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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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"die ewige Jugend der Natur", 1 die eine unerschöpfliche Quelle
von Bewegung und Leben ist.

Der Drachenbaum, der nur in den angebauten Strichen
der Kanarien, auf Madeira und Porto Santo vorkommt, ist
eine merkwürdige Erscheinung in Beziehung auf die Wande-
rung der Gewächse. Auf dem Kontinent von Afrika 2 ist er
nirgends wild gefunden worden, und Ostindien ist sein eigent-
liches Vaterland. Auf welchem Wege ist der Baum nach
Tenerifa verpflanzt worden, wo er gar nicht häufig vorkommt?
Ist sein Dasein ein Beweis dafür, daß in sehr entlegener
Zeit die Guanchen mit anderen, mit asiatischen Völkern in
Verkehr gestanden haben?

Von Villa de Orotava gelangten wir auf einem schmalen
steinigen Pfade durch einen schönen Kastanienwald (el Monte
de Castannos
) in eine Gegend, die mit einigen Lorbeerarten
und der baumartigen Heide bewachsen ist. Der Stamm der
letzteren wird hier ausnehmend dick, und die Blüten, mit denen
der Strauch einen großen Teil des Jahres bedeckt ist, stechen
angenehm ab von den Blüten des Hypericum canariense,
das in dieser Höhe sehr häufig vorkommt. Wir machten unter
einer schönen Tanne Halt, um uns mit Wasser zu versehen.
Dieser Platz ist im Lande unter dem Namen Pino del Dor-
najito
bekannt; seine Meereshöhe beträgt nach Bordas baro-
metrischer Messung 1017 m. Man hat da eine prachtvolle
Aussicht auf das Meer und die ganze Westseite der Insel.
Beim Pino del Dornajito, etwas rechts vom Wege, sprudelt
eine ziemlich reiche Quelle; wir tauchten ein Thermometer

1 Aristoteles de longit. vitae. cap. 6.
2 Schousboe (Flora von Marokko) erwähnt seiner nicht einmal
unter den kultivierten Pflanzen, während er doch vom Kaktus, von
der Agave und der Yukka spricht. Die Gestalt des Drachenbaumes
kommt verschiedenen Arten der Gattung Dracäna am Kap der
guten Hoffnung, in China und auf Neuseeland zu; aber in der
Neuen Welt vertritt die Yukka die Stelle derselben; denn die
Dracaena borealis d'Aitons ist eine Convallaria, deren Habitus
sie auch hat. Der im Handel unter dem Namen Drachenblut be-
kannte adstringierende Saft kommt nach unseren Untersuchungen an
Ort und Stelle von verschiedenen amerikanischen Pflanzen, die nicht
derselben Gattung angehören, unter denen sich einige Lianen be-
finden. In Laguna verfertigt man in Nonnenklöstern Zahnstocher,
die mit dem Saft des Drachenbaumes gefärbt sind, und die man
uns sehr anpries, weil sie das Zahnfleisch konservieren sollten.

„die ewige Jugend der Natur“, 1 die eine unerſchöpfliche Quelle
von Bewegung und Leben iſt.

Der Drachenbaum, der nur in den angebauten Strichen
der Kanarien, auf Madeira und Porto Santo vorkommt, iſt
eine merkwürdige Erſcheinung in Beziehung auf die Wande-
rung der Gewächſe. Auf dem Kontinent von Afrika 2 iſt er
nirgends wild gefunden worden, und Oſtindien iſt ſein eigent-
liches Vaterland. Auf welchem Wege iſt der Baum nach
Tenerifa verpflanzt worden, wo er gar nicht häufig vorkommt?
Iſt ſein Daſein ein Beweis dafür, daß in ſehr entlegener
Zeit die Guanchen mit anderen, mit aſiatiſchen Völkern in
Verkehr geſtanden haben?

Von Villa de Orotava gelangten wir auf einem ſchmalen
ſteinigen Pfade durch einen ſchönen Kaſtanienwald (el Monte
de Castaños
) in eine Gegend, die mit einigen Lorbeerarten
und der baumartigen Heide bewachſen iſt. Der Stamm der
letzteren wird hier ausnehmend dick, und die Blüten, mit denen
der Strauch einen großen Teil des Jahres bedeckt iſt, ſtechen
angenehm ab von den Blüten des Hypericum canariense,
das in dieſer Höhe ſehr häufig vorkommt. Wir machten unter
einer ſchönen Tanne Halt, um uns mit Waſſer zu verſehen.
Dieſer Platz iſt im Lande unter dem Namen Pino del Dor-
najito
bekannt; ſeine Meereshöhe beträgt nach Bordas baro-
metriſcher Meſſung 1017 m. Man hat da eine prachtvolle
Ausſicht auf das Meer und die ganze Weſtſeite der Inſel.
Beim Pino del Dornajito, etwas rechts vom Wege, ſprudelt
eine ziemlich reiche Quelle; wir tauchten ein Thermometer

