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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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goldgelb blühender Bava 1 bedeckte Ebene und die Berge des
Brigantin. Es fiel uns auf, wie nahe uns die Kordillere
gerückt schien, bevor die Scheibe der aufgehenden Sonne den
Horizont erreicht hatte. Das Blau der Berggipfel ist dunkler,
ihre Umrisse erscheinen schärfer, ihre Massen treten deutlicher
hervor, solange nicht die Durchsichtigkeit der Luft durch die
Dünste beeinträchtigt wird, die nachts in den Thälern lagern
und im Maße, als die Luft sich zu erwärmen beginnt, in
die Höhe steigen.

Beim Hospiz Divina Pastora wendet sich der Weg nach
Nordost und läuft 9 km über einen baumlosen Landstrich,
der früher Seeboden war. Man findet hier nicht nur Kaktus,
Büsche des cistusblätterigen Tribulus und die schöne purpur-
farbige Euphorbie, die in Havana unter dem seltsamen Namen
Dictamno real gezogen wird, sondern auch Avicennia,
Allionia, Peruvium, Thalinum
und die meisten Portulaceen,
die am Golf von Cariaco vorkommen. Diese geographische
Verteilung der Gewächse weist, wie es scheint, auf den Umriß
der alten Küste hin und spricht dafür, daß, wie oben bemerkt
worden, die Hügel, an deren Südabhang wir hinzogen, einst
eine durch einen Meeresarm vom Festlande getrennte Insel
bildeten.

Nach zwei Stunden Weges gelangten wir an den Fuß der
hohen Bergkette im Inneren, die vom Brigantin bis zum
Cerro de San Lorenzo von Ost nach West streicht. Hier be-
ginnen neue Gebirgsarten und damit ein anderer Habitus
des Pflanzenwuchses. Alles erhält einen großartigeren, male-
rischeren Charakter. Der quellenreiche Boden ist nach allen
Richtungen von Wasserfäden durchzogen. Bäume von riesiger
Höhe, mit Schlinggewächsen bedeckt, steigen aus den Schluchten
empor; ihre schwarze, von der Sonnenglut und vom Sauer-
stoff der Luft verbrannte Rinde sticht ab vom frischen Grün
der Pothos und der Dracontien, deren lederartige glänzende
Blätter nicht selten mehrere Fuß lang sind. Es ist nicht
anders, als ob unter den Tropen die parasitischen Mono-
kotyledonen die Stelle des Mooses und der Flechten unserer
nördlichen Landstriche verträten. Je weiter wir kamen, desto
mehr erinnerten uns die Gesteinsmassen sowohl nach Gestalt
als Gruppierung an Schweizer und Tiroler Landschaften.
In diesen amerikanischen Alpen wachsen noch in bedeutenden

1 Zygophyllum arboreum, Jacq.

goldgelb blühender Bava 1 bedeckte Ebene und die Berge des
Brigantin. Es fiel uns auf, wie nahe uns die Kordillere
gerückt ſchien, bevor die Scheibe der aufgehenden Sonne den
Horizont erreicht hatte. Das Blau der Berggipfel iſt dunkler,
ihre Umriſſe erſcheinen ſchärfer, ihre Maſſen treten deutlicher
hervor, ſolange nicht die Durchſichtigkeit der Luft durch die
Dünſte beeinträchtigt wird, die nachts in den Thälern lagern
und im Maße, als die Luft ſich zu erwärmen beginnt, in
die Höhe ſteigen.

Beim Hoſpiz Divina Paſtora wendet ſich der Weg nach
Nordoſt und läuft 9 km über einen baumloſen Landſtrich,
der früher Seeboden war. Man findet hier nicht nur Kaktus,
Büſche des ciſtusblätterigen Tribulus und die ſchöne purpur-
farbige Euphorbie, die in Havana unter dem ſeltſamen Namen
Dictamno real gezogen wird, ſondern auch Avicennia,
Allionia, Peruvium, Thalinum
und die meiſten Portulaceen,
die am Golf von Cariaco vorkommen. Dieſe geographiſche
Verteilung der Gewächſe weiſt, wie es ſcheint, auf den Umriß
der alten Küſte hin und ſpricht dafür, daß, wie oben bemerkt
worden, die Hügel, an deren Südabhang wir hinzogen, einſt
eine durch einen Meeresarm vom Feſtlande getrennte Inſel
bildeten.

