Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

matten in einem Gange seines Hauses zu befestigen. Er saß
den größten Teil des Tages über in einem großen Armstuhle
von rotem Holz und beklagte sich bitter über die Trägheit
und Unwissenheit seiner Landsleute. Er richtete tausenderlei
Fragen an uns über den eigentlichen Zweck unserer Reise,
die ihm sehr gewagt und zum wenigsten ganz unnütz schien.
Hier wie am Orinoko wurde es uns sehr beschwerlich, daß
sich die Spanier mitten in den Wäldern Amerikas für die
Kriege und politischen Stürme der Alten Welt immer noch
so lebhaft interessieren.

Unser Missionär schien übrigens mit seiner Stellung
vollkommen zufrieden. Er behandelte die Indianer gut, er
sah die Mission gedeihen, er pries in begeisterten Worten das
Wasser, die Bananen, die Milch des Landes. Als er unsere
Instrumente, unsere Bücher und getrockneten Pflanzen sah,
konnte er sich eines boshaften Lächelns nicht enthalten, und
er gestand mit der in diesem Klima landesüblichen Naivetät,
von allen Genüssen dieses Lebens, den Schlaf nicht ausge-
nommen, sei doch gutes Kuhfleisch, carne de vaca, der köst-
lichste; die Sinnlichkeit quillt eben überall über, wo es an
geistiger Beschäftigung fehlt. Oft bat uns unser Wirt, mit
ihm die Kuh zu besuchen, die er eben gekauft hatte, und am
anderen Tage bei Tagesanbruch mußten wir sie nach Landes-
sitte schlachten sehen; man machte ihr einen Schnitt durch die
Häckse, ehe man ihr das breite Messer in die Halswirbel
stieß. So widrig dieses Geschäft war, so lernten wir dabei
doch die ausnehmende Fertigkeit der Chaymas kennen, deren
acht in weniger als 20 Minuten das Tier in kleine Stücke
zerlegten. Die Kuh hatte nur 7 Piaster gekostet, und
dies galt für sehr viel. Am selben Tage hatte der Mis-
sionär einem Soldaten aus Cumana, der ihm nach mehre-
ren vergeblichen Versuchen endlich am Fuß die Ader ge-
schlagen, 18 Piaster bezahlt. Dieser Fall, so unbedeutend
er scheint, zeigt recht auffallend, wie hoch in unkultivierten
Ländern die Arbeit dem Wert der Naturprodukte gegenüber
im Preise steht.

Die Mission San Fernando wurde zu Ende des 17. Jahr-
hunderts an der Stelle gegründet, wo die kleinen Flüsse
Manzanares und Lucasperez sich vereinigen. Eine Feuers-
brunst, welche die Kirche und die Hütten der Indianer in
Asche legte, gab den Anlaß, daß die Kapuziner das Dorf an
dem schönen Punkte, wo es jetzt liegt, wieder aufbauten. Die

matten in einem Gange ſeines Hauſes zu befeſtigen. Er ſaß
den größten Teil des Tages über in einem großen Armſtuhle
von rotem Holz und beklagte ſich bitter über die Trägheit
und Unwiſſenheit ſeiner Landsleute. Er richtete tauſenderlei
Fragen an uns über den eigentlichen Zweck unſerer Reiſe,
die ihm ſehr gewagt und zum wenigſten ganz unnütz ſchien.
Hier wie am Orinoko wurde es uns ſehr beſchwerlich, daß
ſich die Spanier mitten in den Wäldern Amerikas für die
Kriege und politiſchen Stürme der Alten Welt immer noch
ſo lebhaft intereſſieren.

Unſer Miſſionär ſchien übrigens mit ſeiner Stellung
vollkommen zufrieden. Er behandelte die Indianer gut, er
ſah die Miſſion gedeihen, er pries in begeiſterten Worten das
Waſſer, die Bananen, die Milch des Landes. Als er unſere
Inſtrumente, unſere Bücher und getrockneten Pflanzen ſah,
konnte er ſich eines boshaften Lächelns nicht enthalten, und
er geſtand mit der in dieſem Klima landesüblichen Naivetät,
von allen Genüſſen dieſes Lebens, den Schlaf nicht ausge-
nommen, ſei doch gutes Kuhfleiſch, carne de vaca, der köſt-
lichſte; die Sinnlichkeit quillt eben überall über, wo es an
geiſtiger Beſchäftigung fehlt. Oft bat uns unſer Wirt, mit
ihm die Kuh zu beſuchen, die er eben gekauft hatte, und am
anderen Tage bei Tagesanbruch mußten wir ſie nach Landes-
ſitte ſchlachten ſehen; man machte ihr einen Schnitt durch die
Häckſe, ehe man ihr das breite Meſſer in die Halswirbel
ſtieß. So widrig dieſes Geſchäft war, ſo lernten wir dabei
doch die ausnehmende Fertigkeit der Chaymas kennen, deren
acht in weniger als 20 Minuten das Tier in kleine Stücke
zerlegten. Die Kuh hatte nur 7 Piaſter gekoſtet, und
dies galt für ſehr viel. Am ſelben Tage hatte der Miſ-
ſionär einem Soldaten aus Cumana, der ihm nach mehre-
ren vergeblichen Verſuchen endlich am Fuß die Ader ge-
ſchlagen, 18 Piaſter bezahlt. Dieſer Fall, ſo unbedeutend
er ſcheint, zeigt recht auffallend, wie hoch in unkultivierten
Ländern die Arbeit dem Wert der Naturprodukte gegenüber
im Preiſe ſteht.

