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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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es daher um 7° kühler als an der Küste, was, da die
Hochebene des Cocollar nicht so hoch liegt als die Stadt
Caracas, wiederum auf eine ausnehmend rasche Wärmeabnahme
hinweist.

So weit das Auge reicht, sieht man auf dem hohen Punkte
nichts als kahle Savannen; nur hin und wieder tauchen aus
den Schluchten kleine Baumgruppen auf, und trotz der schein-
baren Einförmigkeit der Vegetation findet man ausnehmend
viele sehr interessante Pflanzen. Wir führen hier nur an eine
prachtvolle Lobelia mit purpurnen Blüten, die Brownea
coccinea,
die über 30 m hoch wird, und vor allen den Pejoa,
der im Lande berühmt ist, weil seine Blätter, wenn man sie
zwischen den Fingern zerreibt, einen köstlichen, aromatischen
Geruch von sich geben. Was uns aber am meisten am ein-
samen Orte entzückte, das war die Schönheit und Stille der
Nächte. Der Eigentümer des Hofes blieb mit uns wach.
Er schien sich daran zu weiden, wie Europäer, die eben erst
unter die Tropen gekommen, sich nicht genug wundern konnten
über die frische Frühlingsluft, deren man nach Sonnenunter-
gang hier auf den Bergen genießt. In jenen fernen Ländern,
wo der Mensch die Gaben der Natur noch voll zu schätzen
weiß, preist der Grundeigentümer das Wasser seiner Quelle,
den gesunden Wind, der um den Hügel weht, und daß es
keine schädlichen Insekten gibt, wie wir in Europa uns der
Vorzüge unseres Wohnhauses oder des malerischen Effektes
unserer Pflanzungen rühmen.

Unser Wirt war mit einer Mannschaft, die an der Küste
des Meerbusens von Paria Holzschläge für die spanische Marine
einrichten sollte, in die Neue Welt gekommen. In den großen
Mahagoni-, Cedrela- und Brasilholzwäldern, die um das Meer
der Antillen her liegen, dachte man, die größten Stämme aus-
zusuchen, sie im Groben so zuzuhauen, wie man sie zum Schiffs-
bau braucht, und sie jährlich auf die Werfte von Caraques bei
Cadiz zu schicken. Aber weiße, nicht akklimatisierte Männer
mußten der anstrengenden Arbeit, der Sonnenglut und der
ungesunden Luft der Wälder erliegen. Dieselben Lüfte, welche
mit den Wohlgerüchen der Blüten, Blätter und Hölzer ge-
schwängert sind, führen auch den Keim der Auflösung in die
Organe. Bösartige Fieber rafften mit den Zimmerleuten der
königlichen Marine die Aufseher der neuen Anstalt weg und
die Bucht, der die ersten Spanier wegen des trübseligen,
wilden Aussehens der Küste den Namen "Golfo triste"

es daher um 7° kühler als an der Küſte, was, da die
Hochebene des Cocollar nicht ſo hoch liegt als die Stadt
Caracas, wiederum auf eine ausnehmend raſche Wärmeabnahme
hinweiſt.

So weit das Auge reicht, ſieht man auf dem hohen Punkte
nichts als kahle Savannen; nur hin und wieder tauchen aus
den Schluchten kleine Baumgruppen auf, und trotz der ſchein-
baren Einförmigkeit der Vegetation findet man ausnehmend
viele ſehr intereſſante Pflanzen. Wir führen hier nur an eine
prachtvolle Lobelia mit purpurnen Blüten, die Brownea
coccinea,
die über 30 m hoch wird, und vor allen den Pejoa,
der im Lande berühmt iſt, weil ſeine Blätter, wenn man ſie
zwiſchen den Fingern zerreibt, einen köſtlichen, aromatiſchen
Geruch von ſich geben. Was uns aber am meiſten am ein-
ſamen Orte entzückte, das war die Schönheit und Stille der
Nächte. Der Eigentümer des Hofes blieb mit uns wach.
Er ſchien ſich daran zu weiden, wie Europäer, die eben erſt
unter die Tropen gekommen, ſich nicht genug wundern konnten
über die friſche Frühlingsluft, deren man nach Sonnenunter-
gang hier auf den Bergen genießt. In jenen fernen Ländern,
wo der Menſch die Gaben der Natur noch voll zu ſchätzen
weiß, preiſt der Grundeigentümer das Waſſer ſeiner Quelle,
den geſunden Wind, der um den Hügel weht, und daß es
keine ſchädlichen Inſekten gibt, wie wir in Europa uns der
Vorzüge unſeres Wohnhauſes oder des maleriſchen Effektes
unſerer Pflanzungen rühmen.

