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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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den Missionen, die der Küste zu liegen, ist der Gemeinde-
garten meist eine Zucker- oder Indigoplantage, welcher der
Missionär vorsteht, und deren Ertrag, wenn das Gesetz streng
befolgt wird, nur zur Erhaltung der Kirche und zur An-
schaffung von Paramenten verwendet werden darf. Auf dem
großen Platze mitten im Dorfe stehen die Kirche, die Woh-
nung des Missionärs und das bescheidene Gebäude, das pomp-
haft Casa del Rey, "königliches Haus", betitelt wird. Es
ist ein förmliches Karawanserai, wo die Reisenden Obdach
finden, und, wie wir oft erfahren, eine wahre Wohlthat in
einem Lande, wo das Wort Wirtshaus noch unbekannt ist.
Die Casas del Rey findet man in allen spanischen Kolonieen,
und man könnte meinen, sie seien eine Nachahmung der nach
dem Gesetze Manco-Capacs errichteten Tambos in Peru.

Wir waren an die Ordensleute, die den Missionen der
Chaymasindianer vorstehen, durch ihren Syndikus in Cumana
empfohlen. Diese Empfehlung kam uns desto mehr zu statten,
als die Missionäre, sei es aus Besorgnis für die Sittlichkeit
ihrer Pfarrkinder, oder um die mönchische Zucht der zudring-
lichen Neugier Fremder zu entziehen, oft an einer alten Ver-
ordnung festhalten, nach welcher kein Weißer weltlichen Standes
sich länger als eine Nacht in einem indianischen Dorfe auf-
halten darf. Will man in den spanischen Missionen ange-
nehm reisen, so darf man sich meist nicht allein auf den Paß
des Madrider Staatssekretariates oder der Civilbehörden ver-
lassen, man muß sich mit Empfehlungen geistlicher Behörden
versehen; am wirksamsten sind die der Guardiane der Klöster
und der in Rom residierenden Ordensgenerale, vor denen die
Missionäre weit mehr Respekt haben als vor den Bischöfen.
Die Missionen bilden, ich sage nicht nach ihren ursprünglichen
kanonischen Satzungen, aber thatsächlich eine so ziemlich un-
abhängige Hierarchie für sich, die in ihren Ansichten selten mit
der Weltgeistlichkeit übereinstimmt.

Der Missionär von San Fernando war ein sehr bejahrter,
aber noch sehr kräftiger und munterer Kapuziner aus Aragon.
Seine bedeutende Körperrundung, sein guter Humor, sein
Interesse für Gefechte und Belagerungen stimmten schlecht zu
der Vorstellung, die man sich im Norden vom schwärmerischen
Trübsinn und dem beschaulichen Leben der Missionäre macht.
So viel ihm auch eine Kuh zu thun gab, die des anderen
Tages geschlachtet werden sollte, empfing uns doch der alte
Ordensmann ganz freundlich und erlaubte uns, unsere Hänge-

den Miſſionen, die der Küſte zu liegen, iſt der Gemeinde-
garten meiſt eine Zucker- oder Indigoplantage, welcher der
Miſſionär vorſteht, und deren Ertrag, wenn das Geſetz ſtreng
befolgt wird, nur zur Erhaltung der Kirche und zur An-
ſchaffung von Paramenten verwendet werden darf. Auf dem
großen Platze mitten im Dorfe ſtehen die Kirche, die Woh-
nung des Miſſionärs und das beſcheidene Gebäude, das pomp-
haft Casa del Rey, „königliches Haus“, betitelt wird. Es
iſt ein förmliches Karawanſerai, wo die Reiſenden Obdach
finden, und, wie wir oft erfahren, eine wahre Wohlthat in
einem Lande, wo das Wort Wirtshaus noch unbekannt iſt.
Die Casas del Rey findet man in allen ſpaniſchen Kolonieen,
und man könnte meinen, ſie ſeien eine Nachahmung der nach
dem Geſetze Manco-Capacs errichteten Tambos in Peru.

