sehr, von der Vergünstigung, die der Hof uns gewährt, Ge- brauch zu machen, als daß wir unsere Abreise hätten verschieben können. Seit einem Jahre war ich so vielen Hindernissen begegnet, daß ich es kaum glauben konnte, daß mein sehn- lichster Wunsch endlich in Erfüllung gehen sollte.
Wir verließen Madrid gegen die Mitte Mais. Wir reisten durch einen Teil von Altkastilien, durch das Königreich Leon und Galicien nach Corunda, wo wir uns nach der Insel Cuba einschiffen sollten. Der Winter war streng und lang gewesen, und jetzt genossen wir auf der Reise der milden Frühlingstemperatur, die schon so weit gegen Süd gewöhnlich nur den Monaten Mai und April eigen ist. Schnee bedeckte noch die hohen Granitgipfel der Guadarrama; aber in den tiefen Thälern Galiciens, welche an die malerischen Land- schaften der Schweiz und Tirols erinnern, waren alle Felsen mit Cistus in voller Blüte und baumartigem Heidekraut über- zogen. Man ist froh, wenn man die kastilische Hochebene hinter sich hat, welche fast ganz von Pflanzenwuchs entblößt, und wo es im Winter empfindlich kalt, im Sommer drückend heiß ist. Nach den wenigen Beobachtungen, die ich selbst anstellen konnte, besteht das Innere Spaniens aus einer weiten Ebene, die 584 m über dem Spiegel des Meeres mit sekun- dären Gebirgsbildungen, Sandstein, Gips, Steinsalz, Jurakalk bedeckt ist; das Klima von Kastilien ist weit kälter als das von Toulon und Genua; die mittlere Temperatur erreicht kaum 15° der hundertteiligen Skale. Man wundert sich, daß unter der Breite von Kalabrien, Thessalien und Kleinasien die Orangenbäume im Freien nicht mehr fortkommen. Die Hochebene in der Mitte des Landes ist umgeben von einer tiefgelegenen, schmalen Zone, wo an mehreren Punkten Cha- märops, der Dattelbaum, das Zuckerrohr, die Banane und viele Spanien und dem nördlichen Afrika gemeinsame Pflanzen vorkommen, ohne vom Winterfrost zu leiden. Unter dem 36. bis 40. Grad der Breite beträgt die mittlere Temperatur dieser Zone 17 bis 20°, und durch den Verein von Verhältnissen, die hier nicht aufgezählt werden können, ist dieser glückliche Landstrich der vornehmste Sitz des Gewerbfleißes und der Geistesbildung geworden.
Kommt man im Königreich Valencia von der Küste des Mittelmeeres gegen die Hochebene von Mancha und Kastilien herauf, so meint man, tief im Lande, in weithin gestreckten schroffen Abhängen die alte Küste der Halbinsel vor sich zu
ſehr, von der Vergünſtigung, die der Hof uns gewährt, Ge- brauch zu machen, als daß wir unſere Abreiſe hätten verſchieben können. Seit einem Jahre war ich ſo vielen Hinderniſſen begegnet, daß ich es kaum glauben konnte, daß mein ſehn- lichſter Wunſch endlich in Erfüllung gehen ſollte.
Wir verließen Madrid gegen die Mitte Mais. Wir reiſten durch einen Teil von Altkaſtilien, durch das Königreich Leon und Galicien nach Coruña, wo wir uns nach der Inſel Cuba einſchiffen ſollten. Der Winter war ſtreng und lang geweſen, und jetzt genoſſen wir auf der Reiſe der milden Frühlingstemperatur, die ſchon ſo weit gegen Süd gewöhnlich nur den Monaten Mai und April eigen iſt. Schnee bedeckte noch die hohen Granitgipfel der Guadarrama; aber in den tiefen Thälern Galiciens, welche an die maleriſchen Land- ſchaften der Schweiz und Tirols erinnern, waren alle Felſen mit Ciſtus in voller Blüte und baumartigem Heidekraut über- zogen. Man iſt froh, wenn man die kaſtiliſche Hochebene hinter ſich hat, welche faſt ganz von Pflanzenwuchs entblößt, und wo es im Winter empfindlich kalt, im Sommer drückend heiß iſt. Nach den wenigen Beobachtungen, die ich ſelbſt anſtellen konnte, beſteht das Innere Spaniens aus einer weiten Ebene, die 584 m über dem Spiegel des Meeres mit ſekun- dären Gebirgsbildungen, Sandſtein, Gips, Steinſalz, Jurakalk bedeckt iſt; das Klima von Kaſtilien iſt weit kälter als das von Toulon und Genua; die mittlere Temperatur erreicht kaum 15° der hundertteiligen Skale. Man wundert ſich, daß unter der Breite von Kalabrien, Theſſalien und Kleinaſien die Orangenbäume im Freien nicht mehr fortkommen. Die Hochebene in der Mitte des Landes iſt umgeben von einer tiefgelegenen, ſchmalen Zone, wo an mehreren Punkten Cha- märops, der Dattelbaum, das Zuckerrohr, die Banane und viele Spanien und dem nördlichen Afrika gemeinſame Pflanzen vorkommen, ohne vom Winterfroſt zu leiden. Unter dem 36. bis 40. Grad der Breite beträgt die mittlere Temperatur dieſer Zone 17 bis 20°, und durch den Verein von Verhältniſſen, die hier nicht aufgezählt werden können, iſt dieſer glückliche Landſtrich der vornehmſte Sitz des Gewerbfleißes und der Geiſtesbildung geworden.
