und von da nach Südamerika bietet wenig Bemerkenswertes, zumal in der guten Jahreszeit. Es ist weniger Gefahr dabei als oft bei der Ueberfahrt über die großen Schweizer Seen. Ich teile daher hier nur die allgemeinen Ergebnisse meiner magnetischen und meteorologischen Versuche in diesem Meeres- striche mit.
Am 9. Juni, unter 39° 50' der Breite und 16° 10' westlicher Länge vom Meridian der Pariser Sternwarte, fingen wir an die Wirkung der großen Strömung zu spüren, welche von den Azorischen Inseln nach der Meerenge von Gibraltar und nach den Kanarischen Inseln geht. Indem ich den Punkt, den mir der Gang der Berthoudschen Seeuhr angab, mit des Steuermanns Schätzung verglich, konnte ich die kleinsten Aenderungen in der Richtung und Geschwindigkeit der Strö- mungen bemerken. Zwischen dem 37. und 30. Breitengrade wurde das Schiff in 24 Stunden zuweilen 81 bis 117 km nach Ost getrieben. Anfänglich war die Richtung des Stromes Ost 1/4 Südost, aber in der Nähe der Meerenge wurde sie genau Ost. Kapitän Macintosh und einer der gebildetsten Seefahrer unserer Zeit, Sir Erasmus Gower, haben die Ver- änderungen beobachtet, welche in dieser Bewegung des Wassers zu verschiedenen Zeiten des Jahres eintreten. Es kommt nicht selten vor, daß Schiffer, welche die Kanarischen Inseln besuchen, sich an der Küste von Lancerota befinden, während sie meinten, an Tenerifa landen zu können. Bougainville befand sich auf seiner Ueberfahrt vom Kap Finisterre nach den Kanarien im Angesicht der Insel Ferro um 4° weiter nach Ost, als seine Rechnung ihm ergab.
Gemeinhin erklärt man die Strömung, die sich zwischen den Azorischen Inseln, der Südküste von Portugal und den Kanarien merkbar macht, daraus, daß das Wasser des Atlan- tischen Ozeans durch die Meerenge von Gibraltar einen Zug nach Osten erhalte. De Fleurieu behauptet sogar in den An- merkungen zur Reise des Kapitän Marchand, der Umstand, daß das Mittelmeer durch die Verdunstung mehr Wasser verliere, als die Flüsse einwerfen, bringe im benachbarten Weltmeer eine Bewegung hervor, und der Einfluß der Meerenge sei 2700 km weit auf offener See zu spüren. Bei aller Hoch- achtung, die ich einem Seefahrer schuldig bin, dessen mit Recht sehr geschätzten Werken ich viel zu danken habe, muß es mir gestattet sein, diesen wichtigen Gegenstand aus einem weit allgemeineren Gesichtspunkte zu betrachten.
und von da nach Südamerika bietet wenig Bemerkenswertes, zumal in der guten Jahreszeit. Es iſt weniger Gefahr dabei als oft bei der Ueberfahrt über die großen Schweizer Seen. Ich teile daher hier nur die allgemeinen Ergebniſſe meiner magnetiſchen und meteorologiſchen Verſuche in dieſem Meeres- ſtriche mit.
Am 9. Juni, unter 39° 50′ der Breite und 16° 10′ weſtlicher Länge vom Meridian der Pariſer Sternwarte, fingen wir an die Wirkung der großen Strömung zu ſpüren, welche von den Azoriſchen Inſeln nach der Meerenge von Gibraltar und nach den Kanariſchen Inſeln geht. Indem ich den Punkt, den mir der Gang der Berthoudſchen Seeuhr angab, mit des Steuermanns Schätzung verglich, konnte ich die kleinſten Aenderungen in der Richtung und Geſchwindigkeit der Strö- mungen bemerken. Zwiſchen dem 37. und 30. Breitengrade wurde das Schiff in 24 Stunden zuweilen 81 bis 117 km nach Oſt getrieben. Anfänglich war die Richtung des Stromes Oſt ¼ Südoſt, aber in der Nähe der Meerenge wurde ſie genau Oſt. Kapitän Macintoſh und einer der gebildetſten Seefahrer unſerer Zeit, Sir Erasmus Gower, haben die Ver- änderungen beobachtet, welche in dieſer Bewegung des Waſſers zu verſchiedenen Zeiten des Jahres eintreten. Es kommt nicht ſelten vor, daß Schiffer, welche die Kanariſchen Inſeln beſuchen, ſich an der Küſte von Lancerota befinden, während ſie meinten, an Tenerifa landen zu können. Bougainville befand ſich auf ſeiner Ueberfahrt vom Kap Finisterre nach den Kanarien im Angeſicht der Inſel Ferro um 4° weiter nach Oſt, als ſeine Rechnung ihm ergab.
