über die Ebene des Ginsters zu kommen, die nichts ist als ein ungeheures Sandmeer. Trotz der hohen Lage zeigte hier der hundertteilige Thermometer gegen Sonnenuntergang 13,8°, das heißt 3,7° mehr als mitten am Tage auf dem Monte Verde. Dieser höhere Wärmegrad kann nur von der Strah- lung des Bodens und von der weiten Ausdehnung der Hoch- ebene herrühren. Wir litten sehr vom erstickenden Bimsstein- staub, in den wir fortwährend gehüllt waren. Mitten in der Ebene stehen Büsche von Retama, dem Spartium nubi- genum d'Aitons. Dieser schöne Strauch, den de Martiniere 1 in Languedoc, wo Feuermaterial selten ist, einzuführen rät, wird 3 m hoch, er ist mit wohlriechenden Blüten bedeckt, und die Ziegenjäger, denen wir unterwegs begegneten, hatten ihre Strohhüte damit geschmückt. Die dunkelbraunen Ziegen des Piks gelten für Leckerbissen; sie nähren sich von den Blättern des Spartium und sind in diesen Einöden seit unvordenklicher Zeit verwildert. Man hat sie sogar nach Madeira verpflanzt, wo sie geschätzter sind, als die Ziegen aus Europa.
Bis zum Felsen Gayta, das heißt bis zum Anfang der großen Ebene des Ginsters ist der Pik von Tenerifa mit schönem Pflanzenwuchs überzogen, und nichts weist auf Ver- wüstungen in neuerer Zeit hin. Man meint einen Vulkan zu besteigen, dessen Feuer so lange erloschen ist, wie das des Monte Cavo bei Rom. Kaum hat man die mit Bimsstein bedeckte Ebene betreten, so nimmt die Landschaft einen ganz anderen Charakter an; bei jedem Schritt stößt man auf un- geheure Obsidianblöcke, die der Vulkan ausgeworfen. Alles ringsum ist öd und still; ein paar Ziegen und Kaninchen sind die einzigen Bewohner dieser Hochebene. Das unfrucht- bare Stück des Piks mißt über 200 qkm, und da die unteren Regionen, von ferne gesehen, in Verkürzung erscheinen, so stellt sich die ganze Insel als ein ungeheurer Haufen ver- brannten Gesteins dar, um den sich die Vegetation nur wie ein schmaler Gürtel zieht.
Ueber der Region des Spartium nubigenum kamen wir durch enge Schründe und kleine, sehr alte, vom Regenwasser ausgespülte Schluchten zuerst auf ein höheres Plateau und dann an den Ort, wo wir die Nacht zubringen sollten. Dieser Platz, der mehr als 2982 m über der Küste liegt, heißt
1 Einer der Botaniker, die auf Laperouses Seereise umkamen.
über die Ebene des Ginſters zu kommen, die nichts iſt als ein ungeheures Sandmeer. Trotz der hohen Lage zeigte hier der hundertteilige Thermometer gegen Sonnenuntergang 13,8°, das heißt 3,7° mehr als mitten am Tage auf dem Monte Verde. Dieſer höhere Wärmegrad kann nur von der Strah- lung des Bodens und von der weiten Ausdehnung der Hoch- ebene herrühren. Wir litten ſehr vom erſtickenden Bimsſtein- ſtaub, in den wir fortwährend gehüllt waren. Mitten in der Ebene ſtehen Büſche von Retama, dem Spartium nubi- genum d’Aitons. Dieſer ſchöne Strauch, den de Martinière 1 in Languedoc, wo Feuermaterial ſelten iſt, einzuführen rät, wird 3 m hoch, er iſt mit wohlriechenden Blüten bedeckt, und die Ziegenjäger, denen wir unterwegs begegneten, hatten ihre Strohhüte damit geſchmückt. Die dunkelbraunen Ziegen des Piks gelten für Leckerbiſſen; ſie nähren ſich von den Blättern des Spartium und ſind in dieſen Einöden ſeit unvordenklicher Zeit verwildert. Man hat ſie ſogar nach Madeira verpflanzt, wo ſie geſchätzter ſind, als die Ziegen aus Europa.
