das harmonische Farbenspiel von Wasser, Grün und Himmel, alles ruft dem Reisenden wohlbekannte Empfindungen zurück.
Die Naturschönheiten dieser Berge nahmen uns völlig in Anspruch, und so wurden wir erst am Ende gewahr, daß wir den guten gastfreundlichen Mönchen zur Last fielen. Ihr Vorrat von Wein und Weizenbrote war nur gering, und wenn auch der eine wie das andere dortzulande bei Tische nur als Luxusartikel gelten, so machte es uns doch sehr verlegen, daß unsere Wirte sie sich selbst versagten. Bereits war unsere Brotration auf ein Vierteil herabgekommen. und doch nötigte uns der furchtbare Regen, unsere Abreise noch einige Tage zu verschieben. Wie unendlich lang kam uns dieser Aufschub vor! Wie bange war uns vor der Glocke, die uns ins Re- fektorium rief! Das Zartgefühl der Mönche ließ uns recht lebhaft empfinden, wie ganz anders wir hier daran waren als die Reisenden, die darüber zu klagen haben, daß man ihnen in den koptischen Klöstern Oberägyptens ihren Mund- vorrat entwendet.
Endlich am 22. September brachen wir auf mit Maul- tieren, die unsere Instrumente und Pflanzen trugen. Wir mußten den nordöstlichen Abhang der Kalkalpen von Neu- Andalusien, die wir als die große Kette des Brigantin und Cocollar bezeichnet, hinunter. Die mittlere Höhe dieser Kette beträgt nicht leicht über 1170 bis 1360 m, und sie läßt sich in dieser wie in geologischer Hinsicht mit dem Jura vergleichen. Obgleich die Berge von Cumana nicht sehr hoch sind, so ist der Weg hinunter gegen Cariaco zu doch sehr beschwerlich, ja sogar gefährlich. Besonders berüchtigt ist in dieser Beziehung der Cerro de Santa Maria, an dem die Missionäre hinauf müssen, wenn sie sich von Cumana in ihr Kloster Caripe be- geben. Oft, wenn wir diese Berge, die Anden von Peru, die Pyrenäen und die Alpen, die wir nacheinander besucht, verglichen, wurden wir inne, daß die Berggipfel von der geringsten Meereshöhe nicht selten die unzugänglichsten sind.
Als das Thal von Caripe hinter uns lag, kamen wir zuerst über eine Hügelkette, die nordostwärts vom Kloster liegt. Der Weg führte immer bergan über eine weite Savanne auf die Hochebene Guardia de San Augustin. Hier hielten wir an, um auf den Indianer zu warten, der den Barometer trug; wir befanden uns in 1069 m absoluter Höhe, etwas höher als der Hintergrund der Höhle des Guacharo. Die Sa- vannen oder natürlichen Wiesen, die den Klosterkühen eine
das harmoniſche Farbenſpiel von Waſſer, Grün und Himmel, alles ruft dem Reiſenden wohlbekannte Empfindungen zurück.
Die Naturſchönheiten dieſer Berge nahmen uns völlig in Anſpruch, und ſo wurden wir erſt am Ende gewahr, daß wir den guten gaſtfreundlichen Mönchen zur Laſt fielen. Ihr Vorrat von Wein und Weizenbrote war nur gering, und wenn auch der eine wie das andere dortzulande bei Tiſche nur als Luxusartikel gelten, ſo machte es uns doch ſehr verlegen, daß unſere Wirte ſie ſich ſelbſt verſagten. Bereits war unſere Brotration auf ein Vierteil herabgekommen. und doch nötigte uns der furchtbare Regen, unſere Abreiſe noch einige Tage zu verſchieben. Wie unendlich lang kam uns dieſer Aufſchub vor! Wie bange war uns vor der Glocke, die uns ins Re- fektorium rief! Das Zartgefühl der Mönche ließ uns recht lebhaft empfinden, wie ganz anders wir hier daran waren als die Reiſenden, die darüber zu klagen haben, daß man ihnen in den koptiſchen Klöſtern Oberägyptens ihren Mund- vorrat entwendet.
