Seereise angetreten hat. Welche Erinnerungen werden in der Einbildungskraft wach, wenn so ein leuchtender Punkt in finsterer Nacht, der von Zeit zu Zeit aus den bewegten Wellen aufblitzt, die Küste des Heimatlandes bezeichnet!
Wir mußten die oberen Segel einziehen. Wir segelten zehn Knoten in der Stunde, obgleich die Korvette nicht zum Schnellsegeln gebaut war. Um sechs Uhr morgens wurde das Schlingern so heftig, daß die kleine Bramstenge brach. Der Unfall hatte indessen keine schlimmen Folgen. Wir brauchten zur Ueberfahrt von Corunda nach den Kanarien dreizehn Tage, und dies war lang genug, um uns in so stark befahrenen Strichen wie die Küsten von Portugal der Gefahr auszusetzen, auf englische Schiffe zu stoßen. Die ersten drei Tage zeigte sich kein Segel am Horizont, und dies beruhigte nachgerade unsere Mannschaft, die sich auf kein Gefecht einlassen konnte.
Am 7. liefen wir über den Parallelkreis von Kap Finisterre. Die Gruppe von Granitfelsen, die dieses Vor- gebirge, wie das Vorgebirge Toriannes und den Berg Corcu- bion bilden, heißt Sierra de Torinnona. Das Kap Finisterre ist niedriger als das Land umher, aber die Torinnona ist auf hoher See 76,5 km weit sichtbar, woraus folgt, daß die höchsten Gipfel derselben nicht unter 582 m hoch sein können.
Am 8. bei Sonnenuntergang wurde von den Masten ein englisches Konvoi signalisiert, das gegen Südost an der Küste hinsteuerte. Ihm zu entgehen, wichen wir die Nacht hindurch aus unserem Kurs. Damit durften wir in der großen Kajütte kein Licht mehr haben, um nicht von weitem bemerkt zu werden. Diese Vorsicht, die an Bord aller Kauffahrer beobachtet wird und in dem Reglement für die Paketboote der königlichen Marine vorgeschrieben ist, brachte uns tödliche Langeweile auf den vielen Ueberfahrten, die wir in fünf Jahren zu machen hatten. Wir mußten uns fortwährend der Blendlaternen bedienen, um die Temperatur des Meerwassers zu beobachten oder an der Teilung der astronomischen In- strumente die Zahlen abzulesen. In der heißen Zone, wo die Dämmerung nur einige Minuten dauert, ist man unter diesen Umständen schon um sechs Uhr abends außer Thätig- keit gesetzt. Dies war für mich um so verdrießlicher, als ich vermöge meiner Konstitution nie seekrank wurde, und so oft ich an Bord eines Schiffes war, immer großen Trieb zur Arbeit fühlte.
Eine Fahrt von der spanischen Küste nach den Kanarien
Seereiſe angetreten hat. Welche Erinnerungen werden in der Einbildungskraft wach, wenn ſo ein leuchtender Punkt in finſterer Nacht, der von Zeit zu Zeit aus den bewegten Wellen aufblitzt, die Küſte des Heimatlandes bezeichnet!
Wir mußten die oberen Segel einziehen. Wir ſegelten zehn Knoten in der Stunde, obgleich die Korvette nicht zum Schnellſegeln gebaut war. Um ſechs Uhr morgens wurde das Schlingern ſo heftig, daß die kleine Bramſtenge brach. Der Unfall hatte indeſſen keine ſchlimmen Folgen. Wir brauchten zur Ueberfahrt von Coruña nach den Kanarien dreizehn Tage, und dies war lang genug, um uns in ſo ſtark befahrenen Strichen wie die Küſten von Portugal der Gefahr auszuſetzen, auf engliſche Schiffe zu ſtoßen. Die erſten drei Tage zeigte ſich kein Segel am Horizont, und dies beruhigte nachgerade unſere Mannſchaft, die ſich auf kein Gefecht einlaſſen konnte.
Am 7. liefen wir über den Parallelkreis von Kap Finisterre. Die Gruppe von Granitfelſen, die dieſes Vor- gebirge, wie das Vorgebirge Toriañes und den Berg Corcu- bion bilden, heißt Sierra de Toriñona. Das Kap Finisterre iſt niedriger als das Land umher, aber die Toriñona iſt auf hoher See 76,5 km weit ſichtbar, woraus folgt, daß die höchſten Gipfel derſelben nicht unter 582 m hoch ſein können.
