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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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im Dorfe Maniquarez der Boden stark erschüttert, während
man an der Küste von Cumana der tiefsten Ruhe genießt, und
doch ist der Meerbusen von Cariaco nur 110 bis 150 m tief.

Man will beobachtet haben, daß auf dem Festlande wie
auf den Inseln die West- und Südküsten den Stößen am
meisten ausgesetzt seien. Diese Beobachtung steht im Zu-
sammenhang mit den Ideen hinsichtlich der Lage der großen
Gebirgsketten und der Richtung ihrer steilsten Abhänge, wie
sie sich schon lange in der Geologie geltend gemacht haben;
das Vorhandensein der Kordillere von Caracas und die Häufig-
keit der Erdbeben an den Ost- und Nordküsten von Terra
Firma, im Meerbusen von Paria, in Carupano, Cariaco und
Cumana beweisen, wie wenig begründet jene Ansicht ist.

In Neuandalusien, wie in Chile und Peru, gehen die
Erdstöße den Küsten nach und nicht weit ins Innere des
Landes hinein. Dieser Umstand weist, wie wir bald sehen
werden, darauf hin, daß die Ursachen der Erdbeben und der
vulkanischen Ausbrüche in engem Verbande stehen. Würde
der Boden an den Küsten deshalb stärker erschüttert, weil diese
die am tiefsten gelegenen Punkte des Landes sind, warum
wären dann in den Savannen oder Prairieen, die kaum 16 oder
20 m über dem Meeresspiegel liegen, die Stöße nicht ebenso
oft und ebenso stark zu fühlen?

Die Erdbeben in Cumana sind mit denen auf den kleinen
Antillen verkettet, und man hat sogar vermutet, sie könnten
mit den vulkanischen Erscheinungen in den Kordilleren der
Anden in einigem Zusammenhang stehen. Am 11. Februar
1797 erlitt der Boden der Provinz Quito eine Umwälzung,
durch die, trotz der sehr schwachen Bevölkerung des Landes,
gegen 40000 Eingeborene unter den Trümmern ihrer Häuser
begraben wurden, in Erdspalten stürzten oder in den plötzlich
neu gebildeten Seen ertranken. Zur selben Zeit wurden die
Bewohner der östlichen Antillen durch Erdstöße erschreckt, die
erst nach 8 Monaten aufhörten, als der Vulkan auf Guade-
loupe Bimssteine, Asche und Wolken von Schwefeldämpfen
ausstieß. Auf diesen Ausbruch vom 29. September, während-
dessen man lange anhaltendes unterirdisches Brüllen hörte,
folgte am 14. Dezember das große Erdbeben von Cumana.
Ein anderer Vulkan der Antillen, der auf St. Vincent, hat
seitdem ein neues Beispiel solcher auffallenden Wechselbe-
ziehungen geliefert. Er hatte seit 1718 kein Feuer mehr ge-
spieen, als er im Jahre 1812 wieder auswarf. Die gänz-

im Dorfe Maniquarez der Boden ſtark erſchüttert, während
man an der Küſte von Cumana der tiefſten Ruhe genießt, und
doch iſt der Meerbuſen von Cariaco nur 110 bis 150 m tief.

Man will beobachtet haben, daß auf dem Feſtlande wie
auf den Inſeln die Weſt- und Südküſten den Stößen am
meiſten ausgeſetzt ſeien. Dieſe Beobachtung ſteht im Zu-
ſammenhang mit den Ideen hinſichtlich der Lage der großen
Gebirgsketten und der Richtung ihrer ſteilſten Abhänge, wie
ſie ſich ſchon lange in der Geologie geltend gemacht haben;
das Vorhandenſein der Kordillere von Caracas und die Häufig-
keit der Erdbeben an den Oſt- und Nordküſten von Terra
Firma, im Meerbuſen von Paria, in Carupano, Cariaco und
Cumana beweiſen, wie wenig begründet jene Anſicht iſt.

In Neuandaluſien, wie in Chile und Peru, gehen die
Erdſtöße den Küſten nach und nicht weit ins Innere des
Landes hinein. Dieſer Umſtand weiſt, wie wir bald ſehen
werden, darauf hin, daß die Urſachen der Erdbeben und der
vulkaniſchen Ausbrüche in engem Verbande ſtehen. Würde
der Boden an den Küſten deshalb ſtärker erſchüttert, weil dieſe
die am tiefſten gelegenen Punkte des Landes ſind, warum
wären dann in den Savannen oder Prairieen, die kaum 16 oder
20 m über dem Meeresſpiegel liegen, die Stöße nicht ebenſo
oft und ebenſo ſtark zu fühlen?

