unter dem Parallel von Kap Cannaveral, kehrt sich der Golf- strom oder Strom von Florida nach Nordost. Er gleicht hier einem reißenden Strome und erreicht zuweilen die Geschwindig- keit von 22,5 km in der Stunde. Der Steuermann kann, sobald er den Rand der Strömung erreicht, mit ziemlicher Sicherheit abnehmen, um was er sich in seiner Schätzung ge- irrt, und wie weit er noch nach New York, Philadelphia oder Charlestown hat; die hohe Temperatur des Wassers, sein starker Salzgehalt, die indigoblaue Farbe und die schwimmen- den Massen Tang, endlich die im Winter sehr merkbare Er- höhung der Lufttemperatur geben den Golfstrom zu erkennen. Gegen Norden nimmt seine Geschwindigkeit ab, während seine Breite zunimmt und die Gewässer sich abkühlen. Zwischen Cayo Biscaino und der Bank von Bahama ist er nur 67,5 km, unter 281/2° Breite schon 76,5, und unter dem Parallel von Charlestown, Kap Henlopen gegenüber, 180 bis 225 km breit. Wo die Strömung am schmälsten ist, erreicht sie eine Ge- schwindigkeit von 13,5 bis 18 km in der Stunde, weiter nach Norden zu beträgt dieselbe nur noch 4,5 km. Die Gewässer des mexikanischen Meerbusens behalten auf ihrem gewaltigen Zuge nach Nordost ihre hohe Temperatur dermaßen, daß ich unter 40 und 41° der Breite noch 22,5° beobachtete, während außerhalb des Stromes das Wasser an der Oberfläche kaum 17,5° warm war. Unter der Breite von New York und Oporto zeigt somit der Golfstrom dieselbe Temperatur wie die tropischen Meere unter 18° Breite, also unter der Breite von Portorico und der Inseln des grünen Vorgebirges.
Vom Hafen von Boston an und unter dem Meridian von Halifax, unter 41° 25' der Breite und 67° der Länge, erreicht der Strom gegen 148 km Breite. Hier kehrt er sich auf einmal nach Ost, so daß sein westlicher Rand bei der Umbiegung zur nördlichen Grenze der bewegten Wasser wird und er an der Spitze der großen Bank von Neufundland wegstreicht, die Volney sinnreich die Barre an der Mündung dieses ungeheuren Meerstromes nennt. Höchst auffallend ist der Abstand zwischen der Temperatur des kalten Wassers über dieser Bank und der Wärme der Gewässer der heißen Zone, die durch den Golfstrom nach Norden getrieben werden; jene betrug nach meinen Beobachtungen 8,7 bis 10°, diese 21 bis 22,5°. In diesen Strichen ist die Wärme im Meere höchst sonderbar verteilt, die Gewässer der Bank sind um 9,4° kälter als das benachbarte Meer, und dieses ist um 3° kälter als
unter dem Parallel von Kap Cañaveral, kehrt ſich der Golf- ſtrom oder Strom von Florida nach Nordoſt. Er gleicht hier einem reißenden Strome und erreicht zuweilen die Geſchwindig- keit von 22,5 km in der Stunde. Der Steuermann kann, ſobald er den Rand der Strömung erreicht, mit ziemlicher Sicherheit abnehmen, um was er ſich in ſeiner Schätzung ge- irrt, und wie weit er noch nach New York, Philadelphia oder Charlestown hat; die hohe Temperatur des Waſſers, ſein ſtarker Salzgehalt, die indigoblaue Farbe und die ſchwimmen- den Maſſen Tang, endlich die im Winter ſehr merkbare Er- höhung der Lufttemperatur geben den Golfſtrom zu erkennen. Gegen Norden nimmt ſeine Geſchwindigkeit ab, während ſeine Breite zunimmt und die Gewäſſer ſich abkühlen. Zwiſchen Cayo Biscaino und der Bank von Bahama iſt er nur 67,5 km, unter 28½° Breite ſchon 76,5, und unter dem Parallel von Charlestown, Kap Henlopen gegenüber, 180 bis 225 km breit. Wo die Strömung am ſchmälſten iſt, erreicht ſie eine Ge- ſchwindigkeit von 13,5 bis 18 km in der Stunde, weiter nach Norden zu beträgt dieſelbe nur noch 4,5 km. Die Gewäſſer des mexikaniſchen Meerbuſens behalten auf ihrem gewaltigen Zuge nach Nordoſt ihre hohe Temperatur dermaßen, daß ich unter 40 und 41° der Breite noch 22,5° beobachtete, während außerhalb des Stromes das Waſſer an der Oberfläche kaum 17,5° warm war. Unter der Breite von New York und Oporto zeigt ſomit der Golfſtrom dieſelbe Temperatur wie die tropiſchen Meere unter 18° Breite, alſo unter der Breite von Portorico und der Inſeln des grünen Vorgebirges.
