haben. Dieses merkwürdige Phänomen erinnert an die Sagen der Samothraker und andere geschichtliche Zeugnisse, welche darauf hinzuweisen scheinen, daß durch den Ausbruch der Wasser aus den Dardanellen das Becken des Mittelmeeres erweitert und der südliche Teil Europas zerrissen und vom Mittelmeer verschlungen worden ist. Nimmt man an, diese Sagen seien keine geologischen Träume, sondern beruhen wirk- lich auf der Erinnerung an eine uralte Umwälzung, so hätte die spanische Centralhochebene dem Anprall der gewaltigen Fluten widerstanden, bis die Wasser durch die zwischen den Säulen des Herkules sich bildende Meerenge abflossen, so daß der Spiegel des Mittelmeeres allmählich sank und einerseits Niederägypten, andererseits die fruchtbaren Ebenen von Tarra- gona, Valencia und Murcia trocken gelegt wurden. Was mit der Bildung dieses Meeres zusammenhängt, dessen Dasein von so bedeutendem Einfluß auf die frühesten Kulturbewegungen der Menschheit war, ist von ganz besonderem Interesse. Man könnte denken, Spanien, das sich als ein Vorgebirge inmitten der Meere darstellt, verdanke seine Erhaltung seinem hochge- legenen Boden; ehe man aber auf solche theoretische Vor- stellungen Gewicht legt, müßte man erst die Bedenken beseitigen, die sich gegen die Durchbrechung so vieler Dämme erheben, müßte man wahrscheinlich zu machen suchen, daß das Mittel- meer einst in mehrere abgeschlossene Becken geteilt gewesen, deren alte Grenzen durch Sizilien und die Insel Kandia an- gedeutet scheinen. Die Lösung diese Probleme soll uns hier nicht beschäftigen, wir beschränken uns darauf, auf den auf- fallenden Kontrast in der Gestaltung des Landes am östlichen und am westlichen Ende Europas aufmerksam zu machen. Zwischen dem Baltischen und dem Schwarzen Meer erhebt sich das Land gegenwärtig kaum 97,5 m über den Spiegel des Ozeans, während die Hochebene von Mancha, wenn sie zwischen den Quellen des Niemen und des Dnjepr läge, sich als eine Gebirgsgruppe von bedeutender Höhe darstellen würde. Es ist höchst anziehend, auf die Ursachen zurückzugehen, durch welche die Oberfläche unseres Planeten umgestaltet worden sein mag; sicherer ist es aber, sich an diejenigen Seiten der Erscheinungen zu halten, welche der Beobachtung und Messung des Forschers zugänglich sind.
Zwischen Astorga und Corunda, besonders von Lugo an, werden die Berge allmählich höher. Die sekundären Gebirgs- bildungen verschwinden mehr und mehr, und die Uebergangs-
haben. Dieſes merkwürdige Phänomen erinnert an die Sagen der Samothraker und andere geſchichtliche Zeugniſſe, welche darauf hinzuweiſen ſcheinen, daß durch den Ausbruch der Waſſer aus den Dardanellen das Becken des Mittelmeeres erweitert und der ſüdliche Teil Europas zerriſſen und vom Mittelmeer verſchlungen worden iſt. Nimmt man an, dieſe Sagen ſeien keine geologiſchen Träume, ſondern beruhen wirk- lich auf der Erinnerung an eine uralte Umwälzung, ſo hätte die ſpaniſche Centralhochebene dem Anprall der gewaltigen Fluten widerſtanden, bis die Waſſer durch die zwiſchen den Säulen des Herkules ſich bildende Meerenge abfloſſen, ſo daß der Spiegel des Mittelmeeres allmählich ſank und einerſeits Niederägypten, andererſeits die fruchtbaren Ebenen von Tarra- gona, Valencia und Murcia trocken gelegt wurden. Was mit der Bildung dieſes Meeres zuſammenhängt, deſſen Daſein von ſo bedeutendem Einfluß auf die früheſten Kulturbewegungen der Menſchheit war, iſt von ganz beſonderem Intereſſe. Man könnte denken, Spanien, das ſich als ein Vorgebirge inmitten der Meere darſtellt, verdanke ſeine Erhaltung ſeinem hochge- legenen Boden; ehe man aber auf ſolche theoretiſche Vor- ſtellungen Gewicht legt, müßte man erſt die Bedenken beſeitigen, die ſich gegen die Durchbrechung ſo vieler Dämme erheben, müßte man wahrſcheinlich zu machen ſuchen, daß das Mittel- meer einſt in mehrere abgeſchloſſene Becken geteilt geweſen, deren alte Grenzen durch Sizilien und die Inſel Kandia an- gedeutet ſcheinen. Die Löſung dieſe Probleme ſoll uns hier nicht beſchäftigen, wir beſchränken uns darauf, auf den auf- fallenden Kontraſt in der Geſtaltung des Landes am öſtlichen und am weſtlichen Ende Europas aufmerkſam zu machen. Zwiſchen dem Baltiſchen und dem Schwarzen Meer erhebt ſich das Land gegenwärtig kaum 97,5 m über den Spiegel des Ozeans, während die Hochebene von Mancha, wenn ſie zwiſchen den Quellen des Niemen und des Dnjepr läge, ſich als eine Gebirgsgruppe von bedeutender Höhe darſtellen würde. Es iſt höchſt anziehend, auf die Urſachen zurückzugehen, durch welche die Oberfläche unſeres Planeten umgeſtaltet worden ſein mag; ſicherer iſt es aber, ſich an diejenigen Seiten der Erſcheinungen zu halten, welche der Beobachtung und Meſſung des Forſchers zugänglich ſind.