Nach zwei Stunden Weges gelangten wir an den Fuß der
hohen Bergkette im Inneren, die vom Brigantin bis zum
Cerro de San Lorenzo von Oſt nach Weſt ſtreicht. Hier be-
ginnen neue Gebirgsarten und damit ein anderer Habitus
des Pflanzenwuchſes. Alles erhält einen großartigeren, male-
riſcheren Charakter. Der quellenreiche Boden iſt nach allen
Richtungen von Waſſerfäden durchzogen. Bäume von rieſiger
Höhe, mit Schlinggewächſen bedeckt, ſteigen aus den Schluchten
empor; ihre ſchwarze, von der Sonnenglut und vom Sauer-
ſtoff der Luft verbrannte Rinde ſticht ab vom friſchen Grün
der Pothos und der Dracontien, deren lederartige glänzende
Blätter nicht ſelten mehrere Fuß lang ſind. Es iſt nicht
anders, als ob unter den Tropen die paraſitiſchen Mono-
kotyledonen die Stelle des Mooſes und der Flechten unſerer
nördlichen Landſtriche verträten. Je weiter wir kamen, deſto
mehr erinnerten uns die Geſteinsmaſſen ſowohl nach Geſtalt
als Gruppierung an Schweizer und Tiroler Landſchaften.
In dieſen amerikaniſchen Alpen wachſen noch in bedeutenden

1 Zygophyllum arboreum, Jacq.
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[216/0232] goldgelb blühender Bava 1 bedeckte Ebene und die Berge des Brigantin. Es fiel uns auf, wie nahe uns die Kordillere gerückt ſchien, bevor die Scheibe der aufgehenden Sonne den Horizont erreicht hatte. Das Blau der Berggipfel iſt dunkler, ihre Umriſſe erſcheinen ſchärfer, ihre Maſſen treten deutlicher hervor, ſolange nicht die Durchſichtigkeit der Luft durch die Dünſte beeinträchtigt wird, die nachts in den Thälern lagern und im Maße, als die Luft ſich zu erwärmen beginnt, in die Höhe ſteigen. Beim Hoſpiz Divina Paſtora wendet ſich der Weg nach Nordoſt und läuft 9 km über einen baumloſen Landſtrich, der früher Seeboden war. Man findet hier nicht nur Kaktus, Büſche des ciſtusblätterigen Tribulus und die ſchöne purpur- farbige Euphorbie, die in Havana unter dem ſeltſamen Namen Dictamno real gezogen wird, ſondern auch Avicennia, Allionia, Peruvium, Thalinum und die meiſten Portulaceen, die am Golf von Cariaco vorkommen. Dieſe geographiſche Verteilung der Gewächſe weiſt, wie es ſcheint, auf den Umriß der alten Küſte hin und ſpricht dafür, daß, wie oben bemerkt worden, die Hügel, an deren Südabhang wir hinzogen, einſt eine durch einen Meeresarm vom Feſtlande getrennte Inſel bildeten. Nach zwei Stunden Weges gelangten wir an den Fuß der hohen Bergkette im Inneren, die vom Brigantin bis zum Cerro de San Lorenzo von Oſt nach Weſt ſtreicht. Hier be- ginnen neue Gebirgsarten und damit ein anderer Habitus des Pflanzenwuchſes. Alles erhält einen großartigeren, male- riſcheren Charakter. Der quellenreiche Boden iſt nach allen Richtungen von Waſſerfäden durchzogen. Bäume von rieſiger Höhe, mit Schlinggewächſen bedeckt, ſteigen aus den Schluchten empor; ihre ſchwarze, von der Sonnenglut und vom Sauer- ſtoff der Luft verbrannte Rinde ſticht ab vom friſchen Grün der Pothos und der Dracontien, deren lederartige glänzende Blätter nicht ſelten mehrere Fuß lang ſind. Es iſt nicht anders, als ob unter den Tropen die paraſitiſchen Mono- kotyledonen die Stelle des Mooſes und der Flechten unſerer nördlichen Landſtriche verträten. Je weiter wir kamen, deſto mehr erinnerten uns die Geſteinsmaſſen ſowohl nach Geſtalt als Gruppierung an Schweizer und Tiroler Landſchaften. In dieſen amerikaniſchen Alpen wachſen noch in bedeutenden 1 Zygophyllum arboreum, Jacq.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/232>, abgerufen am 29.03.2024.