Vom Hafen von Boſton an und unter dem Meridian von Halifax, unter 41° 25′ der Breite und 67° der Länge, erreicht der Strom gegen 148 km Breite. Hier kehrt er ſich auf einmal nach Oſt, ſo daß ſein weſtlicher Rand bei der Umbiegung zur nördlichen Grenze der bewegten Waſſer wird und er an der Spitze der großen Bank von Neufundland wegſtreicht, die Volney ſinnreich die Barre an der Mündung dieſes ungeheuren Meerſtromes nennt. Höchſt auffallend iſt der Abſtand zwiſchen der Temperatur des kalten Waſſers über dieſer Bank und der Wärme der Gewäſſer der heißen Zone, die durch den Golfſtrom nach Norden getrieben werden; jene betrug nach meinen Beobachtungen 8,7 bis 10°, dieſe 21 bis 22,5°. In dieſen Strichen iſt die Wärme im Meere höchſt ſonderbar verteilt, die Gewäſſer der Bank ſind um 9,4° kälter als das benachbarte Meer, und dieſes iſt um 3° kälter als
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0041"n="25"/>
unter dem Parallel von Kap Cañaveral, kehrt ſich der Golf-<lb/>ſtrom oder Strom von Florida nach Nordoſt. Er gleicht hier<lb/>
einem reißenden Strome und erreicht zuweilen die Geſchwindig-<lb/>
keit von 22,5 <hirendition="#aq">km</hi> in der Stunde. Der Steuermann kann,<lb/>ſobald er den Rand der Strömung erreicht, mit ziemlicher<lb/>
Sicherheit abnehmen, um was er ſich in ſeiner Schätzung ge-<lb/>
irrt, und wie weit er noch nach New York, Philadelphia oder<lb/>
Charlestown hat; die hohe Temperatur des Waſſers, ſein<lb/>ſtarker Salzgehalt, die indigoblaue Farbe und die ſchwimmen-<lb/>
den Maſſen Tang, endlich die im Winter ſehr merkbare Er-<lb/>
höhung der Lufttemperatur geben den Golfſtrom zu erkennen.<lb/>
Gegen Norden nimmt ſeine Geſchwindigkeit ab, während ſeine<lb/>
Breite zunimmt und die Gewäſſer ſich abkühlen. Zwiſchen<lb/>
Cayo Biscaino und der Bank von Bahama iſt er nur 67,5 <hirendition="#aq">km</hi>,<lb/>
unter 28½° Breite ſchon 76,5, und unter dem Parallel von<lb/>
Charlestown, Kap Henlopen gegenüber, 180 bis 225 <hirendition="#aq">km</hi> breit.<lb/>
Wo die Strömung am ſchmälſten iſt, erreicht ſie eine Ge-<lb/>ſchwindigkeit von 13,5 bis 18 <hirendition="#aq">km</hi> in der Stunde, weiter nach<lb/>
Norden zu beträgt dieſelbe nur noch 4,5 <hirendition="#aq">km.</hi> Die Gewäſſer<lb/>
des mexikaniſchen Meerbuſens behalten auf ihrem gewaltigen<lb/>
Zuge nach Nordoſt ihre hohe Temperatur dermaßen, daß ich<lb/>
unter 40 und 41° der Breite noch 22,5° beobachtete, während<lb/>
außerhalb des Stromes das Waſſer an der Oberfläche kaum<lb/>
17,5° warm war. Unter der Breite von New York und<lb/>
Oporto zeigt ſomit der Golfſtrom dieſelbe Temperatur wie<lb/>
die tropiſchen Meere unter 18° Breite, alſo unter der Breite<lb/>
von Portorico und der Inſeln des grünen Vorgebirges.</p><lb/><p>Vom Hafen von Boſton an und unter dem Meridian<lb/>
von Halifax, unter 41° 25′ der Breite und 67° der Länge,<lb/>
erreicht der Strom gegen 148 <hirendition="#aq">km</hi> Breite. Hier kehrt er ſich<lb/>
auf einmal nach Oſt, ſo daß ſein weſtlicher Rand bei der<lb/>
Umbiegung zur nördlichen Grenze der bewegten Waſſer wird<lb/>
und er an der Spitze der großen Bank von Neufundland<lb/>
wegſtreicht, die Volney ſinnreich die Barre an der Mündung<lb/>