Die Miſſion San Fernando wurde zu Ende des 17. Jahr-
hunderts an der Stelle gegründet, wo die kleinen Flüſſe
Manzanares und Lucasperez ſich vereinigen. Eine Feuers-
brunſt, welche die Kirche und die Hütten der Indianer in
Aſche legte, gab den Anlaß, daß die Kapuziner das Dorf an
dem ſchönen Punkte, wo es jetzt liegt, wieder aufbauten. Die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0245" n="229"/>
matten in einem Gange &#x017F;eines Hau&#x017F;es zu befe&#x017F;tigen. Er &#x017F;<lb/>
den größten Teil des Tages über in einem großen Arm&#x017F;tuhle<lb/>
von rotem Holz und beklagte &#x017F;ich bitter über die Trägheit<lb/>
und Unwi&#x017F;&#x017F;enheit &#x017F;einer Landsleute. Er richtete tau&#x017F;enderlei<lb/>
Fragen an uns über den eigentlichen Zweck un&#x017F;erer Rei&#x017F;e,<lb/>
die ihm &#x017F;ehr gewagt und zum wenig&#x017F;ten ganz unnütz &#x017F;chien.<lb/>
Hier wie am Orinoko wurde es uns &#x017F;ehr be&#x017F;chwerlich, daß<lb/>
&#x017F;ich die Spanier mitten in den Wäldern Amerikas für die<lb/>
Kriege und politi&#x017F;chen Stürme der Alten Welt immer noch<lb/>
&#x017F;o lebhaft intere&#x017F;&#x017F;ieren.</p><lb/>
          <p>Un&#x017F;er Mi&#x017F;&#x017F;ionär &#x017F;chien übrigens mit &#x017F;einer Stellung<lb/>
vollkommen zufrieden. Er behandelte die Indianer gut, er<lb/>
&#x017F;ah die Mi&#x017F;&#x017F;ion gedeihen, er pries in begei&#x017F;terten Worten das<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er, die Bananen, die Milch des Landes. Als er un&#x017F;ere<lb/>
In&#x017F;trumente, un&#x017F;ere Bücher und getrockneten Pflanzen &#x017F;ah,<lb/>
konnte er &#x017F;ich eines boshaften Lächelns nicht enthalten, und<lb/>
er ge&#x017F;tand mit der in die&#x017F;em Klima landesüblichen Naivetät,<lb/>
von allen Genü&#x017F;&#x017F;en die&#x017F;es Lebens, den Schlaf nicht ausge-<lb/>
nommen, &#x017F;ei doch gutes Kuhflei&#x017F;ch, <hi rendition="#aq">carne de vaca,</hi> der kö&#x017F;t-<lb/>
lich&#x017F;te; die Sinnlichkeit quillt eben überall über, wo es an<lb/>
gei&#x017F;tiger Be&#x017F;chäftigung fehlt. Oft bat uns un&#x017F;er Wirt, mit<lb/>
ihm die Kuh zu be&#x017F;uchen, die er eben gekauft hatte, und am<lb/>
anderen Tage bei Tagesanbruch mußten wir &#x017F;ie nach Landes-<lb/>
&#x017F;itte &#x017F;chlachten &#x017F;ehen; man machte ihr einen Schnitt durch die<lb/>
Häck&#x017F;e, ehe man ihr das breite Me&#x017F;&#x017F;er in die Halswirbel<lb/>
&#x017F;tieß. So widrig die&#x017F;es Ge&#x017F;chäft war, &#x017F;o lernten wir dabei<lb/>
doch die ausnehmende Fertigkeit der Chaymas kennen, deren<lb/>
acht in weniger als 20 Minuten das Tier in kleine Stücke<lb/>
zerlegten. Die Kuh hatte nur 7 Pia&#x017F;ter geko&#x017F;tet, und<lb/>
dies galt für &#x017F;ehr viel. Am &#x017F;elben Tage hatte der Mi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ionär einem Soldaten aus Cumana, der ihm nach mehre-<lb/>
ren vergeblichen Ver&#x017F;uchen endlich am Fuß die Ader ge-<lb/>
&#x017F;chlagen, 18 Pia&#x017F;ter bezahlt. Die&#x017F;er Fall, &#x017F;o unbedeutend<lb/>
er &#x017F;cheint, zeigt recht auffallend, wie hoch in unkultivierten<lb/>
