schaffte mir die Werke über die zu bereisenden Länder. Ich nahm Abschied von meinem Bruder, der durch Rat und Bei- spiel meine Geistesrichtung hatte bestimmen helfen. Er billigte die Beweggründe meines Entschlusses, Europa zu verlassen; eine geheime Stimme sagte uns, daß wir uns wiedersehen würden. Diese Hoffnung hat uns auch nicht betrogen, und sie linderte den Schmerz einer langen Trennung. Ich verließ Paris mit dem Entschluß, mich nach Algier und Aegypten einzuschiffen, und wie nun einmal der Zufall in allem Men- schenleben regiert, ich sah bei der Rückkehr vom Amazonenstrom und aus Peru meinen Bruder wieder, ohne das Festland von Afrika betreten zu haben.
Die schwedische Fregatte, welche Skiöldebrand nach Algier überführen sollte, wurde zu Marseille in den letzten Tagen Oktobers erwartet. Bonpland und ich begaben uns um diese Zeit dahin, und eilten um so mehr, da wir während der Reise immer besorgten, zu spät zu kommen und das Schiff zu ver- säumen. Wir ahnten nicht, welche neuen Widerwärtigkeiten uns zunächst bevorstanden.
Skiöldebrand war so ungeduldig als wir, seinen Bestim- mungsort zu erreichen. Wir bestiegen mehrmals im Tage den Berg Notre Dame de la Garde, von dem man weit ins Mittelmeer hinausblickt. Jedes Segel, das am Horizont sichtbar wurde, setzte uns in Aufregung; aber nachdem wir zwei Monate in großer Unruhe vergeblich geharrt, ersahen wir aus den Zeitungen, daß die schwedische Fregatte, die uns überführen sollte, in einem Sturm an den Küsten von Portugal stark gelitten und in den Hafen von Cadiz habe einlaufen müssen, um ausgebessert zu werden. Privatbriefe bestätigten die Nachricht, und es war gewiß, daß der Jaramas -- so hieß die Fregatte -- vor dem Frühjahr nicht nach Marseille kommen konnte.
Wir konnten es nicht über uns gewinnen, bis dahin in der Provence zu bleiben. Das Land, zumal das Klima, fanden wir herrlich; aber der Anblick des Meeres mahnte uns fortwährend an unsere zertrümmerten Hoffnungen. Auf einem Ausflug nach Hyeres und Toulon fanden wir in letzterem Hafen die Fregatte Boudeuse, die Bougainville auf seiner Reise um die Welt befehligt hatte. Ich hatte mich zu Paris, als ich mich rüstete, die Expedition des Kapitäns Baudin mitzumachen, des besondern Wohlwollens des berühmten See- fahrers zu erfreuen gehabt. Nur schwer vermöchte ich zu
ſchaffte mir die Werke über die zu bereiſenden Länder. Ich nahm Abſchied von meinem Bruder, der durch Rat und Bei- ſpiel meine Geiſtesrichtung hatte beſtimmen helfen. Er billigte die Beweggründe meines Entſchluſſes, Europa zu verlaſſen; eine geheime Stimme ſagte uns, daß wir uns wiederſehen würden. Dieſe Hoffnung hat uns auch nicht betrogen, und ſie linderte den Schmerz einer langen Trennung. Ich verließ Paris mit dem Entſchluß, mich nach Algier und Aegypten einzuſchiffen, und wie nun einmal der Zufall in allem Men- ſchenleben regiert, ich ſah bei der Rückkehr vom Amazonenſtrom und aus Peru meinen Bruder wieder, ohne das Feſtland von Afrika betreten zu haben.
Die ſchwediſche Fregatte, welche Skiöldebrand nach Algier überführen ſollte, wurde zu Marſeille in den letzten Tagen Oktobers erwartet. Bonpland und ich begaben uns um dieſe Zeit dahin, und eilten um ſo mehr, da wir während der Reiſe immer beſorgten, zu ſpät zu kommen und das Schiff zu ver- ſäumen. Wir ahnten nicht, welche neuen Widerwärtigkeiten uns zunächſt bevorſtanden.