dieſes ungeheuren Meerſtromes nennt. Höchſt auffallend iſt<lb/>
der Abſtand zwiſchen der Temperatur des kalten Waſſers über<lb/>
dieſer Bank und der Wärme der Gewäſſer der heißen Zone,<lb/>
die durch den Golfſtrom nach Norden getrieben werden; jene<lb/>
betrug nach meinen Beobachtungen 8,7 bis 10°, dieſe 21 bis<lb/>
22,5°. In dieſen Strichen iſt die Wärme im Meere höchſt<lb/>ſonderbar verteilt, die Gewäſſer der Bank ſind um 9,4° kälter<lb/>
als das benachbarte Meer, und dieſes iſt um 3° kälter als<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[25/0041]
unter dem Parallel von Kap Cañaveral, kehrt ſich der Golf-
ſtrom oder Strom von Florida nach Nordoſt. Er gleicht hier
einem reißenden Strome und erreicht zuweilen die Geſchwindig-
keit von 22,5 km in der Stunde. Der Steuermann kann,
ſobald er den Rand der Strömung erreicht, mit ziemlicher
Sicherheit abnehmen, um was er ſich in ſeiner Schätzung ge-
irrt, und wie weit er noch nach New York, Philadelphia oder
Charlestown hat; die hohe Temperatur des Waſſers, ſein
ſtarker Salzgehalt, die indigoblaue Farbe und die ſchwimmen-
den Maſſen Tang, endlich die im Winter ſehr merkbare Er-
höhung der Lufttemperatur geben den Golfſtrom zu erkennen.
Gegen Norden nimmt ſeine Geſchwindigkeit ab, während ſeine
Breite zunimmt und die Gewäſſer ſich abkühlen. Zwiſchen
Cayo Biscaino und der Bank von Bahama iſt er nur 67,5 km,
unter 28½° Breite ſchon 76,5, und unter dem Parallel von
Charlestown, Kap Henlopen gegenüber, 180 bis 225 km breit.
Wo die Strömung am ſchmälſten iſt, erreicht ſie eine Ge-
ſchwindigkeit von 13,5 bis 18 km in der Stunde, weiter nach
Norden zu beträgt dieſelbe nur noch 4,5 km. Die Gewäſſer
des mexikaniſchen Meerbuſens behalten auf ihrem gewaltigen
Zuge nach Nordoſt ihre hohe Temperatur dermaßen, daß ich
unter 40 und 41° der Breite noch 22,5° beobachtete, während
außerhalb des Stromes das Waſſer an der Oberfläche kaum
17,5° warm war. Unter der Breite von New York und
Oporto zeigt ſomit der Golfſtrom dieſelbe Temperatur wie
die tropiſchen Meere unter 18° Breite, alſo unter der Breite
von Portorico und der Inſeln des grünen Vorgebirges.
Vom Hafen von Boſton an und unter dem Meridian
von Halifax, unter 41° 25′ der Breite und 67° der Länge,
erreicht der Strom gegen 148 km Breite. Hier kehrt er ſich
auf einmal nach Oſt, ſo daß ſein weſtlicher Rand bei der
Umbiegung zur nördlichen Grenze der bewegten Waſſer wird
und er an der Spitze der großen Bank von Neufundland
wegſtreicht, die Volney ſinnreich die Barre an der Mündung
dieſes ungeheuren Meerſtromes nennt. Höchſt auffallend iſt
der Abſtand zwiſchen der Temperatur des kalten Waſſers über
dieſer Bank und der Wärme der Gewäſſer der heißen Zone,
die durch den Golfſtrom nach Norden getrieben werden; jene
betrug nach meinen Beobachtungen 8,7 bis 10°, dieſe 21 bis
22,5°. In dieſen Strichen iſt die Wärme im Meere höchſt
ſonderbar verteilt, die Gewäſſer der Bank ſind um 9,4° kälter
als das benachbarte Meer, und dieſes iſt um 3° kälter als
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/41>, abgerufen am 18.05.2022.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2022. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.