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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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entgingen schon dem Scharfsinn der Alten nicht, die in den
Ländern Griechenlands und Kleinasiens wohnten, wo es sehr
viele Höhlen, Erdspalten und unterirdische Ströme gibt. Das
gleichförmige Walten der Natur erzeugt allerorten dieselben
Vorstellungen über die Ursachen der Erdbeben und über die
Mittel, durch welche der Mensch, der so leicht das Maß seiner
Kräfte vergißt, die Wirkungen der Ausbrüche aus der Tiefe
mildern zu können meint. Was ein großer römischer Natur-
forscher vom Nutzen der Brunnen und Höhlen sagt, 1 wieder-
holen in der Neuen Welt die unwissendsten Indianer in Quito,
wenn sie den Reisenden die Guaicos oder Höhlen am Pi-
chincha zeigen.

Das unterirdische Getöse, das bei Erdbeben so häufig
vorkommt, ist meist außer Verhältnis mit der Kraft der Erd-
stöße. In Cumana geht es denselben immer zuvor, während
man in Quito und neuerdings in Caracas und auf den An-
tillen, nachdem die Stöße längst aufgehört haben, einen Donner
wie vom Feuer einer Batterie gehört hat. Eine dritte Klasse
dieser Erscheinungen, und die merkwürdigste von allen ist
das monatelang fortwährende unterirdische Donnerrollen,
ohne daß dabei die geringste Wellenbewegung des Bodens zu
spüren wäre.

In allen den Erdbeben ausgesetzten Ländern sieht man
als die Veranlassung und den Herd der Erdstöße den Punkt
an, wo, wahrscheinlich infolge einer eigentümlichen Anordnung
der Gesteinschichten, die Wirkungen am auffallendsten sind.
So glaubt man in Cumana, der Schloßberg von San An-
tonio, besonders aber der Hügel, auf dem das Kloster San
Francisco liegt, enthalten eine ungeheure Masse Schwefel und
andere brennbare Stoffe. Man vergißt, daß die Geschwindig-
keit, mit der sich die Schwingungen auf große Entfernung,

1 In puteis est remedium, quale et crebri specus praebent:
conceptum enim spiritum exhalant, quod in certis notatur
oppidis, quae minus quatiuntur, crebris ad eluviem cuniculis
cavata (Plin. L. II, c. 82).
Noch gegenwärtig glaubt man in der
Hauptstadt von St. Domingo, daß die Brunnen die Kraft der Erd-
stöße schwächen. Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, daß die Er-
klärung, die Seneca von den Erdbeben gibt (Natur. quaest. Lib.
VI, c.
4 bis 31), den Keim alles dessen enthält, was in unserer
Zeit über die Wirkung elastischer, im Inneren des Erdballes einge-
schlossener Dämpfe gesagt worden ist.
A. v. Humboldt, Reise. I. 12

entgingen ſchon dem Scharfſinn der Alten nicht, die in den
Ländern Griechenlands und Kleinaſiens wohnten, wo es ſehr
viele Höhlen, Erdſpalten und unterirdiſche Ströme gibt. Das
gleichförmige Walten der Natur erzeugt allerorten dieſelben
Vorſtellungen über die Urſachen der Erdbeben und über die
Mittel, durch welche der Menſch, der ſo leicht das Maß ſeiner
Kräfte vergißt, die Wirkungen der Ausbrüche aus der Tiefe
mildern zu können meint. Was ein großer römiſcher Natur-
forſcher vom Nutzen der Brunnen und Höhlen ſagt, 1 wieder-
holen in der Neuen Welt die unwiſſendſten Indianer in Quito,
wenn ſie den Reiſenden die Guaicos oder Höhlen am Pi-
chincha zeigen.

Das unterirdiſche Getöſe, das bei Erdbeben ſo häufig
vorkommt, iſt meiſt außer Verhältnis mit der Kraft der Erd-
ſtöße. In Cumana geht es denſelben immer zuvor, während
man in Quito und neuerdings in Caracas und auf den An-
tillen, nachdem die Stöße längſt aufgehört haben, einen Donner
wie vom Feuer einer Batterie gehört hat. Eine dritte Klaſſe
dieſer Erſcheinungen, und die merkwürdigſte von allen iſt
das monatelang fortwährende unterirdiſche Donnerrollen,
ohne daß dabei die geringſte Wellenbewegung des Bodens zu
ſpüren wäre.