Ländern die Arbeit dem Wert der Naturprodukte gegenüber<lb/>
im Prei&#x017F;e &#x017F;teht.</p><lb/>
          <p>Die Mi&#x017F;&#x017F;ion San Fernando wurde zu Ende des 17. Jahr-<lb/>
hunderts an der Stelle gegründet, wo die kleinen Flü&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Manzanares und Lucasperez &#x017F;ich vereinigen. Eine Feuers-<lb/>
brun&#x017F;t, welche die Kirche und die Hütten der Indianer in<lb/>
A&#x017F;che legte, gab den Anlaß, daß die Kapuziner das Dorf an<lb/>
dem &#x017F;chönen Punkte, wo es jetzt liegt, wieder aufbauten. Die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[229/0245] matten in einem Gange ſeines Hauſes zu befeſtigen. Er ſaß den größten Teil des Tages über in einem großen Armſtuhle von rotem Holz und beklagte ſich bitter über die Trägheit und Unwiſſenheit ſeiner Landsleute. Er richtete tauſenderlei Fragen an uns über den eigentlichen Zweck unſerer Reiſe, die ihm ſehr gewagt und zum wenigſten ganz unnütz ſchien. Hier wie am Orinoko wurde es uns ſehr beſchwerlich, daß ſich die Spanier mitten in den Wäldern Amerikas für die Kriege und politiſchen Stürme der Alten Welt immer noch ſo lebhaft intereſſieren. Unſer Miſſionär ſchien übrigens mit ſeiner Stellung vollkommen zufrieden. Er behandelte die Indianer gut, er ſah die Miſſion gedeihen, er pries in begeiſterten Worten das Waſſer, die Bananen, die Milch des Landes. Als er unſere Inſtrumente, unſere Bücher und getrockneten Pflanzen ſah, konnte er ſich eines boshaften Lächelns nicht enthalten, und er geſtand mit der in dieſem Klima landesüblichen Naivetät, von allen Genüſſen dieſes Lebens, den Schlaf nicht ausge- nommen, ſei doch gutes Kuhfleiſch, carne de vaca, der köſt- lichſte; die Sinnlichkeit quillt eben überall über, wo es an geiſtiger Beſchäftigung fehlt. Oft bat uns unſer Wirt, mit ihm die Kuh zu beſuchen, die er eben gekauft hatte, und am anderen Tage bei Tagesanbruch mußten wir ſie nach Landes- ſitte ſchlachten ſehen; man machte ihr einen Schnitt durch die Häckſe, ehe man ihr das breite Meſſer in die Halswirbel ſtieß. So widrig dieſes Geſchäft war, ſo lernten wir dabei doch die ausnehmende Fertigkeit der Chaymas kennen, deren acht in weniger als 20 Minuten das Tier in kleine Stücke zerlegten. Die Kuh hatte nur 7 Piaſter gekoſtet, und dies galt für ſehr viel. Am ſelben Tage hatte der Miſ- ſionär einem Soldaten aus Cumana, der ihm nach mehre- ren vergeblichen Verſuchen endlich am Fuß die Ader ge- ſchlagen, 18 Piaſter bezahlt. Dieſer Fall, ſo unbedeutend er ſcheint, zeigt recht auffallend, wie hoch in unkultivierten Ländern die Arbeit dem Wert der Naturprodukte gegenüber im Preiſe ſteht. Die Miſſion San Fernando wurde zu Ende des 17. Jahr- hunderts an der Stelle gegründet, wo die kleinen Flüſſe Manzanares und Lucasperez ſich vereinigen. Eine Feuers- brunſt, welche die Kirche und die Hütten der Indianer in Aſche legte, gab den Anlaß, daß die Kapuziner das Dorf an dem ſchönen Punkte, wo es jetzt liegt, wieder aufbauten. Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/245
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/245>, abgerufen am 19.04.2024.