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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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Es war acht Uhr morgens und wir waren starr vor Kälte,
obgleich der Thermometer etwas über dem Gefrierpunkt stand.
Seit lange waren wir an eine sehr hohe Temperatur ge-
wöhnt, und der trockene Wind steigerte das Frostgefühl, weil
er die kleine Schicht warmer und feuchter Luft, welche sich
durch die Hautausdünstung um uns her bildete, fortwährend
wegführte.

Der Krater des Piks hat, was den Rand betrifft, mit
den Kratern der meisten anderen Vulkane, die ich besucht,
z. B. mit dem des Vesuvs, des Jorullo und Pichincha, keine
Aehnlichkeit. Bei diesen behält der Piton seine Kegelgestalt
bis zum Gipfel; der ganze Abhang ist im selben Winkel ge-
neigt und gleichförmig mit einer Schicht sehr fein zerteilten
Bimssteines bedeckt; hat man die Spitze dieser drei Vulkane
erreicht, so blickt man frei bis auf den Boden des Schlundes.
Der Pik von Tenerifa und der Cotopaxi dagegen sind ganz
anders gebaut; auf ihrer Spitze läuft kreisförmig ein Kamm
oder eine Mauer um den Krater; von ferne stellt sich diese
Mauer wie ein kleiner Cylinder auf einem abgestutzten Kegel
dar. Beim Cotopaxi erkennt man dieses eigentümliche Bau-
werk über 3900 m weit mit bloßem Auge, weshalb auch noch
kein Mensch bis zum Krater dieses Vulkanes gekommen ist.
Beim Pik von Tenerifa ist der Kamm, der wie eine Brust-
wehr um den Krater läuft, so hoch, daß er gar nicht zur
Caldera gelangen ließe, wenn sich nicht gegen Ost eine Lücke
darin befände, die von einem sehr alten Lavaerguß herzu-
rühren scheint. Durch diese Lücke stiegen wir auf den Boden
des Trichters hinab, der elliptisch ist; die große Achse läuft
von Nordwest nach Südost, etwa Nord 35° Ost. Die größte
Breite der Oeffnung schätzten wir auf 97 m, die kleinste auf
65 m. Diese Angaben stimmen ziemlich mit den Messungen
von Verguin, Verela und Borda; nach diesen Reisenden messen
die zwei Achsen 78 und 58 m. 1

Man sieht leicht ein, daß die Größe eines Kraters nicht
allein von der Höhe und der Masse des Berges abhängt,
dessen Hauptöffnung er bildet. Seine Weite steht sogar selten
im Verhältnis mit der Intensität des vulkanischen Feuers
oder der Thätigkeit des Vulkanes. Beim Vesuv, der gegen

1 Cordier, der den Gipfel des Piks 4 Jahre nach mir besucht
hat, schätzt die große Achse auf 127 m. Lamanon gibt dafür 97 m
an, Odonnell aber gibt dem Krater 550 Varas (460 m) Umfang.

Es war acht Uhr morgens und wir waren ſtarr vor Kälte,
obgleich der Thermometer etwas über dem Gefrierpunkt ſtand.
Seit lange waren wir an eine ſehr hohe Temperatur ge-
wöhnt, und der trockene Wind ſteigerte das Froſtgefühl, weil
er die kleine Schicht warmer und feuchter Luft, welche ſich
durch die Hautausdünſtung um uns her bildete, fortwährend
wegführte.

Der Krater des Piks hat, was den Rand betrifft, mit
den Kratern der meiſten anderen Vulkane, die ich beſucht,
z. B. mit dem des Veſuvs, des Jorullo und Pichincha, keine
Aehnlichkeit. Bei dieſen behält der Piton ſeine Kegelgeſtalt
bis zum Gipfel; der ganze Abhang iſt im ſelben Winkel ge-
neigt und gleichförmig mit einer Schicht ſehr fein zerteilten
Bimsſteines bedeckt; hat man die Spitze dieſer drei Vulkane
erreicht, ſo blickt man frei bis auf den Boden des Schlundes.
Der Pik von Tenerifa und der Cotopaxi dagegen ſind ganz
anders gebaut; auf ihrer Spitze läuft kreisförmig ein Kamm
oder eine Mauer um den Krater; von ferne ſtellt ſich dieſe
Mauer wie ein kleiner Cylinder auf einem abgeſtutzten Kegel
dar. Beim Cotopaxi erkennt man dieſes eigentümliche Bau-
werk über 3900 m weit mit bloßem Auge, weshalb auch noch
kein Menſch bis zum Krater dieſes Vulkanes gekommen iſt.
Beim Pik von Tenerifa iſt der Kamm, der wie eine Bruſt-
wehr um den Krater läuft, ſo hoch, daß er gar nicht zur
Caldera gelangen ließe, wenn ſich nicht gegen Oſt eine Lücke
darin befände, die von einem ſehr alten Lavaerguß herzu-
rühren ſcheint. Durch dieſe Lücke ſtiegen wir auf den Boden
des Trichters hinab, der elliptiſch iſt; die große Achſe läuft
von Nordweſt nach Südoſt, etwa Nord 35° Oſt. Die größte
Breite der Oeffnung ſchätzten wir auf 97 m, die kleinſte auf
65 m. Dieſe Angaben ſtimmen ziemlich mit den Meſſungen
von Verguin, Verela und Borda; nach dieſen Reiſenden meſſen
die zwei Achſen 78 und 58 m. 1