Gemeinhin erklärt man die Strömung, die ſich zwiſchen den Azoriſchen Inſeln, der Südküſte von Portugal und den Kanarien merkbar macht, daraus, daß das Waſſer des Atlan- tiſchen Ozeans durch die Meerenge von Gibraltar einen Zug nach Oſten erhalte. De Fleurieu behauptet ſogar in den An- merkungen zur Reiſe des Kapitän Marchand, der Umſtand, daß das Mittelmeer durch die Verdunſtung mehr Waſſer verliere, als die Flüſſe einwerfen, bringe im benachbarten Weltmeer eine Bewegung hervor, und der Einfluß der Meerenge ſei 2700 km weit auf offener See zu ſpüren. Bei aller Hoch- achtung, die ich einem Seefahrer ſchuldig bin, deſſen mit Recht ſehr geſchätzten Werken ich viel zu danken habe, muß es mir geſtattet ſein, dieſen wichtigen Gegenſtand aus einem weit allgemeineren Geſichtspunkte zu betrachten.
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[22/0038]
und von da nach Südamerika bietet wenig Bemerkenswertes,
zumal in der guten Jahreszeit. Es iſt weniger Gefahr dabei
als oft bei der Ueberfahrt über die großen Schweizer Seen.
Ich teile daher hier nur die allgemeinen Ergebniſſe meiner
magnetiſchen und meteorologiſchen Verſuche in dieſem Meeres-
ſtriche mit.
Am 9. Juni, unter 39° 50′ der Breite und 16° 10′
weſtlicher Länge vom Meridian der Pariſer Sternwarte, fingen
wir an die Wirkung der großen Strömung zu ſpüren, welche
von den Azoriſchen Inſeln nach der Meerenge von Gibraltar
und nach den Kanariſchen Inſeln geht. Indem ich den Punkt,
den mir der Gang der Berthoudſchen Seeuhr angab, mit des
Steuermanns Schätzung verglich, konnte ich die kleinſten
Aenderungen in der Richtung und Geſchwindigkeit der Strö-
mungen bemerken. Zwiſchen dem 37. und 30. Breitengrade
wurde das Schiff in 24 Stunden zuweilen 81 bis 117 km
nach Oſt getrieben. Anfänglich war die Richtung des Stromes
Oſt ¼ Südoſt, aber in der Nähe der Meerenge wurde ſie
genau Oſt. Kapitän Macintoſh und einer der gebildetſten
Seefahrer unſerer Zeit, Sir Erasmus Gower, haben die Ver-
änderungen beobachtet, welche in dieſer Bewegung des Waſſers
zu verſchiedenen Zeiten des Jahres eintreten. Es kommt
nicht ſelten vor, daß Schiffer, welche die Kanariſchen Inſeln
beſuchen, ſich an der Küſte von Lancerota befinden, während
ſie meinten, an Tenerifa landen zu können. Bougainville
befand ſich auf ſeiner Ueberfahrt vom Kap Finisterre nach
den Kanarien im Angeſicht der Inſel Ferro um 4° weiter
nach Oſt, als ſeine Rechnung ihm ergab.
Gemeinhin erklärt man die Strömung, die ſich zwiſchen
den Azoriſchen Inſeln, der Südküſte von Portugal und den
Kanarien merkbar macht, daraus, daß das Waſſer des Atlan-
tiſchen Ozeans durch die Meerenge von Gibraltar einen Zug
nach Oſten erhalte. De Fleurieu behauptet ſogar in den An-
merkungen zur Reiſe des Kapitän Marchand, der Umſtand,
daß das Mittelmeer durch die Verdunſtung mehr Waſſer verliere,
als die Flüſſe einwerfen, bringe im benachbarten Weltmeer
eine Bewegung hervor, und der Einfluß der Meerenge ſei
2700 km weit auf offener See zu ſpüren. Bei aller Hoch-
achtung, die ich einem Seefahrer ſchuldig bin, deſſen mit Recht
ſehr geſchätzten Werken ich viel zu danken habe, muß es mir
geſtattet ſein, dieſen wichtigen Gegenſtand aus einem weit
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/38>, abgerufen am 18.05.2022.
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