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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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stand nicht zu hoffen, daß man, nach dem Vorgang mancher
Provinzen der Vereinigten Staaten, nach einer gewissen Reihe
von Jahren den Schwarzen oder ihren Nachkommen die Frei-
heit schenken würde; desto bedenklicher schien es, zumal nach
den entsetzlichen Vorgängen auf San Domingo, die Sklaven-
bevölkerung in Terra Firma zu vermehren. Weise Politik hat
nicht selten dieselben Folgen, wie die edelsten und seltensten
Regungen der Gerechtigkeit und Menschenliebe.

Die mit Höfen und Indigo- und Tabakspflanzungen
bedeckte Ebene von Cumanacoa ist von Bergen umgeben, die
besonders gegen Süd höher ansteigen und für den Physiker
und den Geologen gleich interessant sind. Alles weist darauf
hin, daß das Thal ein alter Seeboden ist; auch fallen die
Berge, welche einst das Ufer desselben bildeten, dem See zu
senkrecht ab. Der See hatte nur Arenas zu einem Abfluß.
Beim Graben von Hausfundamenten stieß man bei Cumanacoa
auf Schichten von Geschieben, mit kleinen zweischaligen Mu-
scheln darunter. Nach der Angabe mehrerer glaubwürdiger
Personen sind sogar vor mehr als 30 Jahren hinten in der
Schlucht San Juanillo zwei ungeheure Schenkelknochen ge-
funden worden, die 1,3 m lang waren und über 15 kg
wogen. Die Indianer hielten sie, wie noch heute das Volk
in Europa, für Riesenknochen, während die Halbgelehrten im
Lande, die das Privilegium haben, alles zu erklären, alles
Ernstes versicherten, es seien Naturspiele und keiner großen
Beachtung wert. Diese Leute beriefen sich bei ihrer Behaup-
tung auf den Umstand, daß menschliche Gebeine im Boden
von Cumanacoa sehr rasch vermodern. Zum Schmuck der
Kirchen am Allerseelentag läßt man Schädel aus den Kirch-
höfen an der Küste kommen, wo der Boden mit Salzen ge-
schwängert ist. Die vermeintlichen Riesenknochen wurden nach
Cumana gebracht. Ich habe mich dort vergeblich danach um-
gesehen; aber nach den fossilen Knochen, die ich aus anderen
Strichen Südamerikas heimgebracht und die von Cuvier genau
untersucht worden, gehörten die riesigen Schenkelknochen von
Cumanacoa wahrscheinlich einer ausgestorbenen Elefantenart
an. Es kann befremden, daß dieselben in so geringer Höhe
über dem gegenwärtigen Wasserspiegel gefunden worden; denn
es ist sehr merkwürdig, daß die fossilen Reste von Mastodonten
und Elefanten, die ich aus den tropischen Ländern von
Mexiko, Neugranada, Quito und Peru mitgebracht, nicht in
tiefgelegenen Strichen (wo in gemäßigten Zonen Megatherien

ſtand nicht zu hoffen, daß man, nach dem Vorgang mancher
Provinzen der Vereinigten Staaten, nach einer gewiſſen Reihe
von Jahren den Schwarzen oder ihren Nachkommen die Frei-
heit ſchenken würde; deſto bedenklicher ſchien es, zumal nach
den entſetzlichen Vorgängen auf San Domingo, die Sklaven-
bevölkerung in Terra Firma zu vermehren. Weiſe Politik hat
nicht ſelten dieſelben Folgen, wie die edelſten und ſeltenſten
Regungen der Gerechtigkeit und Menſchenliebe.

