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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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sich und ihre Kinder. So hatte die Bevölkerung der Kanarien
durch den Sklavenhandel, durch die Menschenräuberei der Pi-
raten, besonders aber durch lange blutige Zwiste bereits starke
Verluste erlitten, als Alonso de Lugo sie vollends eroberte.
Den Ueberrest der Guanchen raffte im Jahre 1494 größten-
teils die berühmte Pest, die sogenannte Modorra hin, die
man den vielen Leichen zuschrieb, welche die Spanier nach der
Schlacht bei Laguna hatten frei liegen lassen. Wenn ein halb
wildes Volk, das man um sein Eigentum gebracht, im selben
Lande neben einer civilisierten Nation leben muß, so sucht
es sich in den Gebirgen und Wäldern zu isolieren. Insel-
bewohner haben keine andere Zuflucht, und so war denn das
herrliche Volk der Guanchen zu Anfang des 17. Jahrhunderts
so gut wie ausgerottet; außer ein paar alten Männern in
Candelaria und Guimar gab es keine mehr.

Es ist ein tröstlicher Gedanke, daß die Weißen es nicht
immer verschmäht haben, sich mit den Eingeborenen zu ver-
mischen; aber die heutigen Kanarier, die bei den Spaniern
schlechtweg Islennos heißen, haben triftige Gründe, eine solche
Mischung in Abrede zu ziehen. In einer langen Geschlechts-
folge verwischen sich die charakteristischen Merkmale der Rassen,
und da die Nachkommen der Andalusier, die sich auf Tenerifa
niedergelassen, selbst von ziemlich dunkler Gesichtsfarbe sind,
so kann die Hautfarbe der Weißen durch die Kreuzung der
Rassen nicht merkbar verändert worden sein. Es ist That-
sache, daß gegenwärtig kein Eingeborener von reiner Rasse
mehr lebt, und sonst ganz wahrheitsliebende Reisende sind im
Irrtum, wenn sie glauben, bei der Besteigung des Piks
schlanke, schnellfüßige Guanchen zu Führern gehabt zu haben.
Allerdings wollen einige kanarische Familien vom letzten Hirten-
könig von Guimar abstammen, aber diese Ansprüche haben
wenig Grund; sie werden von Zeit zu Zeit wieder laut, wenn
einer aus dem Volke, der brauner ist als seine Landsleute,
Lust bekommt, sich um eine Offiziersstelle im Dienste des
Königs von Spanien umzuthun.

Kurz nach der Entdeckung von Amerika, als Spanien
den Gipfel seines Ruhmes erstiegen hatte, war es Brauch,
die sanfte Gemütsart der Guanchen zu rühmen, wie man in
unserer Zeit die Unschuld der Bewohner von Tahiti gepriesen
hat. Bei beiden Bildern ist das Kolorit glänzender als wahr.
Wenn die Völker, erschöpft durch geistige Genüsse, in der
Verfeinerung der Sitten nur Keime der Entartung vor sich

ſich und ihre Kinder. So hatte die Bevölkerung der Kanarien
durch den Sklavenhandel, durch die Menſchenräuberei der Pi-
raten, beſonders aber durch lange blutige Zwiſte bereits ſtarke
Verluſte erlitten, als Alonſo de Lugo ſie vollends eroberte.
Den Ueberreſt der Guanchen raffte im Jahre 1494 größten-
teils die berühmte Peſt, die ſogenannte Modorra hin, die
man den vielen Leichen zuſchrieb, welche die Spanier nach der
Schlacht bei Laguna hatten frei liegen laſſen. Wenn ein halb
wildes Volk, das man um ſein Eigentum gebracht, im ſelben
Lande neben einer civiliſierten Nation leben muß, ſo ſucht
es ſich in den Gebirgen und Wäldern zu iſolieren. Inſel-
bewohner haben keine andere Zuflucht, und ſo war denn das
herrliche Volk der Guanchen zu Anfang des 17. Jahrhunderts
ſo gut wie ausgerottet; außer ein paar alten Männern in
Candelaria und Guimar gab es keine mehr.

