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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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an. Wahrscheinlich sind vor dem 16. Jahrhundert die übrigen
Inseln auch von vulkanischem Feuer heimgesucht worden. Nach
mir mitgeteilten unbestimmten Notizen läge mitten auf der
Insel Ferro ein erloschener Vulkan und ein anderer auf der
großen Canaria bei Arguineguin. Es wäre aber wichtig
zu erfahren, ob sich an der Kalkformation von Fuerteventura
oder am Granit und Glimmerschiefer von Gomera Spuren
des unterirdischen Feuers zeigen.

Die rein seitliche vulkanische Thätigkeit die Piks von
Tenerifa ist geologisch um so merkwürdiger, als sie dazu bei-
trägt, die Berge, die sich an den Hauptvulkan anlehnen, isoliert
erscheinen zu lassen. Allerdings kommen beim Aetna und beim
Vesuv die großen Lavaströme auch nicht aus dem Krater selbst,
und die Masse geschmolzener Stoffe steht meist im umgekehrten
Verhältnis mit der Höhe, in der sich die Spalte bildet, welche
die Lava auswirft. Aber beim Vesuv und Aetna endet ein
Seitenausbruch immer damit, daß der Krater, das heißt die
eigentliche Spitze des Berges, Feuer und Asche auswirft.
Beim Pik von Tenerifa ist solches seit Jahrhunderten nicht
vorgekommen. Auch beim letzten Ausbruch im Jahre 1798
blieb der Krater vollkommen unthätig. Sein Grund hat sich
nicht gesenkt, während nach Leopold von Buchs scharfsinniger
Bemerkung beim Vesuv die größere oder geringere Tiefe des
Kraters fast ein untrügliches Zeichen ist, ob ein neuer Aus-
bruch bevorsteht oder nicht.

Werfen wir jetzt einen Blick darauf, wie die einst ge-
schmolzenen Felsmassen des Piks, wie die Basalte und Mandel-
steine sich allmählich mit einer Pflanzendecke überzogen haben,
wie die Gewächse an den steilen Abhängen des Vulkanes ver-
teilt sind, welcher Charakter der Pflanzenwelt der Kanarischen
Inseln zukommt.

Im nördlichen Teile des gemäßigten Erdstrichs bedecken
kryptogamische Gewächse zuerst die steinige Erdrinde. Auf
die Flechten und Moose, deren Laub sich unter dem Schnee
entwickelt, folgen grasartige und andere phanerogame Pflanzen.
Anders an den Grenzen des heißen Erdstrichs und zwischen
den Tropen selbst. Allerdings findet man dort, was auch
manche Reisende sagen mögen, nicht allein auf den Bergen,
sondern auch an feuchten, schattigen Orten Funarien, Dicranum-
und Bryumarten; unter den zahlreichen Arten dieser Gat-
tungen befinden sich mehrere, die zugleich in Lappland, auf
dem Pik von Tenerifa und in den Blauen Bergen auf Jamaika

an. Wahrſcheinlich ſind vor dem 16. Jahrhundert die übrigen
Inſeln auch von vulkaniſchem Feuer heimgeſucht worden. Nach
mir mitgeteilten unbeſtimmten Notizen läge mitten auf der
Inſel Ferro ein erloſchener Vulkan und ein anderer auf der
großen Canaria bei Arguineguin. Es wäre aber wichtig
zu erfahren, ob ſich an der Kalkformation von Fuerteventura
oder am Granit und Glimmerſchiefer von Gomera Spuren
des unterirdiſchen Feuers zeigen.

Die rein ſeitliche vulkaniſche Thätigkeit die Piks von
Tenerifa iſt geologiſch um ſo merkwürdiger, als ſie dazu bei-
trägt, die Berge, die ſich an den Hauptvulkan anlehnen, iſoliert
erſcheinen zu laſſen. Allerdings kommen beim Aetna und beim
Veſuv die großen Lavaſtröme auch nicht aus dem Krater ſelbſt,
und die Maſſe geſchmolzener Stoffe ſteht meiſt im umgekehrten
Verhältnis mit der Höhe, in der ſich die Spalte bildet, welche
die Lava auswirft. Aber beim Veſuv und Aetna endet ein
Seitenausbruch immer damit, daß der Krater, das heißt die
eigentliche Spitze des Berges, Feuer und Aſche auswirft.
Beim Pik von Tenerifa iſt ſolches ſeit Jahrhunderten nicht
vorgekommen. Auch beim letzten Ausbruch im Jahre 1798
blieb der Krater vollkommen unthätig. Sein Grund hat ſich
nicht geſenkt, während nach Leopold von Buchs ſcharfſinniger
Bemerkung beim Veſuv die größere oder geringere Tiefe des
Kraters faſt ein untrügliches Zeichen iſt, ob ein neuer Aus-
bruch bevorſteht oder nicht.

