeben, was wir in
der Dämmerung beobachteten, verſuche aber keine Erklärung
der auffallenden Erſcheinung, die ich ſchon vor zwölf Jahren
in Zachs aſtronomiſchem Tagebuch bekannt gemacht habe. Die
Bewegung der Dunſtbläschen infolge des Sonnenaufgangs,
die Miſchung verſchiedener, in Temperatur und Dichtigkeit
ſehr von einander abweichenden Luftſchichten haben ohne
Zweifel zu der Verrückung der Geſtirne in horizontaler Rich-
tung das Ihrige beigetragen. Etwas Aehnliches ſind wohl die
ſtarken Schwankungen der Sonnenſcheibe, wenn ſie eben den
Horizont berührt; aber dieſe Schwankungen betragen ſelten
mehr als zwanzig Sekunden, während die ſeitliche Bewegung
der Sterne, wie wir ſie auf dem Pik in mehr als 3507 m
Höhe beobachteten, ganz gut mit bloßem Auge zu bemerken
und auffallender war als alle Erſcheinungen, die man bis

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[82/0098] über, die acht Minuten anhielt. Unſere Reiſegefährten, ſogar die Führer äußerten ihre Verwunderung über die Erſcheinung, ohne daß wir ſie darauf aufmerkſam zu machen brauchten. Auf den erſten Blick glaubten wir, dieſe ſich hin und her bewegenden Lichtpunkte ſeien die Vorläufer eines neuen Ausbruchs des großen Vulkanes von Lanzarote. Wir erinnerten uns, daß Bouguer und La Condamine bei der Beſteigung des Vulkanes Pichincha den Ausbruch des Cotopaxi mit angeſehen hatten; aber die Täuſchung dauerte nicht lange, und wir ſahen, daß die Lichtpunkte die durch die Dünſte vergrößerten Bilder verſchiedener Sterne waren. Die Bilder ſtanden perio- diſch ſtill, dann ſchienen ſie ſenkrecht aufzuſteigen, ſich zur Seite abwärts zu bewegen und wieder am Ausgangspunkt anzugelangen. Dieſe Bewegung dauerte eine bis zwei Sekun- den. Wir hatten keine Mittel zur Hand, um die Größe der ſeitlichen Verrückung genau zu meſſen, aber den Lauf des Lichtpunktes konnten wir ganz gut beobachten. Er erſchien nicht doppelt durch Luftſpiegelung und ließ keine leuchtende Spur hinter ſich. Als ich im Fernrohr eines kleinen Trough- tonſchen Sextanten die Sterne mit einem hohen Berggipfel auf Lanzarote in Kontakt brachte, konnte ich ſehen, daß die Oszillation beſtändig gegen denſelben Punkt hinging, nämlich gegen das Stück des Horizontes, wo die Sonnenſcheibe er- ſcheinen ſollte, und daß, abgeſehen von der Deklinations- bewegung des Sternes, das Bild immer an denſelben Fleck zurückkehrte. Dieſe ſcheinbaren ſeitlichen Refraktionen hörten auf, lange bevor die Sterne vor dem Tageslicht gänzlich ver- ſchwanden. Ich habe hier genau wiedergegeben, was wir in der Dämmerung beobachteten, verſuche aber keine Erklärung der auffallenden Erſcheinung, die ich ſchon vor zwölf Jahren in Zachs aſtronomiſchem Tagebuch bekannt gemacht habe. Die Bewegung der Dunſtbläschen infolge des Sonnenaufgangs, die Miſchung verſchiedener, in Temperatur und Dichtigkeit ſehr von einander abweichenden Luftſchichten haben ohne Zweifel zu der Verrückung der Geſtirne in horizontaler Rich- tung das Ihrige beigetragen. Etwas Aehnliches ſind wohl die ſtarken Schwankungen der Sonnenſcheibe, wenn ſie eben den Horizont berührt; aber dieſe Schwankungen betragen ſelten mehr als zwanzig Sekunden, während die ſeitliche Bewegung der Sterne, wie wir ſie auf dem Pik in mehr als 3507 m Höhe beobachteten, ganz gut mit bloßem Auge zu bemerken und auffallender war als alle Erſcheinungen, die man bis

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/98>, abgerufen am 26.04.2024.