Bis zum Felſen Gayta, das heißt bis zum Anfang der großen Ebene des Ginſters iſt der Pik von Tenerifa mit ſchönem Pflanzenwuchs überzogen, und nichts weiſt auf Ver- wüſtungen in neuerer Zeit hin. Man meint einen Vulkan zu beſteigen, deſſen Feuer ſo lange erloſchen iſt, wie das des Monte Cavo bei Rom. Kaum hat man die mit Bimsſtein bedeckte Ebene betreten, ſo nimmt die Landſchaft einen ganz anderen Charakter an; bei jedem Schritt ſtößt man auf un- geheure Obſidianblöcke, die der Vulkan ausgeworfen. Alles ringsum iſt öd und ſtill; ein paar Ziegen und Kaninchen ſind die einzigen Bewohner dieſer Hochebene. Das unfrucht- bare Stück des Piks mißt über 200 qkm, und da die unteren Regionen, von ferne geſehen, in Verkürzung erſcheinen, ſo ſtellt ſich die ganze Inſel als ein ungeheurer Haufen ver- brannten Geſteins dar, um den ſich die Vegetation nur wie ein ſchmaler Gürtel zieht.
Ueber der Region des Spartium nubigenum kamen wir durch enge Schründe und kleine, ſehr alte, vom Regenwaſſer ausgeſpülte Schluchten zuerſt auf ein höheres Plateau und dann an den Ort, wo wir die Nacht zubringen ſollten. Dieſer Platz, der mehr als 2982 m über der Küſte liegt, heißt
1 Einer der Botaniker, die auf Lapérouſes Seereiſe umkamen.
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über die Ebene des Ginſters zu kommen, die nichts iſt als
ein ungeheures Sandmeer. Trotz der hohen Lage zeigte hier
der hundertteilige Thermometer gegen Sonnenuntergang 13,8°,
das heißt 3,7° mehr als mitten am Tage auf dem Monte
Verde. Dieſer höhere Wärmegrad kann nur von der Strah-
lung des Bodens und von der weiten Ausdehnung der Hoch-
ebene herrühren. Wir litten ſehr vom erſtickenden Bimsſtein-
ſtaub, in den wir fortwährend gehüllt waren. Mitten in der
Ebene ſtehen Büſche von Retama, dem Spartium nubi-
genum d’Aitons. Dieſer ſchöne Strauch, den de Martinière 1
in Languedoc, wo Feuermaterial ſelten iſt, einzuführen rät,
wird 3 m hoch, er iſt mit wohlriechenden Blüten bedeckt,
und die Ziegenjäger, denen wir unterwegs begegneten, hatten
ihre Strohhüte damit geſchmückt. Die dunkelbraunen Ziegen
des Piks gelten für Leckerbiſſen; ſie nähren ſich von den
Blättern des Spartium und ſind in dieſen Einöden ſeit
unvordenklicher Zeit verwildert. Man hat ſie ſogar nach
Madeira verpflanzt, wo ſie geſchätzter ſind, als die Ziegen aus
Europa.
Bis zum Felſen Gayta, das heißt bis zum Anfang der
großen Ebene des Ginſters iſt der Pik von Tenerifa mit
ſchönem Pflanzenwuchs überzogen, und nichts weiſt auf Ver-
wüſtungen in neuerer Zeit hin. Man meint einen Vulkan
zu beſteigen, deſſen Feuer ſo lange erloſchen iſt, wie das des
Monte Cavo bei Rom. Kaum hat man die mit Bimsſtein
bedeckte Ebene betreten, ſo nimmt die Landſchaft einen ganz
anderen Charakter an; bei jedem Schritt ſtößt man auf un-
geheure Obſidianblöcke, die der Vulkan ausgeworfen. Alles
ringsum iſt öd und ſtill; ein paar Ziegen und Kaninchen
ſind die einzigen Bewohner dieſer Hochebene. Das unfrucht-
bare Stück des Piks mißt über 200 qkm, und da die unteren
Regionen, von ferne geſehen, in Verkürzung erſcheinen, ſo
ſtellt ſich die ganze Inſel als ein ungeheurer Haufen ver-
brannten Geſteins dar, um den ſich die Vegetation nur wie
ein ſchmaler Gürtel zieht.
Ueber der Region des Spartium nubigenum kamen wir
durch enge Schründe und kleine, ſehr alte, vom Regenwaſſer
ausgeſpülte Schluchten zuerſt auf ein höheres Plateau und
dann an den Ort, wo wir die Nacht zubringen ſollten. Dieſer
Platz, der mehr als 2982 m über der Küſte liegt, heißt
1 Einer der Botaniker, die auf Lapérouſes Seereiſe umkamen.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/94>, abgerufen am 16.02.2025.
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