eiserne Turm der Herkulesturm? Sollten ihn die Römer auf den Trümmern eines griechischen oder phönizischen Bauwerkes errichtet haben? Wirklich behauptet Strabo, Galicien, das Land der Galläci, sei von griechischen Kolonieen bevölkert ge- wesen. Nach einer Angabe des Asklepiades von Myrtäa in seiner Geographie von Spanien hätten sich nach einer alten Sage die Gefährten des Herkules in diesen Landstrichen nie- dergelassen. 1
Die Höhen von Ferrol und Corunda sind an derselben Bai gelegen, so daß ein Schiff, das bei schlimmem Wetter gegen das Land getrieben wird, je nach der Richtung des Windes, im einen oder im anderen Hafen vor Anker gehen kann. Ein solcher Vorteil ist unschätzbar in Strichen, wo die See fast beständig hoch geht, wie zwischen den Vorgebirgen Ortegal und Finisterre, den Vorgebirgen Trileucum und Arta- brum der alten Geographen. Ein enger, von steilen Granit- felsen gebildeter Kanal führt in das weite Becken von Ferrol. In ganz Europa findet sich kein zweiter Ankerplatz, der so merkwürdig weit ins Land hineinschnitte. Dieser enge, ge- schlängelte Paß, durch den die Schiffe in den Hafen gelangen, sieht aus, als wäre er durch eine Flut oder durch wiederholte Stöße ungemein heftiger Erdbeben eingerissen. In der Neuen Welt, an der Küste von Neuandalusien, hat die Laguna del Opisco, der "Bischofssee", genau dieselbe Gestalt wie der Hafen von Ferrol. Die auffallendsten geologischen Erschei- nungen wiederholen sich auf den Festländern an weit entlegenen Punkten, und der Forscher, der Gelegenheit gehabt, verschiedene Weltteile zu sehen, erstaunt über die durchgehende Gleich- förmigkeit im Ausschnitt der Küsten, im krummen Zug der Thäler, im Anblick der Berge und ihrer Gruppierung. Das zufällige Zusammentreffen derselben Ursachen mußte allerorten dieselben Wirkungen hervorbringen, und mitten aus der Man- nigfaltigkeit der Natur tritt uns in der Anordnung der toten Stoffe, wie in der Organisation der Pflanzen und Tiere eine gewisse Uebereinstimmung in Bau und Gestaltung entgegen.
Auf der Ueberfahrt von Corunda nach Ferrol machten wir über eine Untiefe beim "weißen Signal", in der Bai, die nach d'Anville der portus magnus der Alten war, mittels
1 Die Phönizier und die Griechen besuchten die Küsten von Galicien (Gallaecia) wegen des Handels mit Zinn, das sie von hier wie von den Kassiteridischen Inseln bezogen.
eiſerne Turm der Herkulesturm? Sollten ihn die Römer auf den Trümmern eines griechiſchen oder phöniziſchen Bauwerkes errichtet haben? Wirklich behauptet Strabo, Galicien, das Land der Galläci, ſei von griechiſchen Kolonieen bevölkert ge- weſen. Nach einer Angabe des Asklepiades von Myrtäa in ſeiner Geographie von Spanien hätten ſich nach einer alten Sage die Gefährten des Herkules in dieſen Landſtrichen nie- dergelaſſen. 1
Die Höhen von Ferrol und Coruña ſind an derſelben Bai gelegen, ſo daß ein Schiff, das bei ſchlimmem Wetter gegen das Land getrieben wird, je nach der Richtung des Windes, im einen oder im anderen Hafen vor Anker gehen kann. Ein ſolcher Vorteil iſt unſchätzbar in Strichen, wo die See faſt beſtändig hoch geht, wie zwiſchen den Vorgebirgen Ortegal und Finisterre, den Vorgebirgen Trileucum und Arta- brum der alten Geographen. Ein enger, von ſteilen Granit- felſen gebildeter Kanal führt in das weite Becken von Ferrol. In ganz Europa findet ſich kein zweiter Ankerplatz, der ſo merkwürdig weit ins Land hineinſchnitte. Dieſer enge, ge- ſchlängelte Paß, durch den die Schiffe in den Hafen gelangen, ſieht aus, als wäre er durch eine Flut oder durch wiederholte Stöße ungemein heftiger Erdbeben eingeriſſen. In der Neuen Welt, an der Küſte von Neuandaluſien, hat die Laguna del Opisco, der „Biſchofsſee“, genau dieſelbe Geſtalt wie der Hafen von Ferrol. Die auffallendſten geologiſchen Erſchei- nungen wiederholen ſich auf den Feſtländern an weit entlegenen Punkten, und der Forſcher, der Gelegenheit gehabt, verſchiedene Weltteile zu ſehen, erſtaunt über die durchgehende Gleich- förmigkeit im Ausſchnitt der Küſten, im krummen Zug der Thäler, im Anblick der Berge und ihrer Gruppierung. Das zufällige Zuſammentreffen derſelben Urſachen mußte allerorten dieſelben Wirkungen hervorbringen, und mitten aus der Man- nigfaltigkeit der Natur tritt uns in der Anordnung der toten Stoffe, wie in der Organiſation der Pflanzen und Tiere eine gewiſſe Uebereinſtimmung in Bau und Geſtaltung entgegen.