1 Aristoteles de longit. vitae. cap. 6.
2 Schousboe (Flora von Marokko) erwähnt ſeiner nicht einmal
unter den kultivierten Pflanzen, während er doch vom Kaktus, von
der Agave und der Yukka ſpricht. Die Geſtalt des Drachenbaumes
kommt verſchiedenen Arten der Gattung Dracäna am Kap der
guten Hoffnung, in China und auf Neuſeeland zu; aber in der
Neuen Welt vertritt die Yukka die Stelle derſelben; denn die
Dracaena borealis d’Aitons iſt eine Convallaria, deren Habitus
ſie auch hat. Der im Handel unter dem Namen Drachenblut be-
kannte adſtringierende Saft kommt nach unſeren Unterſuchungen an
Ort und Stelle von verſchiedenen amerikaniſchen Pflanzen, die nicht
derſelben Gattung angehören, unter denen ſich einige Lianen be-
finden. In Laguna verfertigt man in Nonnenklöſtern Zahnſtocher,
die mit dem Saft des Drachenbaumes gefärbt ſind, und die man
uns ſehr anpries, weil ſie das Zahnfleiſch konſervieren ſollten.
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[75/0091] „die ewige Jugend der Natur“, 1 die eine unerſchöpfliche Quelle von Bewegung und Leben iſt. Der Drachenbaum, der nur in den angebauten Strichen der Kanarien, auf Madeira und Porto Santo vorkommt, iſt eine merkwürdige Erſcheinung in Beziehung auf die Wande- rung der Gewächſe. Auf dem Kontinent von Afrika 2 iſt er nirgends wild gefunden worden, und Oſtindien iſt ſein eigent- liches Vaterland. Auf welchem Wege iſt der Baum nach Tenerifa verpflanzt worden, wo er gar nicht häufig vorkommt? Iſt ſein Daſein ein Beweis dafür, daß in ſehr entlegener Zeit die Guanchen mit anderen, mit aſiatiſchen Völkern in Verkehr geſtanden haben? Von Villa de Orotava gelangten wir auf einem ſchmalen ſteinigen Pfade durch einen ſchönen Kaſtanienwald (el Monte de Castaños) in eine Gegend, die mit einigen Lorbeerarten und der baumartigen Heide bewachſen iſt. Der Stamm der letzteren wird hier ausnehmend dick, und die Blüten, mit denen der Strauch einen großen Teil des Jahres bedeckt iſt, ſtechen angenehm ab von den Blüten des Hypericum canariense, das in dieſer Höhe ſehr häufig vorkommt. Wir machten unter einer ſchönen Tanne Halt, um uns mit Waſſer zu verſehen. Dieſer Platz iſt im Lande unter dem Namen Pino del Dor- najito bekannt; ſeine Meereshöhe beträgt nach Bordas baro- metriſcher Meſſung 1017 m. Man hat da eine prachtvolle Ausſicht auf das Meer und die ganze Weſtſeite der Inſel. Beim Pino del Dornajito, etwas rechts vom Wege, ſprudelt eine ziemlich reiche Quelle; wir tauchten ein Thermometer 1 Aristoteles de longit. vitae. cap. 6. 2 Schousboe (Flora von Marokko) erwähnt ſeiner nicht einmal unter den kultivierten Pflanzen, während er doch vom Kaktus, von der Agave und der Yukka ſpricht. Die Geſtalt des Drachenbaumes kommt verſchiedenen Arten der Gattung Dracäna am Kap der guten Hoffnung, in China und auf Neuſeeland zu; aber in der Neuen Welt vertritt die Yukka die Stelle derſelben; denn die Dracaena borealis d’Aitons iſt eine Convallaria, deren Habitus ſie auch hat. Der im Handel unter dem Namen Drachenblut be- kannte adſtringierende Saft kommt nach unſeren Unterſuchungen an Ort und Stelle von verſchiedenen amerikaniſchen Pflanzen, die nicht derſelben Gattung angehören, unter denen ſich einige Lianen be- finden. In Laguna verfertigt man in Nonnenklöſtern Zahnſtocher, die mit dem Saft des Drachenbaumes gefärbt ſind, und die man uns ſehr anpries, weil ſie das Zahnfleiſch konſervieren ſollten.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/91>, abgerufen am 28.03.2024.