Die mit Höfen und Indigo- und Tabakspflanzungen
bedeckte Ebene von Cumanacoa iſt von Bergen umgeben, die
beſonders gegen Süd höher anſteigen und für den Phyſiker
und den Geologen gleich intereſſant ſind. Alles weiſt darauf
hin, daß das Thal ein alter Seeboden iſt; auch fallen die
Berge, welche einſt das Ufer desſelben bildeten, dem See zu
ſenkrecht ab. Der See hatte nur Arenas zu einem Abfluß.
Beim Graben von Hausfundamenten ſtieß man bei Cumanacoa
auf Schichten von Geſchieben, mit kleinen zweiſchaligen Mu-
ſcheln darunter. Nach der Angabe mehrerer glaubwürdiger
Perſonen ſind ſogar vor mehr als 30 Jahren hinten in der
Schlucht San Juanillo zwei ungeheure Schenkelknochen ge-
funden worden, die 1,3 m lang waren und über 15 kg
wogen. Die Indianer hielten ſie, wie noch heute das Volk
in Europa, für Rieſenknochen, während die Halbgelehrten im
Lande, die das Privilegium haben, alles zu erklären, alles
Ernſtes verſicherten, es ſeien Naturſpiele und keiner großen
Beachtung wert. Dieſe Leute beriefen ſich bei ihrer Behaup-
tung auf den Umſtand, daß menſchliche Gebeine im Boden
von Cumanacoa ſehr raſch vermodern. Zum Schmuck der
Kirchen am Allerſeelentag läßt man Schädel aus den Kirch-
höfen an der Küſte kommen, wo der Boden mit Salzen ge-
ſchwängert iſt. Die vermeintlichen Rieſenknochen wurden nach
Cumana gebracht. Ich habe mich dort vergeblich danach um-
geſehen; aber nach den foſſilen Knochen, die ich aus anderen
Strichen Südamerikas heimgebracht und die von Cuvier genau
unterſucht worden, gehörten die rieſigen Schenkelknochen von
Cumanacoa wahrſcheinlich einer ausgeſtorbenen Elefantenart
an. Es kann befremden, daß dieſelben in ſo geringer Höhe
über dem gegenwärtigen Waſſerſpiegel gefunden worden; denn
es iſt ſehr merkwürdig, daß die foſſilen Reſte von Maſtodonten
und Elefanten, die ich aus den tropiſchen Ländern von
Mexiko, Neugranada, Quito und Peru mitgebracht, nicht in
tiefgelegenen Strichen (wo in gemäßigten Zonen Megatherien

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[240/0256] ſtand nicht zu hoffen, daß man, nach dem Vorgang mancher Provinzen der Vereinigten Staaten, nach einer gewiſſen Reihe von Jahren den Schwarzen oder ihren Nachkommen die Frei- heit ſchenken würde; deſto bedenklicher ſchien es, zumal nach den entſetzlichen Vorgängen auf San Domingo, die Sklaven- bevölkerung in Terra Firma zu vermehren. Weiſe Politik hat nicht ſelten dieſelben Folgen, wie die edelſten und ſeltenſten Regungen der Gerechtigkeit und Menſchenliebe. Die mit Höfen und Indigo- und Tabakspflanzungen bedeckte Ebene von Cumanacoa iſt von Bergen umgeben, die beſonders gegen Süd höher anſteigen und für den Phyſiker und den Geologen gleich intereſſant ſind. Alles weiſt darauf hin, daß das Thal ein alter Seeboden iſt; auch fallen die Berge, welche einſt das Ufer desſelben bildeten, dem See zu ſenkrecht ab. Der See hatte nur Arenas zu einem Abfluß. Beim Graben von Hausfundamenten ſtieß man bei Cumanacoa auf Schichten von Geſchieben, mit kleinen zweiſchaligen Mu- ſcheln darunter. Nach der Angabe mehrerer glaubwürdiger Perſonen ſind ſogar vor mehr als 30 Jahren hinten in der Schlucht San Juanillo zwei ungeheure Schenkelknochen ge- funden worden, die 1,3 m lang waren und über 15 kg wogen. Die Indianer hielten ſie, wie noch heute das Volk in Europa, für Rieſenknochen, während die Halbgelehrten im Lande, die das Privilegium haben, alles zu erklären, alles Ernſtes verſicherten, es ſeien Naturſpiele und keiner großen Beachtung wert. Dieſe Leute beriefen ſich bei ihrer Behaup- tung auf den Umſtand, daß menſchliche Gebeine im Boden von Cumanacoa ſehr raſch vermodern. Zum Schmuck der Kirchen am Allerſeelentag läßt man Schädel aus den Kirch- höfen an der Küſte kommen, wo der Boden mit Salzen ge- ſchwängert iſt. Die vermeintlichen Rieſenknochen wurden nach Cumana gebracht. Ich habe mich dort vergeblich danach um- geſehen; aber nach den foſſilen Knochen, die ich aus anderen Strichen Südamerikas heimgebracht und die von Cuvier genau unterſucht worden, gehörten die rieſigen Schenkelknochen von Cumanacoa wahrſcheinlich einer ausgeſtorbenen Elefantenart an. Es kann befremden, daß dieſelben in ſo geringer Höhe über dem gegenwärtigen Waſſerſpiegel gefunden worden; denn es iſt ſehr merkwürdig, daß die foſſilen Reſte von Maſtodonten und Elefanten, die ich aus den tropiſchen Ländern von Mexiko, Neugranada, Quito und Peru mitgebracht, nicht in tiefgelegenen Strichen (wo in gemäßigten Zonen Megatherien

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/256>, abgerufen am 27.04.2024.