Hafen von Orotava. Dort ergreift der Gegensatz zwischen einer lachenden, reich bebauten Ebene und der wilden Phy- siognomie des Vulkanes. Von den Palmen- und Bananen- gruppen am Strande bis zu der Region der Arbutus, der Lor- beeren und Pinien ist das vulkanische Gestein mit kräftigem Pflanzenwuchs bedeckt. Man begreift, wie sogar Völker, welche unter dem schönen Himmel von Griechenland und Italien wohnen, im östlichen Teil von Tenerifa eine der glückseligen Inseln gefunden zu haben meinten. Die Ostküste dagegen, an der Santa Cruz liegt, trägt überall den Stempel der Un- fruchtbarkeit. Der Gipfel des Piks ist nicht öder als das Vorgebirge aus basaltischer Lava, das der Punta de Naga zuläuft, und wo Fettpflanzen in den Ritzen des Gesteines eben erst den Grund zu einstiger Dammerde legen. Im Hafen von Orotava erscheint die Spitze des Zuckerhutes unter einem Winkel von mehr als 161/2°, während auf dem Hafendamm von Santa Cruz der Winkel kaum 4° 36' beträgt. 1
Trotz diesem Unterschied, und obgleich am letzteren Orte der Vulkan kaum so weit über den Horizont aufsteigt als der Vesuv, vom Molo von Neapel aus gesehen, so ist dennoch der Anblick des Piks, wenn man ihn vor Anker auf der Reede zum erstenmal sieht, äußerst großartig. Wir sahen nur den Zuckerhut; sein Kegel hob sich vom reinsten Himmelsblau ab, während schwarze dicke Wolken den übrigen Berg bis auf 3500 m Höhe einhüllten. Der Bimsstein, von den ersten Sonnenstrahlen beleuchtet, warf ein rötliches Licht zurück, dem ähnlich, das häufig die Gipfel der Hochalpen färbt. Allmäh- lich ging dieser Schimmer in das blendendste Weiß über, und es ging uns wie den meisten Reisenden, wir meinten, der Pik sei noch mit Schnee bedeckt und wir werden nur mit großer Mühe an den Rand des Kraters gelangen können.
Wir haben in der Kordillere der Anden die Beobachtung gemacht, daß Kegelberge, wie der Cotopaxi und der Tungu- ragua, sich öfter unbewölkt zeigen als Berge, deren Krone mit vielen kleinen Unebenheiten besetzt ist, wie der Antisana und der Pichincha; aber der Pic von Tenerifa ist, trotz seiner Kegelgestalt, einen großen Teil des Jahres in Dunst gehüllt, und zuweilen sieht man ihn auf der Reede von Santa Cruz mehrere Wochen lang nicht ein einziges Mal. Die Erschei-
1 Die Spitze des Vulkanes ist von Orotava etwa 16,5 km, von Santa Cruz 44 km entfernt.
Hafen von Orotava. Dort ergreift der Gegenſatz zwiſchen einer lachenden, reich bebauten Ebene und der wilden Phy- ſiognomie des Vulkanes. Von den Palmen- und Bananen- gruppen am Strande bis zu der Region der Arbutus, der Lor- beeren und Pinien iſt das vulkaniſche Geſtein mit kräftigem Pflanzenwuchs bedeckt. Man begreift, wie ſogar Völker, welche unter dem ſchönen Himmel von Griechenland und Italien wohnen, im öſtlichen Teil von Tenerifa eine der glückſeligen Inſeln gefunden zu haben meinten. Die Oſtküſte dagegen, an der Santa Cruz liegt, trägt überall den Stempel der Un- fruchtbarkeit. Der Gipfel des Piks iſt nicht öder als das Vorgebirge aus baſaltiſcher Lava, das der Punta de Naga zuläuft, und wo Fettpflanzen in den Ritzen des Geſteines eben erſt den Grund zu einſtiger Dammerde legen. Im Hafen von Orotava erſcheint die Spitze des Zuckerhutes unter einem Winkel von mehr als 16½°, während auf dem Hafendamm von Santa Cruz der Winkel kaum 4° 36′ beträgt. 1
Trotz dieſem Unterſchied, und obgleich am letzteren Orte der Vulkan kaum ſo weit über den Horizont aufſteigt als der Veſuv, vom Molo von Neapel aus geſehen, ſo iſt dennoch der Anblick des Piks, wenn man ihn vor Anker auf der Reede zum erſtenmal ſieht, äußerſt großartig. Wir ſahen nur den Zuckerhut; ſein Kegel hob ſich vom reinſten Himmelsblau ab, während ſchwarze dicke Wolken den übrigen Berg bis auf 3500 m Höhe einhüllten. Der Bimsſtein, von den erſten Sonnenſtrahlen beleuchtet, warf ein rötliches Licht zurück, dem ähnlich, das häufig die Gipfel der Hochalpen färbt. Allmäh- lich ging dieſer Schimmer in das blendendſte Weiß über, und es ging uns wie den meiſten Reiſenden, wir meinten, der Pik ſei noch mit Schnee bedeckt und wir werden nur mit großer Mühe an den Rand des Kraters gelangen können.