Skiöldebrand war ſo ungeduldig als wir, ſeinen Beſtim- mungsort zu erreichen. Wir beſtiegen mehrmals im Tage den Berg Notre Dame de la Garde, von dem man weit ins Mittelmeer hinausblickt. Jedes Segel, das am Horizont ſichtbar wurde, ſetzte uns in Aufregung; aber nachdem wir zwei Monate in großer Unruhe vergeblich geharrt, erſahen wir aus den Zeitungen, daß die ſchwediſche Fregatte, die uns überführen ſollte, in einem Sturm an den Küſten von Portugal ſtark gelitten und in den Hafen von Cadiz habe einlaufen müſſen, um ausgebeſſert zu werden. Privatbriefe beſtätigten die Nachricht, und es war gewiß, daß der Jaramas — ſo hieß die Fregatte — vor dem Frühjahr nicht nach Marſeille kommen konnte.
Wir konnten es nicht über uns gewinnen, bis dahin in der Provence zu bleiben. Das Land, zumal das Klima, fanden wir herrlich; aber der Anblick des Meeres mahnte uns fortwährend an unſere zertrümmerten Hoffnungen. Auf einem Ausflug nach Hyères und Toulon fanden wir in letzterem Hafen die Fregatte Boudeuſe, die Bougainville auf ſeiner Reiſe um die Welt befehligt hatte. Ich hatte mich zu Paris, als ich mich rüſtete, die Expedition des Kapitäns Baudin mitzumachen, des beſondern Wohlwollens des berühmten See- fahrers zu erfreuen gehabt. Nur ſchwer vermöchte ich zu
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ſchaffte mir die Werke über die zu bereiſenden Länder. Ich
nahm Abſchied von meinem Bruder, der durch Rat und Bei-
ſpiel meine Geiſtesrichtung hatte beſtimmen helfen. Er billigte
die Beweggründe meines Entſchluſſes, Europa zu verlaſſen;
eine geheime Stimme ſagte uns, daß wir uns wiederſehen
würden. Dieſe Hoffnung hat uns auch nicht betrogen, und
ſie linderte den Schmerz einer langen Trennung. Ich verließ
Paris mit dem Entſchluß, mich nach Algier und Aegypten
einzuſchiffen, und wie nun einmal der Zufall in allem Men-
ſchenleben regiert, ich ſah bei der Rückkehr vom Amazonenſtrom
und aus Peru meinen Bruder wieder, ohne das Feſtland von
Afrika betreten zu haben.
Die ſchwediſche Fregatte, welche Skiöldebrand nach Algier
überführen ſollte, wurde zu Marſeille in den letzten Tagen
Oktobers erwartet. Bonpland und ich begaben uns um dieſe
Zeit dahin, und eilten um ſo mehr, da wir während der Reiſe
immer beſorgten, zu ſpät zu kommen und das Schiff zu ver-
ſäumen. Wir ahnten nicht, welche neuen Widerwärtigkeiten
uns zunächſt bevorſtanden.
Skiöldebrand war ſo ungeduldig als wir, ſeinen Beſtim-
mungsort zu erreichen. Wir beſtiegen mehrmals im Tage den
Berg Notre Dame de la Garde, von dem man weit ins
Mittelmeer hinausblickt. Jedes Segel, das am Horizont
ſichtbar wurde, ſetzte uns in Aufregung; aber nachdem wir
zwei Monate in großer Unruhe vergeblich geharrt, erſahen
wir aus den Zeitungen, daß die ſchwediſche Fregatte, die uns
überführen ſollte, in einem Sturm an den Küſten von Portugal
ſtark gelitten und in den Hafen von Cadiz habe einlaufen
müſſen, um ausgebeſſert zu werden. Privatbriefe beſtätigten
die Nachricht, und es war gewiß, daß der Jaramas — ſo
hieß die Fregatte — vor dem Frühjahr nicht nach Marſeille
kommen konnte.
Wir konnten es nicht über uns gewinnen, bis dahin in
der Provence zu bleiben. Das Land, zumal das Klima,
fanden wir herrlich; aber der Anblick des Meeres mahnte
uns fortwährend an unſere zertrümmerten Hoffnungen. Auf
einem Ausflug nach Hyères und Toulon fanden wir in letzterem
Hafen die Fregatte Boudeuſe, die Bougainville auf ſeiner
Reiſe um die Welt befehligt hatte. Ich hatte mich zu Paris,
als ich mich rüſtete, die Expedition des Kapitäns Baudin
mitzumachen, des beſondern Wohlwollens des berühmten See-
fahrers zu erfreuen gehabt. Nur ſchwer vermöchte ich zu
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/24>, abgerufen am 18.05.2022.
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