Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hug, Gallus Joseph: Die christliche Familie im Kampfe gegen feindliche Mächte. Vorträge über christliche Ehe und Erziehung. Freiburg (Schweiz), 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

hat uns die Antwort auf diese Frage gegeben. Die Un-
zucht, sagt er, ist unter Verwandten eine viel größere
Sünde als zwischen Nichtverwandten. Warum? Der
natürlichen Ehrfurcht wegen, die sie sich gegenseitig schuldig
sind. Wenn aber die schuldige Ehrfurcht gerade diese
Sünde besonders verabscheut und flieht, so verlangt sie
von der andern Seite nothwendig die Verklärung zarter
Scham und Sittsamkeit. So war es, wie Valerius Maxi-
mus berichtet (II. II. q. 154 art. 9) bei den alten Heiden
nicht gestattet, daß Vater und Sohn miteinander baden.
Also regt sich auch in einem verkommenen Geschlechte
immer noch der Adel der Natur, und was Gotteshand
in das Menschenherz geschrieben, kann nie vollkommen
von der Leidenschaft ausgewischt werden. Denn wie nur
der Tote nicht mehr athmet, so hat auch nur der Ver-
dammte keine edle Regung mehr.

Die hl. Schrift erzählt auf ihren ersten Blättern ein
eigenthümliches Beispiel (Gen. c. IX. 21 sq). Als Noe von
der ihm noch unbekannten Kraft des Weines übermannt in
seiner Hütte emblößt lag, sah ihn sein Sohn Cham und
er vergaß so sehr der schuldigen Ehrfurcht, daß er ihn
nicht bloß nicht zudeckte, sondern die Sache seinen Brüdern
meldete. Diese voll zarter Ehrsucht legten einen Mantel
auf ihre Schultern, gingen rücklings hin, und deckten
ihren Vater zu. Als dieser vom Weine erwachte, und das
Geschehene vernahm, sprach er empört den Fluch über
Cham - und den Segen über Sem und Japhet. Wohl
handelt es sich hier zunächst um die Ehrfurcht der Kinder
vor den Eltern; aber bemerkt der hl. Thomas (ib.) die
gleiche Ehrfurcht schulden wir jenen, welche von den
gleichen Eltern ihren nahen Ursprung haben. Also ist
das vor allem die heiligste Pflicht der Geschwister.

Deßhalb, christliche Eltern, gebet wohl acht, was ihr
vor euern Kindern thut und redet, und ihr, die ihr Ge-

hat uns die Antwort auf diese Frage gegeben. Die Un-
zucht, sagt er, ist unter Verwandten eine viel größere
Sünde als zwischen Nichtverwandten. Warum? Der
natürlichen Ehrfurcht wegen, die sie sich gegenseitig schuldig
sind. Wenn aber die schuldige Ehrfurcht gerade diese
Sünde besonders verabscheut und flieht, so verlangt sie
von der andern Seite nothwendig die Verklärung zarter
Scham und Sittsamkeit. So war es, wie Valerius Maxi-
mus berichtet (II. II. q. 154 art. 9) bei den alten Heiden
nicht gestattet, daß Vater und Sohn miteinander baden.
Also regt sich auch in einem verkommenen Geschlechte
immer noch der Adel der Natur, und was Gotteshand
in das Menschenherz geschrieben, kann nie vollkommen
von der Leidenschaft ausgewischt werden. Denn wie nur
der Tote nicht mehr athmet, so hat auch nur der Ver-
dammte keine edle Regung mehr.

Die hl. Schrift erzählt auf ihren ersten Blättern ein
eigenthümliches Beispiel (Gen. c. IX. 21 sq). Als Noe von
der ihm noch unbekannten Kraft des Weines übermannt in
seiner Hütte emblößt lag, sah ihn sein Sohn Cham und
er vergaß so sehr der schuldigen Ehrfurcht, daß er ihn
nicht bloß nicht zudeckte, sondern die Sache seinen Brüdern
meldete. Diese voll zarter Ehrsucht legten einen Mantel
auf ihre Schultern, gingen rücklings hin, und deckten
ihren Vater zu. Als dieser vom Weine erwachte, und das
Geschehene vernahm, sprach er empört den Fluch über
Cham – und den Segen über Sem und Japhet. Wohl
handelt es sich hier zunächst um die Ehrfurcht der Kinder
vor den Eltern; aber bemerkt der hl. Thomas (ib.) die
gleiche Ehrfurcht schulden wir jenen, welche von den
gleichen Eltern ihren nahen Ursprung haben. Also ist
das vor allem die heiligste Pflicht der Geschwister.

