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Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797.

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überzeugt bin, dass bey der Ungewiss-
heit unsers Lebens diese Idee ungemein
viel einladendes hat; so muss ich doch
bekennen, dass man dadurch seinen
Zweck gewiss nicht erreicht, und dass
ich die Rechnung für falsch halte. --
Da diese Meynung so viel Anhänger ge-
funden hat, so wird mirs wohl erlaubt
seyn, sie etwas genauer zu analysiren,
und meine Gründe dagegen auseinander
zu setzen.

Zu allen Operationen der Natur ge-
hört nicht allein Energie, die intensive
Kraft, sondern auch Extension, Zeit.
Man gebe einer Frucht noch einmal so
viel Wärme und Nahrung, als sie im na-
türlichen Zustand hat; sie wird zwar in
noch einmal so kurzer Zeit eine schein-
bare Reifung erhalten, aber gewiss nie
den Grad von Vollendung und Ausarbei-
tung, den die Frucht im natürlichen
Zustand, bey halb so viel intensiver
Wirksamkeit und noch einmal so viel
Zeit erlangt hätte.


überzeugt bin, daſs bey der Ungewiſs-
heit unſers Lebens dieſe Idee ungemein
viel einladendes hat; ſo muſs ich doch
bekennen, daſs man dadurch ſeinen
Zweck gewiſs nicht erreicht, und daſs
ich die Rechnung für falſch halte. —
Da dieſe Meynung ſo viel Anhänger ge-
funden hat, ſo wird mirs wohl erlaubt
ſeyn, ſie etwas genauer zu analyſiren,
und meine Gründe dagegen auseinander
zu ſetzen.

Zu allen Operationen der Natur ge-
hört nicht allein Energie, die intenſive
Kraft, ſondern auch Extenſion, Zeit.
Man gebe einer Frucht noch einmal ſo
viel Wärme und Nahrung, als ſie im na-
türlichen Zuſtand hat; ſie wird zwar in
noch einmal ſo kurzer Zeit eine ſchein-
bare Reifung erhalten, aber gewiſs nie
den Grad von Vollendung und Ausarbei-
tung, den die Frucht im natürlichen
Zuſtand, bey halb ſo viel intenſiver
Wirkſamkeit und noch einmal ſo viel
Zeit erlangt hätte.


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[299/0327] überzeugt bin, daſs bey der Ungewiſs- heit unſers Lebens dieſe Idee ungemein viel einladendes hat; ſo muſs ich doch bekennen, daſs man dadurch ſeinen Zweck gewiſs nicht erreicht, und daſs ich die Rechnung für falſch halte. — Da dieſe Meynung ſo viel Anhänger ge- funden hat, ſo wird mirs wohl erlaubt ſeyn, ſie etwas genauer zu analyſiren, und meine Gründe dagegen auseinander zu ſetzen. Zu allen Operationen der Natur ge- hört nicht allein Energie, die intenſive Kraft, ſondern auch Extenſion, Zeit. Man gebe einer Frucht noch einmal ſo viel Wärme und Nahrung, als ſie im na- türlichen Zuſtand hat; ſie wird zwar in noch einmal ſo kurzer Zeit eine ſchein- bare Reifung erhalten, aber gewiſs nie den Grad von Vollendung und Ausarbei- tung, den die Frucht im natürlichen Zuſtand, bey halb ſo viel intenſiver Wirkſamkeit und noch einmal ſo viel Zeit erlangt hätte.

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Zitationshilfe: Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/327>, abgerufen am 29.11.2024.