Unſer Wirt war mit einer Mannſchaft, die an der Küſte
des Meerbuſens von Paria Holzſchläge für die ſpaniſche Marine
einrichten ſollte, in die Neue Welt gekommen. In den großen
Mahagoni-, Cedrela- und Braſilholzwäldern, die um das Meer
der Antillen her liegen, dachte man, die größten Stämme aus-
zuſuchen, ſie im Groben ſo zuzuhauen, wie man ſie zum Schiffs-
bau braucht, und ſie jährlich auf die Werfte von Caraques bei
Cadiz zu ſchicken. Aber weiße, nicht akklimatiſierte Männer
mußten der anſtrengenden Arbeit, der Sonnenglut und der
ungeſunden Luft der Wälder erliegen. Dieſelben Lüfte, welche
mit den Wohlgerüchen der Blüten, Blätter und Hölzer ge-
ſchwängert ſind, führen auch den Keim der Auflöſung in die
Organe. Bösartige Fieber rafften mit den Zimmerleuten der
königlichen Marine die Aufſeher der neuen Anſtalt weg und
die Bucht, der die erſten Spanier wegen des trübſeligen,
wilden Ausſehens der Küſte den Namen „Golfo triste“

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[249/0265] es daher um 7° kühler als an der Küſte, was, da die Hochebene des Cocollar nicht ſo hoch liegt als die Stadt Caracas, wiederum auf eine ausnehmend raſche Wärmeabnahme hinweiſt. So weit das Auge reicht, ſieht man auf dem hohen Punkte nichts als kahle Savannen; nur hin und wieder tauchen aus den Schluchten kleine Baumgruppen auf, und trotz der ſchein- baren Einförmigkeit der Vegetation findet man ausnehmend viele ſehr intereſſante Pflanzen. Wir führen hier nur an eine prachtvolle Lobelia mit purpurnen Blüten, die Brownea coccinea, die über 30 m hoch wird, und vor allen den Pejoa, der im Lande berühmt iſt, weil ſeine Blätter, wenn man ſie zwiſchen den Fingern zerreibt, einen köſtlichen, aromatiſchen Geruch von ſich geben. Was uns aber am meiſten am ein- ſamen Orte entzückte, das war die Schönheit und Stille der Nächte. Der Eigentümer des Hofes blieb mit uns wach. Er ſchien ſich daran zu weiden, wie Europäer, die eben erſt unter die Tropen gekommen, ſich nicht genug wundern konnten über die friſche Frühlingsluft, deren man nach Sonnenunter- gang hier auf den Bergen genießt. In jenen fernen Ländern, wo der Menſch die Gaben der Natur noch voll zu ſchätzen weiß, preiſt der Grundeigentümer das Waſſer ſeiner Quelle, den geſunden Wind, der um den Hügel weht, und daß es keine ſchädlichen Inſekten gibt, wie wir in Europa uns der Vorzüge unſeres Wohnhauſes oder des maleriſchen Effektes unſerer Pflanzungen rühmen. Unſer Wirt war mit einer Mannſchaft, die an der Küſte des Meerbuſens von Paria Holzſchläge für die ſpaniſche Marine einrichten ſollte, in die Neue Welt gekommen. In den großen Mahagoni-, Cedrela- und Braſilholzwäldern, die um das Meer der Antillen her liegen, dachte man, die größten Stämme aus- zuſuchen, ſie im Groben ſo zuzuhauen, wie man ſie zum Schiffs- bau braucht, und ſie jährlich auf die Werfte von Caraques bei Cadiz zu ſchicken. Aber weiße, nicht akklimatiſierte Männer mußten der anſtrengenden Arbeit, der Sonnenglut und der ungeſunden Luft der Wälder erliegen. Dieſelben Lüfte, welche mit den Wohlgerüchen der Blüten, Blätter und Hölzer ge- ſchwängert ſind, führen auch den Keim der Auflöſung in die Organe. Bösartige Fieber rafften mit den Zimmerleuten der königlichen Marine die Aufſeher der neuen Anſtalt weg und die Bucht, der die erſten Spanier wegen des trübſeligen, wilden Ausſehens der Küſte den Namen „Golfo triste“

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/265>, abgerufen am 27.04.2024.