Endlich am 22. September brachen wir auf mit Maul- tieren, die unſere Inſtrumente und Pflanzen trugen. Wir mußten den nordöſtlichen Abhang der Kalkalpen von Neu- Andaluſien, die wir als die große Kette des Brigantin und Cocollar bezeichnet, hinunter. Die mittlere Höhe dieſer Kette beträgt nicht leicht über 1170 bis 1360 m, und ſie läßt ſich in dieſer wie in geologiſcher Hinſicht mit dem Jura vergleichen. Obgleich die Berge von Cumana nicht ſehr hoch ſind, ſo iſt der Weg hinunter gegen Cariaco zu doch ſehr beſchwerlich, ja ſogar gefährlich. Beſonders berüchtigt iſt in dieſer Beziehung der Cerro de Santa Maria, an dem die Miſſionäre hinauf müſſen, wenn ſie ſich von Cumana in ihr Kloſter Caripe be- geben. Oft, wenn wir dieſe Berge, die Anden von Peru, die Pyrenäen und die Alpen, die wir nacheinander beſucht, verglichen, wurden wir inne, daß die Berggipfel von der geringſten Meereshöhe nicht ſelten die unzugänglichſten ſind.
Als das Thal von Caripe hinter uns lag, kamen wir zuerſt über eine Hügelkette, die nordoſtwärts vom Kloſter liegt. Der Weg führte immer bergan über eine weite Savanne auf die Hochebene Guardia de San Auguſtin. Hier hielten wir an, um auf den Indianer zu warten, der den Barometer trug; wir befanden uns in 1069 m abſoluter Höhe, etwas höher als der Hintergrund der Höhle des Guacharo. Die Sa- vannen oder natürlichen Wieſen, die den Kloſterkühen eine
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das harmoniſche Farbenſpiel von Waſſer, Grün und Himmel,
alles ruft dem Reiſenden wohlbekannte Empfindungen zurück.
Die Naturſchönheiten dieſer Berge nahmen uns völlig
in Anſpruch, und ſo wurden wir erſt am Ende gewahr, daß
wir den guten gaſtfreundlichen Mönchen zur Laſt fielen. Ihr
Vorrat von Wein und Weizenbrote war nur gering, und wenn
auch der eine wie das andere dortzulande bei Tiſche nur
als Luxusartikel gelten, ſo machte es uns doch ſehr verlegen,
daß unſere Wirte ſie ſich ſelbſt verſagten. Bereits war unſere
Brotration auf ein Vierteil herabgekommen. und doch nötigte
uns der furchtbare Regen, unſere Abreiſe noch einige Tage
zu verſchieben. Wie unendlich lang kam uns dieſer Aufſchub
vor! Wie bange war uns vor der Glocke, die uns ins Re-
fektorium rief! Das Zartgefühl der Mönche ließ uns recht
lebhaft empfinden, wie ganz anders wir hier daran waren
als die Reiſenden, die darüber zu klagen haben, daß man
ihnen in den koptiſchen Klöſtern Oberägyptens ihren Mund-
vorrat entwendet.
Endlich am 22. September brachen wir auf mit Maul-
tieren, die unſere Inſtrumente und Pflanzen trugen. Wir
mußten den nordöſtlichen Abhang der Kalkalpen von Neu-
Andaluſien, die wir als die große Kette des Brigantin und
Cocollar bezeichnet, hinunter. Die mittlere Höhe dieſer Kette
beträgt nicht leicht über 1170 bis 1360 m, und ſie läßt ſich
in dieſer wie in geologiſcher Hinſicht mit dem Jura vergleichen.
Obgleich die Berge von Cumana nicht ſehr hoch ſind, ſo iſt
der Weg hinunter gegen Cariaco zu doch ſehr beſchwerlich, ja
ſogar gefährlich. Beſonders berüchtigt iſt in dieſer Beziehung
der Cerro de Santa Maria, an dem die Miſſionäre hinauf
müſſen, wenn ſie ſich von Cumana in ihr Kloſter Caripe be-
geben. Oft, wenn wir dieſe Berge, die Anden von Peru,
die Pyrenäen und die Alpen, die wir nacheinander beſucht,
verglichen, wurden wir inne, daß die Berggipfel von der
geringſten Meereshöhe nicht ſelten die unzugänglichſten ſind.
Als das Thal von Caripe hinter uns lag, kamen wir
zuerſt über eine Hügelkette, die nordoſtwärts vom Kloſter liegt.
Der Weg führte immer bergan über eine weite Savanne auf
die Hochebene Guardia de San Auguſtin. Hier hielten
wir an, um auf den Indianer zu warten, der den Barometer
trug; wir befanden uns in 1069 m abſoluter Höhe, etwas
höher als der Hintergrund der Höhle des Guacharo. Die Sa-
vannen oder natürlichen Wieſen, die den Kloſterkühen eine
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/293>, abgerufen am 22.07.2024.
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