Es iſt ein tröſtlicher Gedanke, daß die Weißen es nicht
immer verſchmäht haben, ſich mit den Eingeborenen zu ver-
miſchen; aber die heutigen Kanarier, die bei den Spaniern
ſchlechtweg Isleños heißen, haben triftige Gründe, eine ſolche
Miſchung in Abrede zu ziehen. In einer langen Geſchlechts-
folge verwiſchen ſich die charakteriſtiſchen Merkmale der Raſſen,
und da die Nachkommen der Andaluſier, die ſich auf Tenerifa
niedergelaſſen, ſelbſt von ziemlich dunkler Geſichtsfarbe ſind,
ſo kann die Hautfarbe der Weißen durch die Kreuzung der
Raſſen nicht merkbar verändert worden ſein. Es iſt That-
ſache, daß gegenwärtig kein Eingeborener von reiner Raſſe
mehr lebt, und ſonſt ganz wahrheitsliebende Reiſende ſind im
Irrtum, wenn ſie glauben, bei der Beſteigung des Piks
ſchlanke, ſchnellfüßige Guanchen zu Führern gehabt zu haben.
Allerdings wollen einige kanariſche Familien vom letzten Hirten-
könig von Guimar abſtammen, aber dieſe Anſprüche haben
wenig Grund; ſie werden von Zeit zu Zeit wieder laut, wenn
einer aus dem Volke, der brauner iſt als ſeine Landsleute,
Luſt bekommt, ſich um eine Offiziersſtelle im Dienſte des
Königs von Spanien umzuthun.

Kurz nach der Entdeckung von Amerika, als Spanien
den Gipfel ſeines Ruhmes erſtiegen hatte, war es Brauch,
die ſanfte Gemütsart der Guanchen zu rühmen, wie man in
unſerer Zeit die Unſchuld der Bewohner von Tahiti geprieſen
hat. Bei beiden Bildern iſt das Kolorit glänzender als wahr.
Wenn die Völker, erſchöpft durch geiſtige Genüſſe, in der
Verfeinerung der Sitten nur Keime der Entartung vor ſich

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[118/0134] ſich und ihre Kinder. So hatte die Bevölkerung der Kanarien durch den Sklavenhandel, durch die Menſchenräuberei der Pi- raten, beſonders aber durch lange blutige Zwiſte bereits ſtarke Verluſte erlitten, als Alonſo de Lugo ſie vollends eroberte. Den Ueberreſt der Guanchen raffte im Jahre 1494 größten- teils die berühmte Peſt, die ſogenannte Modorra hin, die man den vielen Leichen zuſchrieb, welche die Spanier nach der Schlacht bei Laguna hatten frei liegen laſſen. Wenn ein halb wildes Volk, das man um ſein Eigentum gebracht, im ſelben Lande neben einer civiliſierten Nation leben muß, ſo ſucht es ſich in den Gebirgen und Wäldern zu iſolieren. Inſel- bewohner haben keine andere Zuflucht, und ſo war denn das herrliche Volk der Guanchen zu Anfang des 17. Jahrhunderts ſo gut wie ausgerottet; außer ein paar alten Männern in Candelaria und Guimar gab es keine mehr. Es iſt ein tröſtlicher Gedanke, daß die Weißen es nicht immer verſchmäht haben, ſich mit den Eingeborenen zu ver- miſchen; aber die heutigen Kanarier, die bei den Spaniern ſchlechtweg Isleños heißen, haben triftige Gründe, eine ſolche Miſchung in Abrede zu ziehen. In einer langen Geſchlechts- folge verwiſchen ſich die charakteriſtiſchen Merkmale der Raſſen, und da die Nachkommen der Andaluſier, die ſich auf Tenerifa niedergelaſſen, ſelbſt von ziemlich dunkler Geſichtsfarbe ſind, ſo kann die Hautfarbe der Weißen durch die Kreuzung der Raſſen nicht merkbar verändert worden ſein. Es iſt That- ſache, daß gegenwärtig kein Eingeborener von reiner Raſſe mehr lebt, und ſonſt ganz wahrheitsliebende Reiſende ſind im Irrtum, wenn ſie glauben, bei der Beſteigung des Piks ſchlanke, ſchnellfüßige Guanchen zu Führern gehabt zu haben. Allerdings wollen einige kanariſche Familien vom letzten Hirten- könig von Guimar abſtammen, aber dieſe Anſprüche haben wenig Grund; ſie werden von Zeit zu Zeit wieder laut, wenn einer aus dem Volke, der brauner iſt als ſeine Landsleute, Luſt bekommt, ſich um eine Offiziersſtelle im Dienſte des Königs von Spanien umzuthun. Kurz nach der Entdeckung von Amerika, als Spanien den Gipfel ſeines Ruhmes erſtiegen hatte, war es Brauch, die ſanfte Gemütsart der Guanchen zu rühmen, wie man in unſerer Zeit die Unſchuld der Bewohner von Tahiti geprieſen hat. Bei beiden Bildern iſt das Kolorit glänzender als wahr. Wenn die Völker, erſchöpft durch geiſtige Genüſſe, in der Verfeinerung der Sitten nur Keime der Entartung vor ſich

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/134>, abgerufen am 28.03.2024.