diese Gebrechen? Der Tod. Wenn daher deine Gattin leidet, kränkelt, was ruft sie dir zu? "Siehe, der Tod, arbeitet in mir; ich weiß nicht, wann er seine Arbeit voll- endet, uns von einander zu scheiden."
"Aber das ist doch gar zu traurig!" Darüber will ich mit euch nicht rechten; aber saget einmal ist es denn in Wirklichkeit nicht so? Ist das nicht unser Leben, oder besser unser langsamer Tod? Ruft's nicht von allen Seiten und Ecken und Enden? "Die Zeit ist kurz, denk' an den Tod!" Ob ihr diese Stimme vernehmet oder nicht, sie rufet dennoch; ob ihr die Schatten des Todes sehet oder nicht, in euerer Familie stehet dennoch jener Knochenmann - in der Hand die schlagbereite Sense. Es ist wahrhaft, als hätte Gott nur deswegen die Lebens- gemeinschaft der Ehe angeordnet, damit wir Alle nach- drücklichst und immerfort an den Tod erinnert würden.
Wenn aber der Tod schon das Eine oder Andere vielleicht in der Vollkraft und Blüthe des Lebens weg- gerissen hat, was soll ich dann erst sagen? Da steht ein Mann mit den Kindern am Grabe der Mutter - der Tod flüstert ihm in's Ohr: "Siehe, einen Theil von dir hab' ich schon in's Grab geworfen; morgen werd' ich auch den andern nachholen." Und wenn die Mutter ihren todten Gatten betrachtet, läuft nicht auch der Todesschauer über ihren Leib? Denn sie waren ja nur mehr Zwei in Einem Fleische. Steckt nicht der Tod verborgen in ihrem Trauergewand? Was erst, wenn ein zweiter Vater, eine zweite Mutter in's Haus eingetreten? Denn diese zweite Vermählung ruft ja überlaut: "Wo ist der Vater, wo ist die Mutter dieser Kinder? Das erste Band ist durch den Tod zerissen, haltet euch nur bereit, auch dies zweite hat er schon in seiner Hand."
Ihr möget also die Ehe und die Familie betrachten, wie ihr immer wollet, ihr werdet immer an den Tod
diese Gebrechen? Der Tod. Wenn daher deine Gattin leidet, kränkelt, was ruft sie dir zu? „Siehe, der Tod, arbeitet in mir; ich weiß nicht, wann er seine Arbeit voll- endet, uns von einander zu scheiden.“
„Aber das ist doch gar zu traurig!“ Darüber will ich mit euch nicht rechten; aber saget einmal ist es denn in Wirklichkeit nicht so? Ist das nicht unser Leben, oder besser unser langsamer Tod? Ruft's nicht von allen Seiten und Ecken und Enden? „Die Zeit ist kurz, denk' an den Tod!“ Ob ihr diese Stimme vernehmet oder nicht, sie rufet dennoch; ob ihr die Schatten des Todes sehet oder nicht, in euerer Familie stehet dennoch jener Knochenmann – in der Hand die schlagbereite Sense. Es ist wahrhaft, als hätte Gott nur deswegen die Lebens- gemeinschaft der Ehe angeordnet, damit wir Alle nach- drücklichst und immerfort an den Tod erinnert würden.
Wenn aber der Tod schon das Eine oder Andere vielleicht in der Vollkraft und Blüthe des Lebens weg- gerissen hat, was soll ich dann erst sagen? Da steht ein Mann mit den Kindern am Grabe der Mutter – der Tod flüstert ihm in's Ohr: „Siehe, einen Theil von dir hab' ich schon in's Grab geworfen; morgen werd' ich auch den andern nachholen.“ Und wenn die Mutter ihren todten Gatten betrachtet, läuft nicht auch der Todesschauer über ihren Leib? Denn sie waren ja nur mehr Zwei in Einem Fleische. Steckt nicht der Tod verborgen in ihrem Trauergewand? Was erst, wenn ein zweiter Vater, eine zweite Mutter in's Haus eingetreten? Denn diese zweite Vermählung ruft ja überlaut: „Wo ist der Vater, wo ist die Mutter dieser Kinder? Das erste Band ist durch den Tod zerissen, haltet euch nur bereit, auch dies zweite hat er schon in seiner Hand.“
Ihr möget also die Ehe und die Familie betrachten, wie ihr immer wollet, ihr werdet immer an den Tod
<TEI><text><body><divn="39"><p><pbfacs="#f0390"xml:id="H891_001_1896_pb0378_0001"n="378"/>
diese Gebrechen? Der Tod. Wenn daher deine Gattin<lb/>
leidet, kränkelt, was ruft sie dir zu? <q>„Siehe, der Tod,<lb/>
arbeitet in mir; ich weiß nicht, wann er seine Arbeit voll-<lb/>
endet, uns von einander zu scheiden.“</q></p><p><q>„Aber das ist doch gar zu traurig!“</q> Darüber will<lb/>
