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Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797.

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Eben so das menschliche Leben.
Wir müssen es als ein zusammenhängen-
des Ganzes mehrerer Wirkungen, als ei-
nen grossen Reifungsprozess ansehen,
dessen Zweck möglichste Entwicklung
und Vollendung der menschlichen Natur
an sich und völlige Ausfüllung seines
Standpuncts im Ganzen ist. Nun ist
aber Reifung und Vollendung nur das
Product von Zeit und Erfarung, und es
ist also unmöglich, dass ein Mensch, der
nur 30 Jahr gelebt hat, gesezt er habe
auch in der Zeit doppelt so viel gearbei-
tet und gethan, eben die Reifung und
Vollendung erhalten könne, als ein Zeit-
raum von 60 Jahren giebt. -- Ferner,
vielleicht war er bestimmt, 2 bis 3 Ge-
nerationen hindurch sein Leben nüzlich
zu seyn; sein zu grosser Eifer rafft ihn
schon in der ersten weg. Er erfüllt also,
weder in Absicht auf sich selbst, noch
auf andere, die Bestimmung und den
Zweck seines Lebens vollkommen, un-
terbricht den Lauf seiner Tage, und
bleibt immer ein feiner Selbstmörder.


Eben ſo das menſchliche Leben.
Wir müſſen es als ein zuſammenhängen-
des Ganzes mehrerer Wirkungen, als ei-
nen groſsen Reifungsprozeſs anſehen,
deſſen Zweck möglichſte Entwicklung
und Vollendung der menſchlichen Natur
an ſich und völlige Ausfüllung ſeines
Standpuncts im Ganzen iſt. Nun iſt
aber Reifung und Vollendung nur das
Product von Zeit und Erfarung, und es
iſt alſo unmöglich, daſs ein Menſch, der
nur 30 Jahr gelebt hat, geſezt er habe
auch in der Zeit doppelt ſo viel gearbei-
tet und gethan, eben die Reifung und
Vollendung erhalten könne, als ein Zeit-
raum von 60 Jahren giebt. — Ferner,
vielleicht war er beſtimmt, 2 bis 3 Ge-
nerationen hindurch ſein Leben nüzlich
zu ſeyn; ſein zu groſser Eifer rafft ihn
ſchon in der erſten weg. Er erfüllt alſo,
weder in Abſicht auf ſich ſelbſt, noch
auf andere, die Beſtimmung und den
Zweck ſeines Lebens vollkommen, un-
terbricht den Lauf ſeiner Tage, und
bleibt immer ein feiner Selbſtmörder.


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[300/0328] Eben ſo das menſchliche Leben. Wir müſſen es als ein zuſammenhängen- des Ganzes mehrerer Wirkungen, als ei- nen groſsen Reifungsprozeſs anſehen, deſſen Zweck möglichſte Entwicklung und Vollendung der menſchlichen Natur an ſich und völlige Ausfüllung ſeines Standpuncts im Ganzen iſt. Nun iſt aber Reifung und Vollendung nur das Product von Zeit und Erfarung, und es iſt alſo unmöglich, daſs ein Menſch, der nur 30 Jahr gelebt hat, geſezt er habe auch in der Zeit doppelt ſo viel gearbei- tet und gethan, eben die Reifung und Vollendung erhalten könne, als ein Zeit- raum von 60 Jahren giebt. — Ferner, vielleicht war er beſtimmt, 2 bis 3 Ge- nerationen hindurch ſein Leben nüzlich zu ſeyn; ſein zu groſser Eifer rafft ihn ſchon in der erſten weg. Er erfüllt alſo, weder in Abſicht auf ſich ſelbſt, noch auf andere, die Beſtimmung und den Zweck ſeines Lebens vollkommen, un- terbricht den Lauf ſeiner Tage, und bleibt immer ein feiner Selbſtmörder.

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Zitationshilfe: Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/328>, abgerufen am 29.11.2024.