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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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Bett und drückte es an die Brust. Lozano, damals zweiund-
dreißig Jahre alt, hatte es bis dahin nicht bemerkt, daß er
Milch gab, aber infolge der Reizung der Brustwarze, an der
das Kind saugte, schoß die Milch ein. Dieselbe war fett und
sehr süß. Der Vater war nicht wenig erstaunt, als seine
Brust schwoll, und säugte fortan das Kind fünf Monate lang
zwei-, dreimal des Tages. Seine Nachbarn wurden aufmerk-
sam auf ihn, er dachte aber nicht daran, die Neugierde aus-
zubeuten, wie er wohl in Europa gethan hätte. Wir sahen
das Protokoll, das über den merkwürdigen Fall aufgenommen
worden. Augenzeugen desselben leben noch, und sie versicherten
uns, der Knabe habe während des Stillens nichts bekommen
als die Milch des Vaters. Lozano war nicht zu Hause, als
wir die Missionen bereisten, besuchte uns aber in Cumana.
Er kam mit seinem Sohne, der schon 13 bis 14 Jahre alt
war. Bonpland untersuchte die Brust des Vaters genau und
fand sie runzlig, wie bei Weibern, die gesäugt haben. Er
bemerkte, daß besonders die linke Brust sehr ausgedehnt war,
und Lozano erklärte dies aus dem Umstande, daß niemals beide
Brüste gleich viel Milch gegeben. Der Statthalter Don
Vicente Emparan hat eine ausführliche Beschreibung des Falles
nach Cadiz geschickt.

Es kommt bei Menschen und Tieren nicht gar selten vor,
daß die Brust männlicher Individuen Milch enthält, und das
Klima scheint auf diese mehr oder weniger reichliche Abson-
derung keinen merkbaren Einfluß zu äußern. Die Alten er-
zählen von der Milch der Böcke auf Lemnos und Corsica;
noch in neuester Zeit war in Hannover ein Bock, der jahre-
lang einen Tag um den anderen gemolken wurde und mehr
Milch gab als die Ziegen. Unter den Merkmalen der ver-
meintlichen Schwächlichkeit der Amerikaner führen die Reisen-
den auch auf, daß die Männer Milch in den Brüsten haben. 1
Es ist indessen höchst unwahrscheinlich, daß solches bei einem
ganzen Volksstamm in irgend einem der heutigen Reisenden
unbekannten Landstrich Amerikas beobachtet worden sein sollte,
und ich kann versichern, daß der Fall gegenwärtig in der
Neuen Welt nicht häufiger vorkommt als in der Alten. Der
Landmann in Arenas, dessen Geschichte wir soeben erzählt,

1 Man hat sogar alles Ernstes behauptet, in einem Teile Bra-
siliens werden die Kinder von den Männern, nicht von den Weibern
gesäugt.

Bett und drückte es an die Bruſt. Lozano, damals zweiund-
dreißig Jahre alt, hatte es bis dahin nicht bemerkt, daß er
Milch gab, aber infolge der Reizung der Bruſtwarze, an der
das Kind ſaugte, ſchoß die Milch ein. Dieſelbe war fett und
ſehr ſüß. Der Vater war nicht wenig erſtaunt, als ſeine
Bruſt ſchwoll, und ſäugte fortan das Kind fünf Monate lang
zwei-, dreimal des Tages. Seine Nachbarn wurden aufmerk-
ſam auf ihn, er dachte aber nicht daran, die Neugierde aus-
zubeuten, wie er wohl in Europa gethan hätte. Wir ſahen
das Protokoll, das über den merkwürdigen Fall aufgenommen
worden. Augenzeugen desſelben leben noch, und ſie verſicherten
uns, der Knabe habe während des Stillens nichts bekommen
als die Milch des Vaters. Lozano war nicht zu Hauſe, als
wir die Miſſionen bereiſten, beſuchte uns aber in Cumana.
Er kam mit ſeinem Sohne, der ſchon 13 bis 14 Jahre alt
war. Bonpland unterſuchte die Bruſt des Vaters genau und
fand ſie runzlig, wie bei Weibern, die geſäugt haben. Er
bemerkte, daß beſonders die linke Bruſt ſehr ausgedehnt war,
und Lozano erklärte dies aus dem Umſtande, daß niemals beide
Brüſte gleich viel Milch gegeben. Der Statthalter Don
Vicente Emparan hat eine ausführliche Beſchreibung des Falles
nach Cadiz geſchickt.