Deßhalb, christliche Eltern, gebet wohl acht, was ihr
vor euern Kindern thut und redet, und ihr, die ihr Ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="33">
        <p><pb facs="#f0326" xml:id="H891_001_1896_pb0314_0001" n="314"/>
hat uns die Antwort auf diese Frage gegeben. Die Un-<lb/>
zucht, sagt er, ist unter Verwandten eine viel größere<lb/>
Sünde als zwischen Nichtverwandten. Warum? Der<lb/>
natürlichen Ehrfurcht wegen, die sie sich gegenseitig schuldig<lb/>
sind. Wenn aber die schuldige Ehrfurcht gerade diese<lb/>
Sünde besonders verabscheut und flieht, so verlangt sie<lb/>
von der andern Seite nothwendig die Verklärung zarter<lb/>
Scham und Sittsamkeit. So war es, wie Valerius Maxi-<lb/>
mus berichtet (II. II. q. 154 art. 9) bei den alten Heiden<lb/>
nicht gestattet, daß Vater und Sohn miteinander baden.<lb/>
Also regt sich auch in einem verkommenen Geschlechte<lb/>
immer noch der Adel der Natur, und was Gotteshand<lb/>
in das Menschenherz geschrieben, kann nie vollkommen<lb/>
von der Leidenschaft ausgewischt werden. Denn wie nur<lb/>
der Tote nicht mehr athmet, so hat auch nur der Ver-<lb/>
dammte keine edle Regung mehr.</p>
        <p>Die hl. Schrift erzählt auf ihren ersten Blättern ein<lb/>
eigenthümliches Beispiel (Gen. c. IX. 21 sq). Als Noe von<lb/>
der ihm noch unbekannten Kraft des Weines übermannt in<lb/>
seiner Hütte emblößt lag, sah ihn sein Sohn Cham und<lb/>
er vergaß so sehr der schuldigen Ehrfurcht, daß er ihn<lb/>
nicht bloß nicht zudeckte, sondern die Sache seinen Brüdern<lb/>
meldete. Diese voll zarter Ehrsucht legten einen Mantel<lb/>
auf ihre Schultern, gingen rücklings hin, und deckten<lb/>
ihren Vater zu. Als dieser vom Weine erwachte, und das<lb/>
Geschehene vernahm, sprach er empört den Fluch über<lb/>
Cham &#x2013; und den Segen über Sem und Japhet. Wohl<lb/>
handelt es sich hier zunächst um die Ehrfurcht der Kinder<lb/>
vor den Eltern; aber bemerkt der hl. Thomas (<hi rendition="#aq">ib</hi>.) die<lb/>
gleiche Ehrfurcht schulden wir jenen, welche von den<lb/>
gleichen Eltern ihren nahen Ursprung haben. Also ist<lb/>
das vor allem die heiligste Pflicht der Geschwister.</p>
        <p>Deßhalb, christliche Eltern, gebet wohl acht, was ihr<lb/>
vor euern Kindern thut und redet, und ihr, die ihr Ge-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[314/0326] hat uns die Antwort auf diese Frage gegeben. Die Un- zucht, sagt er, ist unter Verwandten eine viel größere Sünde als zwischen Nichtverwandten. Warum? Der natürlichen Ehrfurcht wegen, die sie sich gegenseitig schuldig sind. Wenn aber die schuldige Ehrfurcht gerade diese Sünde besonders verabscheut und flieht, so verlangt sie von der andern Seite nothwendig die Verklärung zarter Scham und Sittsamkeit. So war es, wie Valerius Maxi- mus berichtet (II. II. q. 154 art. 9) bei den alten Heiden nicht gestattet, daß Vater und Sohn miteinander baden. Also regt sich auch in einem verkommenen Geschlechte immer noch der Adel der Natur, und was Gotteshand in das Menschenherz geschrieben, kann nie vollkommen von der Leidenschaft ausgewischt werden. Denn wie nur der Tote nicht mehr athmet, so hat auch nur der Ver- dammte keine edle Regung mehr. Die hl. Schrift erzählt auf ihren ersten Blättern ein eigenthümliches Beispiel (Gen. c. IX. 21 sq). Als Noe von der ihm noch unbekannten Kraft des Weines übermannt in seiner Hütte emblößt lag, sah ihn sein Sohn Cham und er vergaß so sehr der schuldigen Ehrfurcht, daß er ihn nicht bloß nicht zudeckte, sondern die Sache seinen Brüdern meldete. Diese voll zarter Ehrsucht legten einen Mantel auf ihre Schultern, gingen rücklings hin, und deckten ihren Vater zu. Als dieser vom Weine erwachte, und das Geschehene vernahm, sprach er empört den Fluch über Cham – und den Segen über Sem und Japhet. Wohl handelt es sich hier zunächst um die Ehrfurcht der Kinder vor den Eltern; aber bemerkt der hl. Thomas (ib.) die gleiche Ehrfurcht schulden wir jenen, welche von den gleichen Eltern ihren nahen Ursprung haben. Also ist das vor allem die heiligste Pflicht der Geschwister. Deßhalb, christliche Eltern, gebet wohl acht, was ihr vor euern Kindern thut und redet, und ihr, die ihr Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Weitere Informationen:

Dieses Werk stammt vom Projekt Digitization Lifecycle am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.

Anmerkungen zur Transkription:

Bei der Zeichenerkennung wurde nach Vorgabe des DLC modernisiert.

In Absprache mit dem MPI wurden die folgenden Aspekte der Vorlage nicht erfasst:

  • Bogensignaturen und Kustoden
  • Kolumnentitel
  • Auf Titelblättern wurde auf die Auszeichnung der Schriftgrößenunterscheide zugunsten der Identifizierung von titleParts verzichtet.
  • Bei Textpassagen, die als Abschnittsüberschrift ausgeweisen werden können, wird auf die zusätzliche Auszeichnung des Layouts verzichtet.
  • Keine Auszeichnung der Initialbuchstaben am Kapitelanfang.

Es wurden alle Anführungszeichen übernommen und die Zitate zusätzlich mit q ausgezeichnet.

Weiche und harte Zeilentrennungen werden identisch als 002D übernommen. Der Zeilenumbruch selbst über lb ausgezeichnet.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hug_familie_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hug_familie_1896/326
Zitationshilfe: Hug, Gallus Joseph: Die christliche Familie im Kampfe gegen feindliche Mächte. Vorträge über christliche Ehe und Erziehung. Freiburg (Schweiz), 1896, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hug_familie_1896/326>, abgerufen am 29.11.2024.