Auf der Ueberfahrt von Coruña nach Ferrol machten wir über eine Untiefe beim „weißen Signal“, in der Bai, die nach d’Anville der portus magnus der Alten war, mittels
1 Die Phönizier und die Griechen beſuchten die Küſten von Galicien (Gallaecia) wegen des Handels mit Zinn, das ſie von hier wie von den Kaſſiteridiſchen Inſeln bezogen.
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eiſerne Turm der Herkulesturm? Sollten ihn die Römer auf
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errichtet haben? Wirklich behauptet Strabo, Galicien, das
Land der Galläci, ſei von griechiſchen Kolonieen bevölkert ge-
weſen. Nach einer Angabe des Asklepiades von Myrtäa in
ſeiner Geographie von Spanien hätten ſich nach einer alten
Sage die Gefährten des Herkules in dieſen Landſtrichen nie-
dergelaſſen. 1
Die Höhen von Ferrol und Coruña ſind an derſelben
Bai gelegen, ſo daß ein Schiff, das bei ſchlimmem Wetter
gegen das Land getrieben wird, je nach der Richtung des
Windes, im einen oder im anderen Hafen vor Anker gehen
kann. Ein ſolcher Vorteil iſt unſchätzbar in Strichen, wo die
See faſt beſtändig hoch geht, wie zwiſchen den Vorgebirgen
Ortegal und Finisterre, den Vorgebirgen Trileucum und Arta-
brum der alten Geographen. Ein enger, von ſteilen Granit-
felſen gebildeter Kanal führt in das weite Becken von Ferrol.
In ganz Europa findet ſich kein zweiter Ankerplatz, der ſo
merkwürdig weit ins Land hineinſchnitte. Dieſer enge, ge-
ſchlängelte Paß, durch den die Schiffe in den Hafen gelangen,
ſieht aus, als wäre er durch eine Flut oder durch wiederholte
Stöße ungemein heftiger Erdbeben eingeriſſen. In der Neuen
Welt, an der Küſte von Neuandaluſien, hat die Laguna del
Opisco, der „Biſchofsſee“, genau dieſelbe Geſtalt wie der
Hafen von Ferrol. Die auffallendſten geologiſchen Erſchei-
nungen wiederholen ſich auf den Feſtländern an weit entlegenen
Punkten, und der Forſcher, der Gelegenheit gehabt, verſchiedene
Weltteile zu ſehen, erſtaunt über die durchgehende Gleich-
förmigkeit im Ausſchnitt der Küſten, im krummen Zug der
Thäler, im Anblick der Berge und ihrer Gruppierung. Das
zufällige Zuſammentreffen derſelben Urſachen mußte allerorten
dieſelben Wirkungen hervorbringen, und mitten aus der Man-
nigfaltigkeit der Natur tritt uns in der Anordnung der toten
Stoffe, wie in der Organiſation der Pflanzen und Tiere eine
gewiſſe Uebereinſtimmung in Bau und Geſtaltung entgegen.
Auf der Ueberfahrt von Coruña nach Ferrol machten
wir über eine Untiefe beim „weißen Signal“, in der Bai,
die nach d’Anville der portus magnus der Alten war, mittels
1 Die Phönizier und die Griechen beſuchten die Küſten von
Galicien (Gallaecia) wegen des Handels mit Zinn, das ſie von
hier wie von den Kaſſiteridiſchen Inſeln bezogen.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/32>, abgerufen am 18.05.2022.
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