Wir waren an die Ordensleute, die den Miſſionen der
Chaymasindianer vorſtehen, durch ihren Syndikus in Cumana
empfohlen. Dieſe Empfehlung kam uns deſto mehr zu ſtatten,
als die Miſſionäre, ſei es aus Beſorgnis für die Sittlichkeit
ihrer Pfarrkinder, oder um die mönchiſche Zucht der zudring-
lichen Neugier Fremder zu entziehen, oft an einer alten Ver-
ordnung feſthalten, nach welcher kein Weißer weltlichen Standes
ſich länger als eine Nacht in einem indianiſchen Dorfe auf-
halten darf. Will man in den ſpaniſchen Miſſionen ange-
nehm reiſen, ſo darf man ſich meiſt nicht allein auf den Paß
des Madrider Staatsſekretariates oder der Civilbehörden ver-
laſſen, man muß ſich mit Empfehlungen geiſtlicher Behörden
verſehen; am wirkſamſten ſind die der Guardiane der Klöſter
und der in Rom reſidierenden Ordensgenerale, vor denen die
Miſſionäre weit mehr Reſpekt haben als vor den Biſchöfen.
Die Miſſionen bilden, ich ſage nicht nach ihren urſprünglichen
kanoniſchen Satzungen, aber thatſächlich eine ſo ziemlich un-
abhängige Hierarchie für ſich, die in ihren Anſichten ſelten mit
der Weltgeiſtlichkeit übereinſtimmt.

Der Miſſionär von San Fernando war ein ſehr bejahrter,
aber noch ſehr kräftiger und munterer Kapuziner aus Aragon.
Seine bedeutende Körperrundung, ſein guter Humor, ſein
Intereſſe für Gefechte und Belagerungen ſtimmten ſchlecht zu
der Vorſtellung, die man ſich im Norden vom ſchwärmeriſchen
Trübſinn und dem beſchaulichen Leben der Miſſionäre macht.
So viel ihm auch eine Kuh zu thun gab, die des anderen
Tages geſchlachtet werden ſollte, empfing uns doch der alte
Ordensmann ganz freundlich und erlaubte uns, unſere Hänge-

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[228/0244] den Miſſionen, die der Küſte zu liegen, iſt der Gemeinde- garten meiſt eine Zucker- oder Indigoplantage, welcher der Miſſionär vorſteht, und deren Ertrag, wenn das Geſetz ſtreng befolgt wird, nur zur Erhaltung der Kirche und zur An- ſchaffung von Paramenten verwendet werden darf. Auf dem großen Platze mitten im Dorfe ſtehen die Kirche, die Woh- nung des Miſſionärs und das beſcheidene Gebäude, das pomp- haft Casa del Rey, „königliches Haus“, betitelt wird. Es iſt ein förmliches Karawanſerai, wo die Reiſenden Obdach finden, und, wie wir oft erfahren, eine wahre Wohlthat in einem Lande, wo das Wort Wirtshaus noch unbekannt iſt. Die Casas del Rey findet man in allen ſpaniſchen Kolonieen, und man könnte meinen, ſie ſeien eine Nachahmung der nach dem Geſetze Manco-Capacs errichteten Tambos in Peru. Wir waren an die Ordensleute, die den Miſſionen der Chaymasindianer vorſtehen, durch ihren Syndikus in Cumana empfohlen. Dieſe Empfehlung kam uns deſto mehr zu ſtatten, als die Miſſionäre, ſei es aus Beſorgnis für die Sittlichkeit ihrer Pfarrkinder, oder um die mönchiſche Zucht der zudring- lichen Neugier Fremder zu entziehen, oft an einer alten Ver- ordnung feſthalten, nach welcher kein Weißer weltlichen Standes ſich länger als eine Nacht in einem indianiſchen Dorfe auf- halten darf. Will man in den ſpaniſchen Miſſionen ange- nehm reiſen, ſo darf man ſich meiſt nicht allein auf den Paß des Madrider Staatsſekretariates oder der Civilbehörden ver- laſſen, man muß ſich mit Empfehlungen geiſtlicher Behörden verſehen; am wirkſamſten ſind die der Guardiane der Klöſter und der in Rom reſidierenden Ordensgenerale, vor denen die Miſſionäre weit mehr Reſpekt haben als vor den Biſchöfen. Die Miſſionen bilden, ich ſage nicht nach ihren urſprünglichen kanoniſchen Satzungen, aber thatſächlich eine ſo ziemlich un- abhängige Hierarchie für ſich, die in ihren Anſichten ſelten mit der Weltgeiſtlichkeit übereinſtimmt. Der Miſſionär von San Fernando war ein ſehr bejahrter, aber noch ſehr kräftiger und munterer Kapuziner aus Aragon. Seine bedeutende Körperrundung, ſein guter Humor, ſein Intereſſe für Gefechte und Belagerungen ſtimmten ſchlecht zu der Vorſtellung, die man ſich im Norden vom ſchwärmeriſchen Trübſinn und dem beſchaulichen Leben der Miſſionäre macht. So viel ihm auch eine Kuh zu thun gab, die des anderen Tages geſchlachtet werden ſollte, empfing uns doch der alte Ordensmann ganz freundlich und erlaubte uns, unſere Hänge-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/244>, abgerufen am 26.04.2024.