Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.liche Zerstörung der Stadt Caracas erfolgte 34 Tage vor Man hat längst die Bemerkung gemacht, daß die Wirkun- 1 Am 1. November 1755 und 31. März 1761. Beim ersteren
Erdbeben überschwemmte das Meer in Europa die Küsten von Schweden, England und Spanien, in Amerika die Inseln Antigua, Barbados und Martinique. Auf Barbados, wo die Flut gewöhn- lich nur 640 bis 746 mm hoch steigt, stieg das Wasser in der Bucht von Carlisle 6,5 m hoch. Es wurde zugleich "tintenschwarz", ohne Zweifel, weil sich der Asphalt, der im Meerbusen von Cariaco, wie bei der Insel Trinidad, auf dem Meeresboden häufig vor- kommt, mit dem Wasser vermengt hatte. Auf den Antillen und auf mehreren Schweizer Seen wurde eine auffallende Bewegung des Wassers 6 Stunden vor dem ersten Stoß, den man in Lissabon spürte, beobachtet. In Cadiz sah man auf 36 km weit aus der offenen See einen 20 m hohen Wasserberg anrücken; er stürzte sich auf die Küste und zerstörte eine Menge Gebäude, ähnlich wie die 56 m hohe Flutwelle, die am 9. Juni 1586 beim Erdbeben von Lima den Hafen von Callao überschwemmte. In Amerika hatte man auf dem Ontariosee seit Oktober 1755 eine starke Aufregung des Wassers beobachtet. Diese Erscheinungen weisen darauf hin, daß auf ungeheure Strecken hin unterirdische Verbindungen be- stehen. Bei der Zusammenstellung der meist weit auseinander liegenden Zeitpunkte, in denen Lima und Guatemala völlig zerstört wurden, glaubte man hin und wieder die Bemerkung zu machen, als ob sich eine Wirkung langsam den Kordilleren entlang geäußert hätte, bald von Nord nach Süd, bald von Süd nach Nord. Ich gebe hier vier dieser auffallenden Zeitpunkte:
liche Zerſtörung der Stadt Caracas erfolgte 34 Tage vor Man hat längſt die Bemerkung gemacht, daß die Wirkun- 1 Am 1. November 1755 und 31. März 1761. Beim erſteren
Erdbeben überſchwemmte das Meer in Europa die Küſten von Schweden, England und Spanien, in Amerika die Inſeln Antigua, Barbados und Martinique. Auf Barbados, wo die Flut gewöhn- lich nur 640 bis 746 mm hoch ſteigt, ſtieg das Waſſer in der Bucht von Carlisle 6,5 m hoch. Es wurde zugleich „tintenſchwarz“, ohne Zweifel, weil ſich der Asphalt, der im Meerbuſen von Cariaco, wie bei der Inſel Trinidad, auf dem Meeresboden häufig vor- kommt, mit dem Waſſer vermengt hatte. Auf den Antillen und auf mehreren Schweizer Seen wurde eine auffallende Bewegung des Waſſers 6 Stunden vor dem erſten Stoß, den man in Liſſabon ſpürte, beobachtet. In Cadiz ſah man auf 36 km weit aus der offenen See einen 20 m hohen Waſſerberg anrücken; er ſtürzte ſich auf die Küſte und zerſtörte eine Menge Gebäude, ähnlich wie die 56 m hohe Flutwelle, die am 9. Juni 1586 beim Erdbeben von Lima den Hafen von Callao überſchwemmte. In Amerika hatte man auf dem Ontarioſee ſeit Oktober 1755 eine ſtarke Aufregung des Waſſers beobachtet. Dieſe Erſcheinungen weiſen darauf hin, daß auf ungeheure Strecken hin unterirdiſche Verbindungen be- ſtehen. Bei der Zuſammenſtellung der meiſt weit auseinander liegenden Zeitpunkte, in denen Lima und Guatemala völlig zerſtört wurden, glaubte man hin und wieder die Bemerkung zu machen, als ob ſich eine Wirkung langſam den Kordilleren entlang geäußert hätte, bald von Nord nach Süd, bald von Süd nach Nord. Ich gebe hier vier dieſer auffallenden Zeitpunkte:
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liche Zerſtörung der Stadt Caracas erfolgte 34 Tage vor
dieſem Ausbruch und ſtarke Bodenſchwingungen wurden ſo-
wohl auf den Inſeln als an den Küſten von Terra Firma
geſpürt.
Man hat längſt die Bemerkung gemacht, daß die Wirkun-
gen großer Erdbeben ſich ungleich weiter verbreiten als die
Erſcheinungen der thätigen Vulkane. Beobachtet man in
Italien die Umwälzungen des Erdbodens, betrachtet man die
Reihe der Ausbrüche des Veſuv und des Aetna genau, ſo
entdeckt man, ſo nahe auch dieſe Berge bei einander liegen,
kaum Spuren gleichzeitiger Thätigkeit. Dagegen unterliegt
es keinem Zweifel, daß bei den beiden letzten Erdbeben von
Liſſabon 1 das Meer bis in die Neue Welt hinüber in Auf-
1 Am 1. November 1755 und 31. März 1761. Beim erſteren
Erdbeben überſchwemmte das Meer in Europa die Küſten von
Schweden, England und Spanien, in Amerika die Inſeln Antigua,
Barbados und Martinique. Auf Barbados, wo die Flut gewöhn-
lich nur 640 bis 746 mm hoch ſteigt, ſtieg das Waſſer in der
Bucht von Carlisle 6,5 m hoch. Es wurde zugleich „tintenſchwarz“,
ohne Zweifel, weil ſich der Asphalt, der im Meerbuſen von Cariaco,
wie bei der Inſel Trinidad, auf dem Meeresboden häufig vor-
kommt, mit dem Waſſer vermengt hatte. Auf den Antillen und
auf mehreren Schweizer Seen wurde eine auffallende Bewegung
des Waſſers 6 Stunden vor dem erſten Stoß, den man in Liſſabon
ſpürte, beobachtet. In Cadiz ſah man auf 36 km weit aus der
offenen See einen 20 m hohen Waſſerberg anrücken; er ſtürzte ſich
auf die Küſte und zerſtörte eine Menge Gebäude, ähnlich wie die
56 m hohe Flutwelle, die am 9. Juni 1586 beim Erdbeben von
Lima den Hafen von Callao überſchwemmte. In Amerika hatte
man auf dem Ontarioſee ſeit Oktober 1755 eine ſtarke Aufregung
des Waſſers beobachtet. Dieſe Erſcheinungen weiſen darauf hin,
daß auf ungeheure Strecken hin unterirdiſche Verbindungen be-
ſtehen. Bei der Zuſammenſtellung der meiſt weit auseinander
liegenden Zeitpunkte, in denen Lima und Guatemala völlig zerſtört
wurden, glaubte man hin und wieder die Bemerkung zu machen,
als ob ſich eine Wirkung langſam den Kordilleren entlang geäußert
hätte, bald von Nord nach Süd, bald von Süd nach Nord. Ich
gebe hier vier dieſer auffallenden Zeitpunkte:
Mexiko Peru
(Breite 13° 32′ Nord) (Breite 12° 6′ Süd)
30. Nov. 1577, 17. Juni 1578,
4. März 1679, 17. Juni 1678,
12. Febr. 1689, 10. Okt. 1688,
27. Sept. 1717, 8. Febr. 1716.
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