Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

Endlich liegt noch ein Hauptgrund
darin, dass der Mensch, ungeachtet er
zum vernünftigen Wesen organisirt ist,
dennoch Freyheit hat, seine Vernunft zu
gebrauchen oder nicht. -- Das Thier
hat statt der Vernunft Instinkt, und zu-
gleich weit mehr Gefühllosigkeit und
Härte für schädliche Eindrücke. Der
Instinkt lehrt es, das zu geniessen, was
ihm gut ist, das zu vermeiden, was ihm
schadet; er sagt ihm, wenn es genug
hat, wenn es Ruhe bedarf, wenn es
krank ist. Der Instinkt sichert es vor
Uebermass und Ausschweifungen, ohne
Diätregeln. -- Bey dem Menschen hin-
gegen ist alles, auch das Physische, auf
Vernunft berechnet; er hat weder In-
stinkt, jene Missgriffe zu vermeiden,
noch Festigkeit genug, sie zu ertragen.
Alles diess sollte die Vernunft bey ihm
ersetzen. Fehlt ihm also diese, oder
versäumt er ihre Stimme zu hören, so
verliert er seinen einzigen Wegweiser,
sein grösstes Erhaltungsmittel, und sinkt
auch physisch nicht allein zum Thier,

Endlich liegt noch ein Hauptgrund
darin, daſs der Menſch, ungeachtet er
zum vernünftigen Weſen organiſirt iſt,
dennoch Freyheit hat, ſeine Vernunft zu
gebrauchen oder nicht. — Das Thier
hat ſtatt der Vernunft Inſtinkt, und zu-
gleich weit mehr Gefühlloſigkeit und
Härte für ſchädliche Eindrücke. Der
Inſtinkt lehrt es, das zu genieſsen, was
ihm gut iſt, das zu vermeiden, was ihm
ſchadet; er ſagt ihm, wenn es genug
hat, wenn es Ruhe bedarf, wenn es
krank iſt. Der Inſtinkt ſichert es vor
Uebermaſs und Ausſchweifungen, ohne
Diätregeln. — Bey dem Menſchen hin-
gegen iſt alles, auch das Phyſiſche, auf
Vernunft berechnet; er hat weder In-
ſtinkt, jene Miſsgriffe zu vermeiden,
noch Feſtigkeit genug, ſie zu ertragen.
Alles dieſs ſollte die Vernunft bey ihm
erſetzen. Fehlt ihm alſo dieſe, oder
verſäumt er ihre Stimme zu hören, ſo
verliert er ſeinen einzigen Wegweiſer,
ſein gröſstes Erhaltungsmittel, und ſinkt
auch phyſiſch nicht allein zum Thier,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0281" n="253"/>
            <p>Endlich liegt noch ein Hauptgrund<lb/>
darin, da&#x017F;s der Men&#x017F;ch, ungeachtet er<lb/>
zum vernünftigen We&#x017F;en organi&#x017F;irt i&#x017F;t,<lb/>
dennoch <hi rendition="#i">Freyheit</hi> hat, &#x017F;eine Vernunft zu<lb/>
gebrauchen oder nicht. &#x2014; Das Thier<lb/>
hat &#x017F;tatt der Vernunft <hi rendition="#i">In&#x017F;tinkt</hi>, und zu-<lb/>
gleich weit mehr Gefühllo&#x017F;igkeit und<lb/>
Härte für &#x017F;chädliche Eindrücke. Der<lb/>
In&#x017F;tinkt lehrt es, das zu genie&#x017F;sen, was<lb/>
ihm gut i&#x017F;t, das zu vermeiden, was ihm<lb/>
&#x017F;chadet; er &#x017F;agt ihm, wenn es genug<lb/>
hat, wenn es Ruhe bedarf, wenn es<lb/>
krank i&#x017F;t. Der In&#x017F;tinkt &#x017F;ichert es vor<lb/>
Ueberma&#x017F;s und Aus&#x017F;chweifungen, ohne<lb/>
Diätregeln. &#x2014; Bey dem Men&#x017F;chen hin-<lb/>
gegen i&#x017F;t alles, auch das Phy&#x017F;i&#x017F;che, auf<lb/>
Vernunft berechnet; er hat weder In-<lb/>
&#x017F;tinkt, jene Mi&#x017F;sgriffe zu vermeiden,<lb/>
noch Fe&#x017F;tigkeit genug, &#x017F;ie zu ertragen.<lb/>
Alles die&#x017F;s &#x017F;ollte die Vernunft bey ihm<lb/>
er&#x017F;etzen. Fehlt ihm al&#x017F;o die&#x017F;e, oder<lb/>
ver&#x017F;äumt er ihre Stimme zu hören, &#x017F;o<lb/>
verliert er &#x017F;einen einzigen Wegwei&#x017F;er,<lb/>
&#x017F;ein grö&#x017F;stes Erhaltungsmittel, und &#x017F;inkt<lb/>
auch phy&#x017F;i&#x017F;ch nicht allein zum Thier,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[253/0281] Endlich liegt noch ein Hauptgrund darin, daſs der Menſch, ungeachtet er zum vernünftigen Weſen organiſirt iſt, dennoch Freyheit hat, ſeine Vernunft zu gebrauchen oder nicht. — Das Thier hat ſtatt der Vernunft Inſtinkt, und zu- gleich weit mehr Gefühlloſigkeit und Härte für ſchädliche Eindrücke. Der Inſtinkt lehrt es, das zu genieſsen, was ihm gut iſt, das zu vermeiden, was ihm ſchadet; er ſagt ihm, wenn es genug hat, wenn es Ruhe bedarf, wenn es krank iſt. Der Inſtinkt ſichert es vor Uebermaſs und Ausſchweifungen, ohne Diätregeln. — Bey dem Menſchen hin- gegen iſt alles, auch das Phyſiſche, auf Vernunft berechnet; er hat weder In- ſtinkt, jene Miſsgriffe zu vermeiden, noch Feſtigkeit genug, ſie zu ertragen. Alles dieſs ſollte die Vernunft bey ihm erſetzen. Fehlt ihm alſo dieſe, oder verſäumt er ihre Stimme zu hören, ſo verliert er ſeinen einzigen Wegweiſer, ſein gröſstes Erhaltungsmittel, und ſinkt auch phyſiſch nicht allein zum Thier,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/281
Zitationshilfe: Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/281>, abgerufen am 30.06.2024.