Werfen wir jetzt einen Blick darauf, wie die einſt ge-
ſchmolzenen Felsmaſſen des Piks, wie die Baſalte und Mandel-
ſteine ſich allmählich mit einer Pflanzendecke überzogen haben,
wie die Gewächſe an den ſteilen Abhängen des Vulkanes ver-
teilt ſind, welcher Charakter der Pflanzenwelt der Kanariſchen
Inſeln zukommt.

Im nördlichen Teile des gemäßigten Erdſtrichs bedecken
kryptogamiſche Gewächſe zuerſt die ſteinige Erdrinde. Auf
die Flechten und Mooſe, deren Laub ſich unter dem Schnee
entwickelt, folgen grasartige und andere phanerogame Pflanzen.
Anders an den Grenzen des heißen Erdſtrichs und zwiſchen
den Tropen ſelbſt. Allerdings findet man dort, was auch
manche Reiſende ſagen mögen, nicht allein auf den Bergen,
ſondern auch an feuchten, ſchattigen Orten Funarien, Dicranum-
und Bryumarten; unter den zahlreichen Arten dieſer Gat-
tungen befinden ſich mehrere, die zugleich in Lappland, auf
dem Pik von Tenerifa und in den Blauen Bergen auf Jamaika

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[108/0124] an. Wahrſcheinlich ſind vor dem 16. Jahrhundert die übrigen Inſeln auch von vulkaniſchem Feuer heimgeſucht worden. Nach mir mitgeteilten unbeſtimmten Notizen läge mitten auf der Inſel Ferro ein erloſchener Vulkan und ein anderer auf der großen Canaria bei Arguineguin. Es wäre aber wichtig zu erfahren, ob ſich an der Kalkformation von Fuerteventura oder am Granit und Glimmerſchiefer von Gomera Spuren des unterirdiſchen Feuers zeigen. Die rein ſeitliche vulkaniſche Thätigkeit die Piks von Tenerifa iſt geologiſch um ſo merkwürdiger, als ſie dazu bei- trägt, die Berge, die ſich an den Hauptvulkan anlehnen, iſoliert erſcheinen zu laſſen. Allerdings kommen beim Aetna und beim Veſuv die großen Lavaſtröme auch nicht aus dem Krater ſelbſt, und die Maſſe geſchmolzener Stoffe ſteht meiſt im umgekehrten Verhältnis mit der Höhe, in der ſich die Spalte bildet, welche die Lava auswirft. Aber beim Veſuv und Aetna endet ein Seitenausbruch immer damit, daß der Krater, das heißt die eigentliche Spitze des Berges, Feuer und Aſche auswirft. Beim Pik von Tenerifa iſt ſolches ſeit Jahrhunderten nicht vorgekommen. Auch beim letzten Ausbruch im Jahre 1798 blieb der Krater vollkommen unthätig. Sein Grund hat ſich nicht geſenkt, während nach Leopold von Buchs ſcharfſinniger Bemerkung beim Veſuv die größere oder geringere Tiefe des Kraters faſt ein untrügliches Zeichen iſt, ob ein neuer Aus- bruch bevorſteht oder nicht. Werfen wir jetzt einen Blick darauf, wie die einſt ge- ſchmolzenen Felsmaſſen des Piks, wie die Baſalte und Mandel- ſteine ſich allmählich mit einer Pflanzendecke überzogen haben, wie die Gewächſe an den ſteilen Abhängen des Vulkanes ver- teilt ſind, welcher Charakter der Pflanzenwelt der Kanariſchen Inſeln zukommt. Im nördlichen Teile des gemäßigten Erdſtrichs bedecken kryptogamiſche Gewächſe zuerſt die ſteinige Erdrinde. Auf die Flechten und Mooſe, deren Laub ſich unter dem Schnee entwickelt, folgen grasartige und andere phanerogame Pflanzen. Anders an den Grenzen des heißen Erdſtrichs und zwiſchen den Tropen ſelbſt. Allerdings findet man dort, was auch manche Reiſende ſagen mögen, nicht allein auf den Bergen, ſondern auch an feuchten, ſchattigen Orten Funarien, Dicranum- und Bryumarten; unter den zahlreichen Arten dieſer Gat- tungen befinden ſich mehrere, die zugleich in Lappland, auf dem Pik von Tenerifa und in den Blauen Bergen auf Jamaika

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/124>, abgerufen am 28.03.2024.