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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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fläche, die Klippen werden immer größer und verschmelzen
allmählich mit der Insel selbst.

Jahr 1798. -- Am 9. Juni. Seitenausbruch des Piks
von Tenerifa, am Abhang des Berges Chahorra oder Venge, 1
an einem völlig unbebauten Orte, südlich von Icod beim Dorfe
Guia, dem alten Isora. Dieser Berg, der sich an den Pik
anlehnt, galt von jeher für einen erloschenen Vulkan. Er
besteht zwar aus festen Gebirgsarten, verhält sich aber doch
zum Pik wie der Monte Rosso, der im Jahre 1661 aufstieg,
oder die boche nueve, die im Jahre 1794 aufbrachen, zum
Aetna und zum Vesuv. Der Ausbruch des Chahorra währte
drei Monate und sechs Tage. Die Lava und die Schlacken
wurden aus vier Mündungen in einer Reihe ausgeworfen.
Die 5,8 bis 7,8 m hoch aufgetürmte Lava legte 1 m in der
Stunde zurück. Da dieser Ausbruch nur ein Jahr vor meiner
Ankunft auf Tenerifa erfolgt war, so war der Eindruck des-
selben bei den Einwohnern noch sehr lebhaft. Ich sah bei
Herrn Legros in Durasno eine von ihm an Ort und Stelle
entworfene Zeichnung der Oeffnungen des Chahorra. Don
Bernardo Cologan hat diese Oeffnungen, acht Tage nachdem
sie aufgebrochen, besucht und die Haupterscheinungen bei dem
Ausbruch in einem Aufsatz beschrieben, von dem er mir eine
Abschrift mitteilte, um sie meiner Reisebeschreibung einzu-
verleiben. Seitdem sind dreizehn Jahre verflossen; Bory
St. Vincent ist mir mit der Veröffentlichung des Aufsatzes
zuvorgekommen, und so verweise ich den Leser auf sein inter-
essantes Werk: Essai sur les eiles fortunees. Ich beschränke
mich hier darauf, einiges über die Höhe mitzuteilen, zu der
sehr ansehnliche Felsstücke aus den Oeffnungen des Chahorra
emporgeschleudert wurden. Cologan zählte während des Falles
der Steine 12 bis 15 Sekunden, 2 das heißt er fing im Mo-
ment zu zählen an, wo sie ihre höchste Höhe erreicht hatten.
Aus dieser interessanten Beobachtung geht hervor, daß die Fels-
stücke aus der Oeffnung über 975 m hoch geschleudert wurden.

Alle in dieser chronologischen Uebersicht verzeichneten Aus-
brüche gehören den drei Inseln Palma, Tenerifa und Lanzarote

1 Der Abhang des Berges Venge, auf dem der Ausbruch statt-
fand, heißt Chazajanne.
2 Cologan bemerkt, der Fall habe sogar über 15 Sekunden ge-
dauert, weil er den Stein mit dem Auge nicht verfolgen konnte,
bis er auffiel.

fläche, die Klippen werden immer größer und verſchmelzen
allmählich mit der Inſel ſelbſt.

Jahr 1798. — Am 9. Juni. Seitenausbruch des Piks
von Tenerifa, am Abhang des Berges Chahorra oder Venge, 1
an einem völlig unbebauten Orte, ſüdlich von Icod beim Dorfe
Guia, dem alten Iſora. Dieſer Berg, der ſich an den Pik
anlehnt, galt von jeher für einen erloſchenen Vulkan. Er
beſteht zwar aus feſten Gebirgsarten, verhält ſich aber doch
zum Pik wie der Monte Roſſo, der im Jahre 1661 aufſtieg,
oder die boche nueve, die im Jahre 1794 aufbrachen, zum
Aetna und zum Veſuv. Der Ausbruch des Chahorra währte
drei Monate und ſechs Tage. Die Lava und die Schlacken
wurden aus vier Mündungen in einer Reihe ausgeworfen.
Die 5,8 bis 7,8 m hoch aufgetürmte Lava legte 1 m in der
Stunde zurück. Da dieſer Ausbruch nur ein Jahr vor meiner
Ankunft auf Tenerifa erfolgt war, ſo war der Eindruck des-
ſelben bei den Einwohnern noch ſehr lebhaft. Ich ſah bei
Herrn Legros in Durasno eine von ihm an Ort und Stelle
entworfene Zeichnung der Oeffnungen des Chahorra. Don
Bernardo Cologan hat dieſe Oeffnungen, acht Tage nachdem
ſie aufgebrochen, beſucht und die Haupterſcheinungen bei dem
Ausbruch in einem Aufſatz beſchrieben, von dem er mir eine
Abſchrift mitteilte, um ſie meiner Reiſebeſchreibung einzu-
verleiben. Seitdem ſind dreizehn Jahre verfloſſen; Bory
St. Vincent iſt mir mit der Veröffentlichung des Aufſatzes
zuvorgekommen, und ſo verweiſe ich den Leſer auf ſein inter-
eſſantes Werk: Essai sur les îles fortunées. Ich beſchränke
mich hier darauf, einiges über die Höhe mitzuteilen, zu der
ſehr anſehnliche Felsſtücke aus den Oeffnungen des Chahorra
emporgeſchleudert wurden. Cologan zählte während des Falles
der Steine 12 bis 15 Sekunden, 2 das heißt er fing im Mo-
ment zu zählen an, wo ſie ihre höchſte Höhe erreicht hatten.
Aus dieſer intereſſanten Beobachtung geht hervor, daß die Fels-
ſtücke aus der Oeffnung über 975 m hoch geſchleudert wurden.