Wir haben in der Kordillere der Anden die Beobachtung gemacht, daß Kegelberge, wie der Cotopaxi und der Tungu- ragua, ſich öfter unbewölkt zeigen als Berge, deren Krone mit vielen kleinen Unebenheiten beſetzt iſt, wie der Antiſana und der Pichincha; aber der Pic von Tenerifa iſt, trotz ſeiner Kegelgeſtalt, einen großen Teil des Jahres in Dunſt gehüllt, und zuweilen ſieht man ihn auf der Reede von Santa Cruz mehrere Wochen lang nicht ein einziges Mal. Die Erſchei-
1 Die Spitze des Vulkanes iſt von Orotava etwa 16,5 km, von Santa Cruz 44 km entfernt.
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Hafen von Orotava. Dort ergreift der Gegenſatz zwiſchen
einer lachenden, reich bebauten Ebene und der wilden Phy-
ſiognomie des Vulkanes. Von den Palmen- und Bananen-
gruppen am Strande bis zu der Region der Arbutus, der Lor-
beeren und Pinien iſt das vulkaniſche Geſtein mit kräftigem
Pflanzenwuchs bedeckt. Man begreift, wie ſogar Völker, welche
unter dem ſchönen Himmel von Griechenland und Italien
wohnen, im öſtlichen Teil von Tenerifa eine der glückſeligen
Inſeln gefunden zu haben meinten. Die Oſtküſte dagegen,
an der Santa Cruz liegt, trägt überall den Stempel der Un-
fruchtbarkeit. Der Gipfel des Piks iſt nicht öder als das
Vorgebirge aus baſaltiſcher Lava, das der Punta de Naga
zuläuft, und wo Fettpflanzen in den Ritzen des Geſteines eben
erſt den Grund zu einſtiger Dammerde legen. Im Hafen von
Orotava erſcheint die Spitze des Zuckerhutes unter einem Winkel
von mehr als 16½°, während auf dem Hafendamm von Santa
Cruz der Winkel kaum 4° 36′ beträgt. 1
Trotz dieſem Unterſchied, und obgleich am letzteren Orte
der Vulkan kaum ſo weit über den Horizont aufſteigt als der
Veſuv, vom Molo von Neapel aus geſehen, ſo iſt dennoch der
Anblick des Piks, wenn man ihn vor Anker auf der Reede
zum erſtenmal ſieht, äußerſt großartig. Wir ſahen nur den
Zuckerhut; ſein Kegel hob ſich vom reinſten Himmelsblau ab,
während ſchwarze dicke Wolken den übrigen Berg bis auf
3500 m Höhe einhüllten. Der Bimsſtein, von den erſten
Sonnenſtrahlen beleuchtet, warf ein rötliches Licht zurück, dem
ähnlich, das häufig die Gipfel der Hochalpen färbt. Allmäh-
lich ging dieſer Schimmer in das blendendſte Weiß über, und
es ging uns wie den meiſten Reiſenden, wir meinten, der
Pik ſei noch mit Schnee bedeckt und wir werden nur mit
großer Mühe an den Rand des Kraters gelangen können.
Wir haben in der Kordillere der Anden die Beobachtung
gemacht, daß Kegelberge, wie der Cotopaxi und der Tungu-
ragua, ſich öfter unbewölkt zeigen als Berge, deren Krone mit
vielen kleinen Unebenheiten beſetzt iſt, wie der Antiſana und
der Pichincha; aber der Pic von Tenerifa iſt, trotz ſeiner
Kegelgeſtalt, einen großen Teil des Jahres in Dunſt gehüllt,
und zuweilen ſieht man ihn auf der Reede von Santa Cruz
mehrere Wochen lang nicht ein einziges Mal. Die Erſchei-
1 Die Spitze des Vulkanes iſt von Orotava etwa 16,5 km, von
Santa Cruz 44 km entfernt.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/73>, abgerufen am 16.02.2025.
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