Die Erdbeben in Cumana ſind mit denen auf den kleinen
Antillen verkettet, und man hat ſogar vermutet, ſie könnten
mit den vulkaniſchen Erſcheinungen in den Kordilleren der
Anden in einigem Zuſammenhang ſtehen. Am 11. Februar
1797 erlitt der Boden der Provinz Quito eine Umwälzung,
durch die, trotz der ſehr ſchwachen Bevölkerung des Landes,
gegen 40000 Eingeborene unter den Trümmern ihrer Häuſer
begraben wurden, in Erdſpalten ſtürzten oder in den plötzlich
neu gebildeten Seen ertranken. Zur ſelben Zeit wurden die
Bewohner der öſtlichen Antillen durch Erdſtöße erſchreckt, die
erſt nach 8 Monaten aufhörten, als der Vulkan auf Guade-
loupe Bimsſteine, Aſche und Wolken von Schwefeldämpfen
ausſtieß. Auf dieſen Ausbruch vom 29. September, während-
deſſen man lange anhaltendes unterirdiſches Brüllen hörte,
folgte am 14. Dezember das große Erdbeben von Cumana.
Ein anderer Vulkan der Antillen, der auf St. Vincent, hat
ſeitdem ein neues Beiſpiel ſolcher auffallenden Wechſelbe-
ziehungen geliefert. Er hatte ſeit 1718 kein Feuer mehr ge-
ſpieen, als er im Jahre 1812 wieder auswarf. Die gänz-

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[179/0195] im Dorfe Maniquarez der Boden ſtark erſchüttert, während man an der Küſte von Cumana der tiefſten Ruhe genießt, und doch iſt der Meerbuſen von Cariaco nur 110 bis 150 m tief. Man will beobachtet haben, daß auf dem Feſtlande wie auf den Inſeln die Weſt- und Südküſten den Stößen am meiſten ausgeſetzt ſeien. Dieſe Beobachtung ſteht im Zu- ſammenhang mit den Ideen hinſichtlich der Lage der großen Gebirgsketten und der Richtung ihrer ſteilſten Abhänge, wie ſie ſich ſchon lange in der Geologie geltend gemacht haben; das Vorhandenſein der Kordillere von Caracas und die Häufig- keit der Erdbeben an den Oſt- und Nordküſten von Terra Firma, im Meerbuſen von Paria, in Carupano, Cariaco und Cumana beweiſen, wie wenig begründet jene Anſicht iſt. In Neuandaluſien, wie in Chile und Peru, gehen die Erdſtöße den Küſten nach und nicht weit ins Innere des Landes hinein. Dieſer Umſtand weiſt, wie wir bald ſehen werden, darauf hin, daß die Urſachen der Erdbeben und der vulkaniſchen Ausbrüche in engem Verbande ſtehen. Würde der Boden an den Küſten deshalb ſtärker erſchüttert, weil dieſe die am tiefſten gelegenen Punkte des Landes ſind, warum wären dann in den Savannen oder Prairieen, die kaum 16 oder 20 m über dem Meeresſpiegel liegen, die Stöße nicht ebenſo oft und ebenſo ſtark zu fühlen? Die Erdbeben in Cumana ſind mit denen auf den kleinen Antillen verkettet, und man hat ſogar vermutet, ſie könnten mit den vulkaniſchen Erſcheinungen in den Kordilleren der Anden in einigem Zuſammenhang ſtehen. Am 11. Februar 1797 erlitt der Boden der Provinz Quito eine Umwälzung, durch die, trotz der ſehr ſchwachen Bevölkerung des Landes, gegen 40000 Eingeborene unter den Trümmern ihrer Häuſer begraben wurden, in Erdſpalten ſtürzten oder in den plötzlich neu gebildeten Seen ertranken. Zur ſelben Zeit wurden die Bewohner der öſtlichen Antillen durch Erdſtöße erſchreckt, die erſt nach 8 Monaten aufhörten, als der Vulkan auf Guade- loupe Bimsſteine, Aſche und Wolken von Schwefeldämpfen ausſtieß. Auf dieſen Ausbruch vom 29. September, während- deſſen man lange anhaltendes unterirdiſches Brüllen hörte, folgte am 14. Dezember das große Erdbeben von Cumana. Ein anderer Vulkan der Antillen, der auf St. Vincent, hat ſeitdem ein neues Beiſpiel ſolcher auffallenden Wechſelbe- ziehungen geliefert. Er hatte ſeit 1718 kein Feuer mehr ge- ſpieen, als er im Jahre 1812 wieder auswarf. Die gänz-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/195>, abgerufen am 28.04.2024.