Am 8. bei Sonnenuntergang wurde von den Maſten ein engliſches Konvoi ſignaliſiert, das gegen Südoſt an der Küſte hinſteuerte. Ihm zu entgehen, wichen wir die Nacht hindurch aus unſerem Kurs. Damit durften wir in der großen Kajütte kein Licht mehr haben, um nicht von weitem bemerkt zu werden. Dieſe Vorſicht, die an Bord aller Kauffahrer beobachtet wird und in dem Reglement für die Paketboote der königlichen Marine vorgeſchrieben iſt, brachte uns tödliche Langeweile auf den vielen Ueberfahrten, die wir in fünf Jahren zu machen hatten. Wir mußten uns fortwährend der Blendlaternen bedienen, um die Temperatur des Meerwaſſers zu beobachten oder an der Teilung der aſtronomiſchen In- ſtrumente die Zahlen abzuleſen. In der heißen Zone, wo die Dämmerung nur einige Minuten dauert, iſt man unter dieſen Umſtänden ſchon um ſechs Uhr abends außer Thätig- keit geſetzt. Dies war für mich um ſo verdrießlicher, als ich vermöge meiner Konſtitution nie ſeekrank wurde, und ſo oft ich an Bord eines Schiffes war, immer großen Trieb zur Arbeit fühlte.
Eine Fahrt von der ſpaniſchen Küſte nach den Kanarien
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Seereiſe angetreten hat. Welche Erinnerungen werden in
der Einbildungskraft wach, wenn ſo ein leuchtender Punkt in
finſterer Nacht, der von Zeit zu Zeit aus den bewegten Wellen
aufblitzt, die Küſte des Heimatlandes bezeichnet!
Wir mußten die oberen Segel einziehen. Wir ſegelten
zehn Knoten in der Stunde, obgleich die Korvette nicht zum
Schnellſegeln gebaut war. Um ſechs Uhr morgens wurde
das Schlingern ſo heftig, daß die kleine Bramſtenge brach. Der
Unfall hatte indeſſen keine ſchlimmen Folgen. Wir brauchten
zur Ueberfahrt von Coruña nach den Kanarien dreizehn Tage,
und dies war lang genug, um uns in ſo ſtark befahrenen
Strichen wie die Küſten von Portugal der Gefahr auszuſetzen,
auf engliſche Schiffe zu ſtoßen. Die erſten drei Tage zeigte
ſich kein Segel am Horizont, und dies beruhigte nachgerade
unſere Mannſchaft, die ſich auf kein Gefecht einlaſſen konnte.
Am 7. liefen wir über den Parallelkreis von Kap
Finisterre. Die Gruppe von Granitfelſen, die dieſes Vor-
gebirge, wie das Vorgebirge Toriañes und den Berg Corcu-
bion bilden, heißt Sierra de Toriñona. Das Kap Finisterre
iſt niedriger als das Land umher, aber die Toriñona iſt auf
hoher See 76,5 km weit ſichtbar, woraus folgt, daß die höchſten
Gipfel derſelben nicht unter 582 m hoch ſein können.
Am 8. bei Sonnenuntergang wurde von den Maſten
ein engliſches Konvoi ſignaliſiert, das gegen Südoſt an der
Küſte hinſteuerte. Ihm zu entgehen, wichen wir die Nacht
hindurch aus unſerem Kurs. Damit durften wir in der großen
Kajütte kein Licht mehr haben, um nicht von weitem bemerkt
zu werden. Dieſe Vorſicht, die an Bord aller Kauffahrer
beobachtet wird und in dem Reglement für die Paketboote
der königlichen Marine vorgeſchrieben iſt, brachte uns tödliche
Langeweile auf den vielen Ueberfahrten, die wir in fünf
Jahren zu machen hatten. Wir mußten uns fortwährend der
Blendlaternen bedienen, um die Temperatur des Meerwaſſers
zu beobachten oder an der Teilung der aſtronomiſchen In-
ſtrumente die Zahlen abzuleſen. In der heißen Zone, wo
die Dämmerung nur einige Minuten dauert, iſt man unter
dieſen Umſtänden ſchon um ſechs Uhr abends außer Thätig-
keit geſetzt. Dies war für mich um ſo verdrießlicher, als ich
vermöge meiner Konſtitution nie ſeekrank wurde, und ſo oft
ich an Bord eines Schiffes war, immer großen Trieb zur
Arbeit fühlte.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/37>, abgerufen am 18.05.2022.
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