Endlich liegt noch ein Hauptgrund darin, dass der Mensch, ungeachtet er zum vernünftigen Wesen organisirt ist, dennoch Freyheit hat, seine Vernunft zu gebrauchen oder nicht. -- Das Thier hat statt der Vernunft Instinkt, und zu- gleich weit mehr Gefühllosigkeit und Härte für schädliche Eindrücke. Der Instinkt lehrt es, das zu geniessen, was ihm gut ist, das zu vermeiden, was ihm schadet; er sagt ihm, wenn es genug hat, wenn es Ruhe bedarf, wenn es krank ist. Der Instinkt sichert es vor Uebermass und Ausschweifungen, ohne Diätregeln. -- Bey dem Menschen hin- gegen ist alles, auch das Physische, auf Vernunft berechnet; er hat weder In- stinkt, jene Missgriffe zu vermeiden, noch Festigkeit genug, sie zu ertragen. Alles diess sollte die Vernunft bey ihm ersetzen. Fehlt ihm also diese, oder versäumt er ihre Stimme zu hören, so verliert er seinen einzigen Wegweiser, sein grösstes Erhaltungsmittel, und sinkt auch physisch nicht allein zum Thier,
Endlich liegt noch ein Hauptgrund darin, daſs der Menſch, ungeachtet er zum vernünftigen Weſen organiſirt iſt, dennoch Freyheit hat, ſeine Vernunft zu gebrauchen oder nicht. — Das Thier hat ſtatt der Vernunft Inſtinkt, und zu- gleich weit mehr Gefühlloſigkeit und Härte für ſchädliche Eindrücke. Der Inſtinkt lehrt es, das zu genieſsen, was ihm gut iſt, das zu vermeiden, was ihm ſchadet; er ſagt ihm, wenn es genug hat, wenn es Ruhe bedarf, wenn es krank iſt. Der Inſtinkt ſichert es vor Uebermaſs und Ausſchweifungen, ohne Diätregeln. — Bey dem Menſchen hin- gegen iſt alles, auch das Phyſiſche, auf Vernunft berechnet; er hat weder In- ſtinkt, jene Miſsgriffe zu vermeiden, noch Feſtigkeit genug, ſie zu ertragen. Alles dieſs ſollte die Vernunft bey ihm erſetzen. Fehlt ihm alſo dieſe, oder verſäumt er ihre Stimme zu hören, ſo verliert er ſeinen einzigen Wegweiſer, ſein gröſstes Erhaltungsmittel, und ſinkt auch phyſiſch nicht allein zum Thier,
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Endlich liegt noch ein Hauptgrund
darin, daſs der Menſch, ungeachtet er
zum vernünftigen Weſen organiſirt iſt,
dennoch Freyheit hat, ſeine Vernunft zu
gebrauchen oder nicht. — Das Thier
hat ſtatt der Vernunft Inſtinkt, und zu-
gleich weit mehr Gefühlloſigkeit und
Härte für ſchädliche Eindrücke. Der
Inſtinkt lehrt es, das zu genieſsen, was
ihm gut iſt, das zu vermeiden, was ihm
ſchadet; er ſagt ihm, wenn es genug
hat, wenn es Ruhe bedarf, wenn es
krank iſt. Der Inſtinkt ſichert es vor
Uebermaſs und Ausſchweifungen, ohne
Diätregeln. — Bey dem Menſchen hin-
gegen iſt alles, auch das Phyſiſche, auf
Vernunft berechnet; er hat weder In-
ſtinkt, jene Miſsgriffe zu vermeiden,
noch Feſtigkeit genug, ſie zu ertragen.
Alles dieſs ſollte die Vernunft bey ihm
erſetzen. Fehlt ihm alſo dieſe, oder
verſäumt er ihre Stimme zu hören, ſo
verliert er ſeinen einzigen Wegweiſer,
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Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/281>, abgerufen am 25.11.2024.
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