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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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untermeerischen Strömen auf die Temperatur des Wassers
oder auf die Häufigkeit gewisser Weichtiere, von denen sich die
Muscheln nähren, Einfluß geäußert haben.

Am 20. morgens führte uns der Sohn unseres Wirtes,
ein sehr kräftiger Indianer, über den Barigon und Caney
ins Dorf Maniquarez. Es waren vier Stunden Weges. Durch
das Rückprallen der Sonnenstrahlen vom Sand stieg der
Thermometer auf 31,3°. Die Säulenkaktus, die am Wege
stehen, geben der Landschaft einen grünen Schein, ohne Kühle
und Schatten zu bieten. Unser Führer setzte sich, ehe er 5 km
weit gegangen war, jeden Augenblick nieder. Im Schatten
eines schönen Tamarindenbaumes bei den Casas de la Vela
wollte er sich gar niederlegen, um den Anbruch der Nacht ab-
zuwarten. Ich hebe diesen Charakterzug hervor, da er einem
überall entgegentritt, so oft man mit Indianern reist, und zu
den irrigsten Vorstellungen von der Körperverfassung der ver-
schiedenen Menschenrassen Anlaß gegeben hat. Der kupfer-
farbige Eingeborene, der besser als der reisende Europäer an
die glühende Hitze des Himmelsstriches gewöhnt ist, beklagt sich
nur deshalb mehr darüber, weil ihn kein Reiz antreibt. Geld
ist keine Lockung für ihn, und hat er sich je einmal durch
Gewinnsucht verführen lassen, so reut ihn sein Entschluß, so-
bald er auf dem Wege ist. Derselbe Indianer aber, der sich
beklagt, wenn man ihm beim Botanisieren eine Pflanzenbüchse
zu tragen gibt, treibt einen Kahn gegen die rascheste Strömung
und rudert so 14 bis 15 Stunden in einem fort, weil er sich
zu den Seinigen zurücksehnt. Will man die Muskelkraft der
Völker richtig schätzen lernen, muß man sie unter Umständen
beobachten, wo ihre Handlungen durch einen gleich kräftigen
Willen bestimmt werden.

Wir besahen in der Nähe die Trümmer des Schlosses
Santiago, das durch seine ausnehmend feste Bauart merk-
würdig ist. Die Mauern aus behauenen Steinen sind 1,6 m
dick; man mußte sie mit Minen sprengen; man sieht noch
Mauerstücke von 70, 80 qm, die kaum einen Riß zeigen.
Unser Führer zeigte uns eine Zisterne (el aljibe), die 10 m
tief ist und, obgleich ziemlich schadhaft, den Bewohnern der
Halbinsel Araya Wasser liefert. Diese Zisterne wurde im
Jahre 1681 vom Statthalter Don Juan Padilla Guardiola
vollendet, demselben, der in Cumana das kleine Fort Santa
Maria gebaut hat. Da der Behälter mit einem Gewölbe im
Rundbogen geschlossen ist, so bleibt das Wasser darin frisch

untermeeriſchen Strömen auf die Temperatur des Waſſers
oder auf die Häufigkeit gewiſſer Weichtiere, von denen ſich die
Muſcheln nähren, Einfluß geäußert haben.

Am 20. morgens führte uns der Sohn unſeres Wirtes,
ein ſehr kräftiger Indianer, über den Barigon und Caney
ins Dorf Maniquarez. Es waren vier Stunden Weges. Durch
das Rückprallen der Sonnenſtrahlen vom Sand ſtieg der
Thermometer auf 31,3°. Die Säulenkaktus, die am Wege
ſtehen, geben der Landſchaft einen grünen Schein, ohne Kühle
und Schatten zu bieten. Unſer Führer ſetzte ſich, ehe er 5 km
weit gegangen war, jeden Augenblick nieder. Im Schatten
eines ſchönen Tamarindenbaumes bei den Caſas de la Vela
wollte er ſich gar niederlegen, um den Anbruch der Nacht ab-
zuwarten. Ich hebe dieſen Charakterzug hervor, da er einem
überall entgegentritt, ſo oft man mit Indianern reiſt, und zu
den irrigſten Vorſtellungen von der Körperverfaſſung der ver-
ſchiedenen Menſchenraſſen Anlaß gegeben hat. Der kupfer-
farbige Eingeborene, der beſſer als der reiſende Europäer an
die glühende Hitze des Himmelsſtriches gewöhnt iſt, beklagt ſich
nur deshalb mehr darüber, weil ihn kein Reiz antreibt. Geld
iſt keine Lockung für ihn, und hat er ſich je einmal durch
Gewinnſucht verführen laſſen, ſo reut ihn ſein Entſchluß, ſo-
bald er auf dem Wege iſt. Derſelbe Indianer aber, der ſich
beklagt, wenn man ihm beim Botaniſieren eine Pflanzenbüchſe
zu tragen gibt, treibt einen Kahn gegen die raſcheſte Strömung
und rudert ſo 14 bis 15 Stunden in einem fort, weil er ſich
zu den Seinigen zurückſehnt. Will man die Muskelkraft der
Völker richtig ſchätzen lernen, muß man ſie unter Umſtänden
beobachten, wo ihre Handlungen durch einen gleich kräftigen
Willen beſtimmt werden.