Man ſieht leicht ein, daß die Größe eines Kraters nicht
allein von der Höhe und der Maſſe des Berges abhängt,
deſſen Hauptöffnung er bildet. Seine Weite ſteht ſogar ſelten
im Verhältnis mit der Intenſität des vulkaniſchen Feuers
oder der Thätigkeit des Vulkanes. Beim Veſuv, der gegen

1 Cordier, der den Gipfel des Piks 4 Jahre nach mir beſucht
hat, ſchätzt die große Achſe auf 127 m. Lamanon gibt dafür 97 m
an, Odonnell aber gibt dem Krater 550 Varas (460 m) Umfang.
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[87/0103] Es war acht Uhr morgens und wir waren ſtarr vor Kälte, obgleich der Thermometer etwas über dem Gefrierpunkt ſtand. Seit lange waren wir an eine ſehr hohe Temperatur ge- wöhnt, und der trockene Wind ſteigerte das Froſtgefühl, weil er die kleine Schicht warmer und feuchter Luft, welche ſich durch die Hautausdünſtung um uns her bildete, fortwährend wegführte. Der Krater des Piks hat, was den Rand betrifft, mit den Kratern der meiſten anderen Vulkane, die ich beſucht, z. B. mit dem des Veſuvs, des Jorullo und Pichincha, keine Aehnlichkeit. Bei dieſen behält der Piton ſeine Kegelgeſtalt bis zum Gipfel; der ganze Abhang iſt im ſelben Winkel ge- neigt und gleichförmig mit einer Schicht ſehr fein zerteilten Bimsſteines bedeckt; hat man die Spitze dieſer drei Vulkane erreicht, ſo blickt man frei bis auf den Boden des Schlundes. Der Pik von Tenerifa und der Cotopaxi dagegen ſind ganz anders gebaut; auf ihrer Spitze läuft kreisförmig ein Kamm oder eine Mauer um den Krater; von ferne ſtellt ſich dieſe Mauer wie ein kleiner Cylinder auf einem abgeſtutzten Kegel dar. Beim Cotopaxi erkennt man dieſes eigentümliche Bau- werk über 3900 m weit mit bloßem Auge, weshalb auch noch kein Menſch bis zum Krater dieſes Vulkanes gekommen iſt. Beim Pik von Tenerifa iſt der Kamm, der wie eine Bruſt- wehr um den Krater läuft, ſo hoch, daß er gar nicht zur Caldera gelangen ließe, wenn ſich nicht gegen Oſt eine Lücke darin befände, die von einem ſehr alten Lavaerguß herzu- rühren ſcheint. Durch dieſe Lücke ſtiegen wir auf den Boden des Trichters hinab, der elliptiſch iſt; die große Achſe läuft von Nordweſt nach Südoſt, etwa Nord 35° Oſt. Die größte Breite der Oeffnung ſchätzten wir auf 97 m, die kleinſte auf 65 m. Dieſe Angaben ſtimmen ziemlich mit den Meſſungen von Verguin, Verela und Borda; nach dieſen Reiſenden meſſen die zwei Achſen 78 und 58 m. 1 Man ſieht leicht ein, daß die Größe eines Kraters nicht allein von der Höhe und der Maſſe des Berges abhängt, deſſen Hauptöffnung er bildet. Seine Weite ſteht ſogar ſelten im Verhältnis mit der Intenſität des vulkaniſchen Feuers oder der Thätigkeit des Vulkanes. Beim Veſuv, der gegen 1 Cordier, der den Gipfel des Piks 4 Jahre nach mir beſucht hat, ſchätzt die große Achſe auf 127 m. Lamanon gibt dafür 97 m an, Odonnell aber gibt dem Krater 550 Varas (460 m) Umfang.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/103>, abgerufen am 25.04.2024.