ich mit euch nicht rechten; aber saget einmal ist es denn<lb/>
in Wirklichkeit nicht so? Ist das nicht unser Leben, oder<lb/>
besser unser langsamer Tod? Ruft's nicht von allen<lb/>
Seiten und Ecken und Enden? <q>„Die Zeit ist kurz, denk'<lb/>
an den Tod!“</q> Ob ihr diese Stimme vernehmet oder<lb/>
nicht, sie rufet dennoch; ob ihr die Schatten des Todes<lb/>
sehet oder nicht, in euerer Familie stehet dennoch jener<lb/>
Knochenmann – in der Hand die schlagbereite Sense.<lb/>
Es ist wahrhaft, als hätte Gott nur deswegen die Lebens-<lb/>
gemeinschaft der Ehe angeordnet, damit wir Alle nach-<lb/>
drücklichst und immerfort an den Tod erinnert würden.</p><p>Wenn aber der Tod schon das Eine oder Andere<lb/>
vielleicht in der Vollkraft und Blüthe des Lebens weg-<lb/>
gerissen hat, was soll ich dann erst sagen? Da steht ein<lb/>
Mann mit den Kindern am Grabe der Mutter – der<lb/>
Tod flüstert ihm in's Ohr: <q>„Siehe, einen Theil von dir<lb/>
hab' ich schon in's Grab geworfen; morgen werd' ich auch<lb/>
den andern nachholen.“</q> Und wenn die Mutter ihren<lb/>
todten Gatten betrachtet, läuft nicht auch der Todesschauer<lb/>
über ihren Leib? Denn sie waren ja nur mehr Zwei<lb/>
in Einem Fleische. Steckt nicht der Tod verborgen in<lb/>
ihrem Trauergewand? Was erst, wenn ein zweiter<lb/>
Vater, eine zweite Mutter in's Haus eingetreten? Denn<lb/>
diese zweite Vermählung ruft ja überlaut: <q>„Wo ist der<lb/>
Vater, wo ist die Mutter dieser Kinder? Das erste<lb/>
Band ist durch den Tod zerissen, haltet euch nur bereit,<lb/>
auch dies zweite hat er schon in seiner Hand.“</q></p><p>Ihr möget also die Ehe und die Familie betrachten,<lb/>
wie ihr immer wollet, ihr werdet immer an den Tod<lb/></p></div></body></text></TEI>
[378/0390]
diese Gebrechen? Der Tod. Wenn daher deine Gattin
leidet, kränkelt, was ruft sie dir zu? „Siehe, der Tod,
arbeitet in mir; ich weiß nicht, wann er seine Arbeit voll-
endet, uns von einander zu scheiden.“
„Aber das ist doch gar zu traurig!“ Darüber will
ich mit euch nicht rechten; aber saget einmal ist es denn
in Wirklichkeit nicht so? Ist das nicht unser Leben, oder
besser unser langsamer Tod? Ruft's nicht von allen
Seiten und Ecken und Enden? „Die Zeit ist kurz, denk'
an den Tod!“ Ob ihr diese Stimme vernehmet oder
nicht, sie rufet dennoch; ob ihr die Schatten des Todes
sehet oder nicht, in euerer Familie stehet dennoch jener
Knochenmann – in der Hand die schlagbereite Sense.
Es ist wahrhaft, als hätte Gott nur deswegen die Lebens-
gemeinschaft der Ehe angeordnet, damit wir Alle nach-
drücklichst und immerfort an den Tod erinnert würden.
Wenn aber der Tod schon das Eine oder Andere
vielleicht in der Vollkraft und Blüthe des Lebens weg-
gerissen hat, was soll ich dann erst sagen? Da steht ein
Mann mit den Kindern am Grabe der Mutter – der
Tod flüstert ihm in's Ohr: „Siehe, einen Theil von dir
hab' ich schon in's Grab geworfen; morgen werd' ich auch
den andern nachholen.“ Und wenn die Mutter ihren
todten Gatten betrachtet, läuft nicht auch der Todesschauer
über ihren Leib? Denn sie waren ja nur mehr Zwei
in Einem Fleische. Steckt nicht der Tod verborgen in
ihrem Trauergewand? Was erst, wenn ein zweiter
Vater, eine zweite Mutter in's Haus eingetreten? Denn
diese zweite Vermählung ruft ja überlaut: „Wo ist der
Vater, wo ist die Mutter dieser Kinder? Das erste
Band ist durch den Tod zerissen, haltet euch nur bereit,
auch dies zweite hat er schon in seiner Hand.“
Ihr möget also die Ehe und die Familie betrachten,
wie ihr immer wollet, ihr werdet immer an den Tod
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hug, Gallus Joseph: Die christliche Familie im Kampfe gegen feindliche Mächte. Vorträge über christliche Ehe und Erziehung. Freiburg (Schweiz), 1896, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hug_familie_1896/390>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.