In allen den Erdbeben ausgeſetzten Ländern ſieht man
als die Veranlaſſung und den Herd der Erdſtöße den Punkt
an, wo, wahrſcheinlich infolge einer eigentümlichen Anordnung
der Geſteinſchichten, die Wirkungen am auffallendſten ſind.
So glaubt man in Cumana, der Schloßberg von San An-
tonio, beſonders aber der Hügel, auf dem das Kloſter San
Francisco liegt, enthalten eine ungeheure Maſſe Schwefel und
andere brennbare Stoffe. Man vergißt, daß die Geſchwindig-
keit, mit der ſich die Schwingungen auf große Entfernung,

1 In puteis est remedium, quale et crebri specus praebent:
conceptum enim spiritum exhalant, quod in certis notatur
oppidis, quae minus quatiuntur, crebris ad eluviem cuniculis
cavata (Plin. L. II, c. 82).
Noch gegenwärtig glaubt man in der
Hauptſtadt von St. Domingo, daß die Brunnen die Kraft der Erd-
ſtöße ſchwächen. Ich bemerke bei dieſer Gelegenheit, daß die Er-
klärung, die Seneca von den Erdbeben gibt (Natur. quaest. Lib.
VI, c.
4 bis 31), den Keim alles deſſen enthält, was in unſerer
Zeit über die Wirkung elaſtiſcher, im Inneren des Erdballes einge-
ſchloſſener Dämpfe geſagt worden iſt.
A. v. Humboldt, Reiſe. I. 12
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[177/0193] entgingen ſchon dem Scharfſinn der Alten nicht, die in den Ländern Griechenlands und Kleinaſiens wohnten, wo es ſehr viele Höhlen, Erdſpalten und unterirdiſche Ströme gibt. Das gleichförmige Walten der Natur erzeugt allerorten dieſelben Vorſtellungen über die Urſachen der Erdbeben und über die Mittel, durch welche der Menſch, der ſo leicht das Maß ſeiner Kräfte vergißt, die Wirkungen der Ausbrüche aus der Tiefe mildern zu können meint. Was ein großer römiſcher Natur- forſcher vom Nutzen der Brunnen und Höhlen ſagt, 1 wieder- holen in der Neuen Welt die unwiſſendſten Indianer in Quito, wenn ſie den Reiſenden die Guaicos oder Höhlen am Pi- chincha zeigen. Das unterirdiſche Getöſe, das bei Erdbeben ſo häufig vorkommt, iſt meiſt außer Verhältnis mit der Kraft der Erd- ſtöße. In Cumana geht es denſelben immer zuvor, während man in Quito und neuerdings in Caracas und auf den An- tillen, nachdem die Stöße längſt aufgehört haben, einen Donner wie vom Feuer einer Batterie gehört hat. Eine dritte Klaſſe dieſer Erſcheinungen, und die merkwürdigſte von allen iſt das monatelang fortwährende unterirdiſche Donnerrollen, ohne daß dabei die geringſte Wellenbewegung des Bodens zu ſpüren wäre. In allen den Erdbeben ausgeſetzten Ländern ſieht man als die Veranlaſſung und den Herd der Erdſtöße den Punkt an, wo, wahrſcheinlich infolge einer eigentümlichen Anordnung der Geſteinſchichten, die Wirkungen am auffallendſten ſind. So glaubt man in Cumana, der Schloßberg von San An- tonio, beſonders aber der Hügel, auf dem das Kloſter San Francisco liegt, enthalten eine ungeheure Maſſe Schwefel und andere brennbare Stoffe. Man vergißt, daß die Geſchwindig- keit, mit der ſich die Schwingungen auf große Entfernung, 1 In puteis est remedium, quale et crebri specus praebent: conceptum enim spiritum exhalant, quod in certis notatur oppidis, quae minus quatiuntur, crebris ad eluviem cuniculis cavata (Plin. L. II, c. 82). Noch gegenwärtig glaubt man in der Hauptſtadt von St. Domingo, daß die Brunnen die Kraft der Erd- ſtöße ſchwächen. Ich bemerke bei dieſer Gelegenheit, daß die Er- klärung, die Seneca von den Erdbeben gibt (Natur. quaest. Lib. VI, c. 4 bis 31), den Keim alles deſſen enthält, was in unſerer Zeit über die Wirkung elaſtiſcher, im Inneren des Erdballes einge- ſchloſſener Dämpfe geſagt worden iſt. A. v. Humboldt, Reiſe. I. 12

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/193>, abgerufen am 28.04.2024.