Alle in dieſer chronologiſchen Ueberſicht verzeichneten Aus-
brüche gehören den drei Inſeln Palma, Tenerifa und Lanzarote

1 Der Abhang des Berges Venge, auf dem der Ausbruch ſtatt-
fand, heißt Chazajañe.
2 Cologan bemerkt, der Fall habe ſogar über 15 Sekunden ge-
dauert, weil er den Stein mit dem Auge nicht verfolgen konnte,
bis er auffiel.
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[107/0123] fläche, die Klippen werden immer größer und verſchmelzen allmählich mit der Inſel ſelbſt. Jahr 1798. — Am 9. Juni. Seitenausbruch des Piks von Tenerifa, am Abhang des Berges Chahorra oder Venge, 1 an einem völlig unbebauten Orte, ſüdlich von Icod beim Dorfe Guia, dem alten Iſora. Dieſer Berg, der ſich an den Pik anlehnt, galt von jeher für einen erloſchenen Vulkan. Er beſteht zwar aus feſten Gebirgsarten, verhält ſich aber doch zum Pik wie der Monte Roſſo, der im Jahre 1661 aufſtieg, oder die boche nueve, die im Jahre 1794 aufbrachen, zum Aetna und zum Veſuv. Der Ausbruch des Chahorra währte drei Monate und ſechs Tage. Die Lava und die Schlacken wurden aus vier Mündungen in einer Reihe ausgeworfen. Die 5,8 bis 7,8 m hoch aufgetürmte Lava legte 1 m in der Stunde zurück. Da dieſer Ausbruch nur ein Jahr vor meiner Ankunft auf Tenerifa erfolgt war, ſo war der Eindruck des- ſelben bei den Einwohnern noch ſehr lebhaft. Ich ſah bei Herrn Legros in Durasno eine von ihm an Ort und Stelle entworfene Zeichnung der Oeffnungen des Chahorra. Don Bernardo Cologan hat dieſe Oeffnungen, acht Tage nachdem ſie aufgebrochen, beſucht und die Haupterſcheinungen bei dem Ausbruch in einem Aufſatz beſchrieben, von dem er mir eine Abſchrift mitteilte, um ſie meiner Reiſebeſchreibung einzu- verleiben. Seitdem ſind dreizehn Jahre verfloſſen; Bory St. Vincent iſt mir mit der Veröffentlichung des Aufſatzes zuvorgekommen, und ſo verweiſe ich den Leſer auf ſein inter- eſſantes Werk: Essai sur les îles fortunées. Ich beſchränke mich hier darauf, einiges über die Höhe mitzuteilen, zu der ſehr anſehnliche Felsſtücke aus den Oeffnungen des Chahorra emporgeſchleudert wurden. Cologan zählte während des Falles der Steine 12 bis 15 Sekunden, 2 das heißt er fing im Mo- ment zu zählen an, wo ſie ihre höchſte Höhe erreicht hatten. Aus dieſer intereſſanten Beobachtung geht hervor, daß die Fels- ſtücke aus der Oeffnung über 975 m hoch geſchleudert wurden. Alle in dieſer chronologiſchen Ueberſicht verzeichneten Aus- brüche gehören den drei Inſeln Palma, Tenerifa und Lanzarote 1 Der Abhang des Berges Venge, auf dem der Ausbruch ſtatt- fand, heißt Chazajañe. 2 Cologan bemerkt, der Fall habe ſogar über 15 Sekunden ge- dauert, weil er den Stein mit dem Auge nicht verfolgen konnte, bis er auffiel.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/123>, abgerufen am 29.03.2024.