Es kommt bei Menſchen und Tieren nicht gar ſelten vor,
daß die Bruſt männlicher Individuen Milch enthält, und das
Klima ſcheint auf dieſe mehr oder weniger reichliche Abſon-
derung keinen merkbaren Einfluß zu äußern. Die Alten er-
zählen von der Milch der Böcke auf Lemnos und Corſica;
noch in neueſter Zeit war in Hannover ein Bock, der jahre-
lang einen Tag um den anderen gemolken wurde und mehr
Milch gab als die Ziegen. Unter den Merkmalen der ver-
meintlichen Schwächlichkeit der Amerikaner führen die Reiſen-
den auch auf, daß die Männer Milch in den Brüſten haben. 1
Es iſt indeſſen höchſt unwahrſcheinlich, daß ſolches bei einem
ganzen Volksſtamm in irgend einem der heutigen Reiſenden
unbekannten Landſtrich Amerikas beobachtet worden ſein ſollte,
und ich kann verſichern, daß der Fall gegenwärtig in der
Neuen Welt nicht häufiger vorkommt als in der Alten. Der
Landmann in Arenas, deſſen Geſchichte wir ſoeben erzählt,

1 Man hat ſogar alles Ernſtes behauptet, in einem Teile Bra-
ſiliens werden die Kinder von den Männern, nicht von den Weibern
geſäugt.
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[231/0247] Bett und drückte es an die Bruſt. Lozano, damals zweiund- dreißig Jahre alt, hatte es bis dahin nicht bemerkt, daß er Milch gab, aber infolge der Reizung der Bruſtwarze, an der das Kind ſaugte, ſchoß die Milch ein. Dieſelbe war fett und ſehr ſüß. Der Vater war nicht wenig erſtaunt, als ſeine Bruſt ſchwoll, und ſäugte fortan das Kind fünf Monate lang zwei-, dreimal des Tages. Seine Nachbarn wurden aufmerk- ſam auf ihn, er dachte aber nicht daran, die Neugierde aus- zubeuten, wie er wohl in Europa gethan hätte. Wir ſahen das Protokoll, das über den merkwürdigen Fall aufgenommen worden. Augenzeugen desſelben leben noch, und ſie verſicherten uns, der Knabe habe während des Stillens nichts bekommen als die Milch des Vaters. Lozano war nicht zu Hauſe, als wir die Miſſionen bereiſten, beſuchte uns aber in Cumana. Er kam mit ſeinem Sohne, der ſchon 13 bis 14 Jahre alt war. Bonpland unterſuchte die Bruſt des Vaters genau und fand ſie runzlig, wie bei Weibern, die geſäugt haben. Er bemerkte, daß beſonders die linke Bruſt ſehr ausgedehnt war, und Lozano erklärte dies aus dem Umſtande, daß niemals beide Brüſte gleich viel Milch gegeben. Der Statthalter Don Vicente Emparan hat eine ausführliche Beſchreibung des Falles nach Cadiz geſchickt. Es kommt bei Menſchen und Tieren nicht gar ſelten vor, daß die Bruſt männlicher Individuen Milch enthält, und das Klima ſcheint auf dieſe mehr oder weniger reichliche Abſon- derung keinen merkbaren Einfluß zu äußern. Die Alten er- zählen von der Milch der Böcke auf Lemnos und Corſica; noch in neueſter Zeit war in Hannover ein Bock, der jahre- lang einen Tag um den anderen gemolken wurde und mehr Milch gab als die Ziegen. Unter den Merkmalen der ver- meintlichen Schwächlichkeit der Amerikaner führen die Reiſen- den auch auf, daß die Männer Milch in den Brüſten haben. 1 Es iſt indeſſen höchſt unwahrſcheinlich, daß ſolches bei einem ganzen Volksſtamm in irgend einem der heutigen Reiſenden unbekannten Landſtrich Amerikas beobachtet worden ſein ſollte, und ich kann verſichern, daß der Fall gegenwärtig in der Neuen Welt nicht häufiger vorkommt als in der Alten. Der Landmann in Arenas, deſſen Geſchichte wir ſoeben erzählt, 1 Man hat ſogar alles Ernſtes behauptet, in einem Teile Bra- ſiliens werden die Kinder von den Männern, nicht von den Weibern geſäugt.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/247>, abgerufen am 25.04.2024.