matten in einem Gange seines Hauses zu befestigen. Er saß den größten Teil des Tages über in einem großen Armstuhle von rotem Holz und beklagte sich bitter über die Trägheit und Unwissenheit seiner Landsleute. Er richtete tausenderlei Fragen an uns über den eigentlichen Zweck unserer Reise, die ihm sehr gewagt und zum wenigsten ganz unnütz schien. Hier wie am Orinoko wurde es uns sehr beschwerlich, daß sich die Spanier mitten in den Wäldern Amerikas für die Kriege und politischen Stürme der Alten Welt immer noch so lebhaft interessieren.
Unser Missionär schien übrigens mit seiner Stellung vollkommen zufrieden. Er behandelte die Indianer gut, er sah die Mission gedeihen, er pries in begeisterten Worten das Wasser, die Bananen, die Milch des Landes. Als er unsere Instrumente, unsere Bücher und getrockneten Pflanzen sah, konnte er sich eines boshaften Lächelns nicht enthalten, und er gestand mit der in diesem Klima landesüblichen Naivetät, von allen Genüssen dieses Lebens, den Schlaf nicht ausge- nommen, sei doch gutes Kuhfleisch, carne de vaca, der köst- lichste; die Sinnlichkeit quillt eben überall über, wo es an geistiger Beschäftigung fehlt. Oft bat uns unser Wirt, mit ihm die Kuh zu besuchen, die er eben gekauft hatte, und am anderen Tage bei Tagesanbruch mußten wir sie nach Landes- sitte schlachten sehen; man machte ihr einen Schnitt durch die Häckse, ehe man ihr das breite Messer in die Halswirbel stieß. So widrig dieses Geschäft war, so lernten wir dabei doch die ausnehmende Fertigkeit der Chaymas kennen, deren acht in weniger als 20 Minuten das Tier in kleine Stücke zerlegten. Die Kuh hatte nur 7 Piaster gekostet, und dies galt für sehr viel. Am selben Tage hatte der Mis- sionär einem Soldaten aus Cumana, der ihm nach mehre- ren vergeblichen Versuchen endlich am Fuß die Ader ge- schlagen, 18 Piaster bezahlt. Dieser Fall, so unbedeutend er scheint, zeigt recht auffallend, wie hoch in unkultivierten Ländern die Arbeit dem Wert der Naturprodukte gegenüber im Preise steht.
Die Mission San Fernando wurde zu Ende des 17. Jahr- hunderts an der Stelle gegründet, wo die kleinen Flüsse Manzanares und Lucasperez sich vereinigen. Eine Feuers- brunst, welche die Kirche und die Hütten der Indianer in Asche legte, gab den Anlaß, daß die Kapuziner das Dorf an dem schönen Punkte, wo es jetzt liegt, wieder aufbauten. Die
matten in einem Gange ſeines Hauſes zu befeſtigen. Er ſaß den größten Teil des Tages über in einem großen Armſtuhle von rotem Holz und beklagte ſich bitter über die Trägheit und Unwiſſenheit ſeiner Landsleute. Er richtete tauſenderlei Fragen an uns über den eigentlichen Zweck unſerer Reiſe, die ihm ſehr gewagt und zum wenigſten ganz unnütz ſchien. Hier wie am Orinoko wurde es uns ſehr beſchwerlich, daß ſich die Spanier mitten in den Wäldern Amerikas für die Kriege und politiſchen Stürme der Alten Welt immer noch ſo lebhaft intereſſieren.
Unſer Miſſionär ſchien übrigens mit ſeiner Stellung vollkommen zufrieden. Er behandelte die Indianer gut, er ſah die Miſſion gedeihen, er pries in begeiſterten Worten das Waſſer, die Bananen, die Milch des Landes. Als er unſere Inſtrumente, unſere Bücher und getrockneten Pflanzen ſah, konnte er ſich eines boshaften Lächelns nicht enthalten, und er geſtand mit der in dieſem Klima landesüblichen Naivetät, von allen Genüſſen dieſes Lebens, den Schlaf nicht ausge- nommen, ſei doch gutes Kuhfleiſch, carne de vaca, der köſt- lichſte; die Sinnlichkeit quillt eben überall über, wo es an geiſtiger Beſchäftigung fehlt. Oft bat uns unſer Wirt, mit ihm die Kuh zu beſuchen, die er eben gekauft hatte, und am anderen Tage bei Tagesanbruch mußten wir ſie nach Landes- ſitte ſchlachten ſehen; man machte ihr einen Schnitt durch die Häckſe, ehe man ihr das breite Meſſer in die Halswirbel ſtieß. So widrig dieſes Geſchäft war, ſo lernten wir dabei doch die ausnehmende Fertigkeit der Chaymas kennen, deren acht in weniger als 20 Minuten das Tier in kleine Stücke zerlegten. Die Kuh hatte nur 7 Piaſter gekoſtet, und dies galt für ſehr viel. Am ſelben Tage hatte der Miſ- ſionär einem Soldaten aus Cumana, der ihm nach mehre- ren vergeblichen Verſuchen endlich am Fuß die Ader ge- ſchlagen, 18 Piaſter bezahlt. Dieſer Fall, ſo unbedeutend er ſcheint, zeigt recht auffallend, wie hoch in unkultivierten Ländern die Arbeit dem Wert der Naturprodukte gegenüber im Preiſe ſteht.