Kommt man im Königreich Valencia von der Küſte des Mittelmeeres gegen die Hochebene von Mancha und Kaſtilien herauf, ſo meint man, tief im Lande, in weithin geſtreckten ſchroffen Abhängen die alte Küſte der Halbinſel vor ſich zu
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ſehr, von der Vergünſtigung, die der Hof uns gewährt, Ge-
brauch zu machen, als daß wir unſere Abreiſe hätten verſchieben
können. Seit einem Jahre war ich ſo vielen Hinderniſſen
begegnet, daß ich es kaum glauben konnte, daß mein ſehn-
lichſter Wunſch endlich in Erfüllung gehen ſollte.
Wir verließen Madrid gegen die Mitte Mais. Wir
reiſten durch einen Teil von Altkaſtilien, durch das Königreich
Leon und Galicien nach Coruña, wo wir uns nach der Inſel
Cuba einſchiffen ſollten. Der Winter war ſtreng und lang
geweſen, und jetzt genoſſen wir auf der Reiſe der milden
Frühlingstemperatur, die ſchon ſo weit gegen Süd gewöhnlich
nur den Monaten Mai und April eigen iſt. Schnee bedeckte
noch die hohen Granitgipfel der Guadarrama; aber in den
tiefen Thälern Galiciens, welche an die maleriſchen Land-
ſchaften der Schweiz und Tirols erinnern, waren alle Felſen
mit Ciſtus in voller Blüte und baumartigem Heidekraut über-
zogen. Man iſt froh, wenn man die kaſtiliſche Hochebene
hinter ſich hat, welche faſt ganz von Pflanzenwuchs entblößt,
und wo es im Winter empfindlich kalt, im Sommer drückend
heiß iſt. Nach den wenigen Beobachtungen, die ich ſelbſt
anſtellen konnte, beſteht das Innere Spaniens aus einer weiten
Ebene, die 584 m über dem Spiegel des Meeres mit ſekun-
dären Gebirgsbildungen, Sandſtein, Gips, Steinſalz, Jurakalk
bedeckt iſt; das Klima von Kaſtilien iſt weit kälter als das
von Toulon und Genua; die mittlere Temperatur erreicht
kaum 15° der hundertteiligen Skale. Man wundert ſich, daß
unter der Breite von Kalabrien, Theſſalien und Kleinaſien
die Orangenbäume im Freien nicht mehr fortkommen. Die
Hochebene in der Mitte des Landes iſt umgeben von einer
tiefgelegenen, ſchmalen Zone, wo an mehreren Punkten Cha-
märops, der Dattelbaum, das Zuckerrohr, die Banane und
viele Spanien und dem nördlichen Afrika gemeinſame Pflanzen
vorkommen, ohne vom Winterfroſt zu leiden. Unter dem 36.
bis 40. Grad der Breite beträgt die mittlere Temperatur dieſer
Zone 17 bis 20°, und durch den Verein von Verhältniſſen,
die hier nicht aufgezählt werden können, iſt dieſer glückliche
Landſtrich der vornehmſte Sitz des Gewerbfleißes und der
Geiſtesbildung geworden.
Kommt man im Königreich Valencia von der Küſte des
Mittelmeeres gegen die Hochebene von Mancha und Kaſtilien
herauf, ſo meint man, tief im Lande, in weithin geſtreckten
ſchroffen Abhängen die alte Küſte der Halbinſel vor ſich zu
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/28>, abgerufen am 18.05.2022.
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