Wir beſahen in der Nähe die Trümmer des Schloſſes
Santiago, das durch ſeine ausnehmend feſte Bauart merk-
würdig iſt. Die Mauern aus behauenen Steinen ſind 1,6 m
dick; man mußte ſie mit Minen ſprengen; man ſieht noch
Mauerſtücke von 70, 80 qm, die kaum einen Riß zeigen.
Unſer Führer zeigte uns eine Ziſterne (el aljibe), die 10 m
tief iſt und, obgleich ziemlich ſchadhaft, den Bewohnern der
Halbinſel Araya Waſſer liefert. Dieſe Ziſterne wurde im
Jahre 1681 vom Statthalter Don Juan Padilla Guardiola
vollendet, demſelben, der in Cumana das kleine Fort Santa
Maria gebaut hat. Da der Behälter mit einem Gewölbe im
Rundbogen geſchloſſen iſt, ſo bleibt das Waſſer darin friſch

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[203/0219] untermeeriſchen Strömen auf die Temperatur des Waſſers oder auf die Häufigkeit gewiſſer Weichtiere, von denen ſich die Muſcheln nähren, Einfluß geäußert haben. Am 20. morgens führte uns der Sohn unſeres Wirtes, ein ſehr kräftiger Indianer, über den Barigon und Caney ins Dorf Maniquarez. Es waren vier Stunden Weges. Durch das Rückprallen der Sonnenſtrahlen vom Sand ſtieg der Thermometer auf 31,3°. Die Säulenkaktus, die am Wege ſtehen, geben der Landſchaft einen grünen Schein, ohne Kühle und Schatten zu bieten. Unſer Führer ſetzte ſich, ehe er 5 km weit gegangen war, jeden Augenblick nieder. Im Schatten eines ſchönen Tamarindenbaumes bei den Caſas de la Vela wollte er ſich gar niederlegen, um den Anbruch der Nacht ab- zuwarten. Ich hebe dieſen Charakterzug hervor, da er einem überall entgegentritt, ſo oft man mit Indianern reiſt, und zu den irrigſten Vorſtellungen von der Körperverfaſſung der ver- ſchiedenen Menſchenraſſen Anlaß gegeben hat. Der kupfer- farbige Eingeborene, der beſſer als der reiſende Europäer an die glühende Hitze des Himmelsſtriches gewöhnt iſt, beklagt ſich nur deshalb mehr darüber, weil ihn kein Reiz antreibt. Geld iſt keine Lockung für ihn, und hat er ſich je einmal durch Gewinnſucht verführen laſſen, ſo reut ihn ſein Entſchluß, ſo- bald er auf dem Wege iſt. Derſelbe Indianer aber, der ſich beklagt, wenn man ihm beim Botaniſieren eine Pflanzenbüchſe zu tragen gibt, treibt einen Kahn gegen die raſcheſte Strömung und rudert ſo 14 bis 15 Stunden in einem fort, weil er ſich zu den Seinigen zurückſehnt. Will man die Muskelkraft der Völker richtig ſchätzen lernen, muß man ſie unter Umſtänden beobachten, wo ihre Handlungen durch einen gleich kräftigen Willen beſtimmt werden. Wir beſahen in der Nähe die Trümmer des Schloſſes Santiago, das durch ſeine ausnehmend feſte Bauart merk- würdig iſt. Die Mauern aus behauenen Steinen ſind 1,6 m dick; man mußte ſie mit Minen ſprengen; man ſieht noch Mauerſtücke von 70, 80 qm, die kaum einen Riß zeigen. Unſer Führer zeigte uns eine Ziſterne (el aljibe), die 10 m tief iſt und, obgleich ziemlich ſchadhaft, den Bewohnern der Halbinſel Araya Waſſer liefert. Dieſe Ziſterne wurde im Jahre 1681 vom Statthalter Don Juan Padilla Guardiola vollendet, demſelben, der in Cumana das kleine Fort Santa Maria gebaut hat. Da der Behälter mit einem Gewölbe im Rundbogen geſchloſſen iſt, ſo bleibt das Waſſer darin friſch

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/219>, abgerufen am 23.04.2024.