Die Miſſion San Fernando wurde zu Ende des 17. Jahr- hunderts an der Stelle gegründet, wo die kleinen Flüſſe Manzanares und Lucasperez ſich vereinigen. Eine Feuers- brunſt, welche die Kirche und die Hütten der Indianer in Aſche legte, gab den Anlaß, daß die Kapuziner das Dorf an dem ſchönen Punkte, wo es jetzt liegt, wieder aufbauten. Die
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matten in einem Gange ſeines Hauſes zu befeſtigen. Er ſaß
den größten Teil des Tages über in einem großen Armſtuhle
von rotem Holz und beklagte ſich bitter über die Trägheit
und Unwiſſenheit ſeiner Landsleute. Er richtete tauſenderlei
Fragen an uns über den eigentlichen Zweck unſerer Reiſe,
die ihm ſehr gewagt und zum wenigſten ganz unnütz ſchien.
Hier wie am Orinoko wurde es uns ſehr beſchwerlich, daß
ſich die Spanier mitten in den Wäldern Amerikas für die
Kriege und politiſchen Stürme der Alten Welt immer noch
ſo lebhaft intereſſieren.
Unſer Miſſionär ſchien übrigens mit ſeiner Stellung
vollkommen zufrieden. Er behandelte die Indianer gut, er
ſah die Miſſion gedeihen, er pries in begeiſterten Worten das
Waſſer, die Bananen, die Milch des Landes. Als er unſere
Inſtrumente, unſere Bücher und getrockneten Pflanzen ſah,
konnte er ſich eines boshaften Lächelns nicht enthalten, und
er geſtand mit der in dieſem Klima landesüblichen Naivetät,
von allen Genüſſen dieſes Lebens, den Schlaf nicht ausge-
nommen, ſei doch gutes Kuhfleiſch, carne de vaca, der köſt-
lichſte; die Sinnlichkeit quillt eben überall über, wo es an
geiſtiger Beſchäftigung fehlt. Oft bat uns unſer Wirt, mit
ihm die Kuh zu beſuchen, die er eben gekauft hatte, und am
anderen Tage bei Tagesanbruch mußten wir ſie nach Landes-
ſitte ſchlachten ſehen; man machte ihr einen Schnitt durch die
Häckſe, ehe man ihr das breite Meſſer in die Halswirbel
ſtieß. So widrig dieſes Geſchäft war, ſo lernten wir dabei
doch die ausnehmende Fertigkeit der Chaymas kennen, deren
acht in weniger als 20 Minuten das Tier in kleine Stücke
zerlegten. Die Kuh hatte nur 7 Piaſter gekoſtet, und
dies galt für ſehr viel. Am ſelben Tage hatte der Miſ-
ſionär einem Soldaten aus Cumana, der ihm nach mehre-
ren vergeblichen Verſuchen endlich am Fuß die Ader ge-
ſchlagen, 18 Piaſter bezahlt. Dieſer Fall, ſo unbedeutend
er ſcheint, zeigt recht auffallend, wie hoch in unkultivierten
Ländern die Arbeit dem Wert der Naturprodukte gegenüber
im Preiſe ſteht.
Die Miſſion San Fernando wurde zu Ende des 17. Jahr-
hunderts an der Stelle gegründet, wo die kleinen Flüſſe
Manzanares und Lucasperez ſich vereinigen. Eine Feuers-
brunſt, welche die Kirche und die Hütten der Indianer in
Aſche legte, gab den Anlaß, daß die Kapuziner das Dorf an
dem ſchönen Punkte, wo es jetzt liegt, wieder aufbauten. Die
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/245>, abgerufen am 16.02.2025.
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