Zwiſchen Aſtorga und Coruña, beſonders von Lugo an, werden die Berge allmählich höher. Die ſekundären Gebirgs- bildungen verſchwinden mehr und mehr, und die Uebergangs-
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haben. Dieſes merkwürdige Phänomen erinnert an die Sagen
der Samothraker und andere geſchichtliche Zeugniſſe, welche
darauf hinzuweiſen ſcheinen, daß durch den Ausbruch der
Waſſer aus den Dardanellen das Becken des Mittelmeeres
erweitert und der ſüdliche Teil Europas zerriſſen und vom
Mittelmeer verſchlungen worden iſt. Nimmt man an, dieſe
Sagen ſeien keine geologiſchen Träume, ſondern beruhen wirk-
lich auf der Erinnerung an eine uralte Umwälzung, ſo hätte
die ſpaniſche Centralhochebene dem Anprall der gewaltigen
Fluten widerſtanden, bis die Waſſer durch die zwiſchen den
Säulen des Herkules ſich bildende Meerenge abfloſſen, ſo daß
der Spiegel des Mittelmeeres allmählich ſank und einerſeits
Niederägypten, andererſeits die fruchtbaren Ebenen von Tarra-
gona, Valencia und Murcia trocken gelegt wurden. Was mit
der Bildung dieſes Meeres zuſammenhängt, deſſen Daſein von
ſo bedeutendem Einfluß auf die früheſten Kulturbewegungen
der Menſchheit war, iſt von ganz beſonderem Intereſſe. Man
könnte denken, Spanien, das ſich als ein Vorgebirge inmitten
der Meere darſtellt, verdanke ſeine Erhaltung ſeinem hochge-
legenen Boden; ehe man aber auf ſolche theoretiſche Vor-
ſtellungen Gewicht legt, müßte man erſt die Bedenken beſeitigen,
die ſich gegen die Durchbrechung ſo vieler Dämme erheben,
müßte man wahrſcheinlich zu machen ſuchen, daß das Mittel-
meer einſt in mehrere abgeſchloſſene Becken geteilt geweſen,
deren alte Grenzen durch Sizilien und die Inſel Kandia an-
gedeutet ſcheinen. Die Löſung dieſe Probleme ſoll uns hier
nicht beſchäftigen, wir beſchränken uns darauf, auf den auf-
fallenden Kontraſt in der Geſtaltung des Landes am öſtlichen
und am weſtlichen Ende Europas aufmerkſam zu machen.
Zwiſchen dem Baltiſchen und dem Schwarzen Meer erhebt ſich
das Land gegenwärtig kaum 97,5 m über den Spiegel des
Ozeans, während die Hochebene von Mancha, wenn ſie zwiſchen
den Quellen des Niemen und des Dnjepr läge, ſich als eine
Gebirgsgruppe von bedeutender Höhe darſtellen würde. Es
iſt höchſt anziehend, auf die Urſachen zurückzugehen, durch
welche die Oberfläche unſeres Planeten umgeſtaltet worden
ſein mag; ſicherer iſt es aber, ſich an diejenigen Seiten der
Erſcheinungen zu halten, welche der Beobachtung und Meſſung
des Forſchers zugänglich ſind.
Zwiſchen Aſtorga und Coruña, beſonders von Lugo an,
werden die Berge allmählich höher. Die ſekundären Gebirgs-
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/29>, abgerufen am 18.05.2022.
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