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Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797.

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wilden Menschen brächten; denn in die-
sem Naturstande müsse sich wohl das na-
türliche Lebensziel am sichersten ausmit-
teln lassen. Aber diess ist falsch. Wir
müssen bedenken, dass dieser Stand der
Natur auch meistens der Stand des
Elends ist, wo der Mangel an Gesellig-
keit und Kultur den Menschen nöthigt,
sich weit über seine Kräfte zu strapazi-
ren und zu consumiren, wo er über-
diess, vermöge seiner Lage, weit mehr
destruirende Einflüsse und weit weniger
Restauration geniesst. Nicht aus der
Klasse der Thiermenschen müssen wir
unsre Beyspiele nehmen (denn da theilt
er seine Eigenschaften mit dem Thier)
sondern aus der Klasse, wo durch Ent-
wicklung und Kultur der Mensch ein
vernünftiges wirklich menschliches We-
sen worden ist, dann erst hat er auch im
Physischen seine Bestimmung und seine
Vorzüge erreicht, und durch Vernunft
auch ausser sich die Restaurationsmittel
und glücklichern Lagen bewirkt, die
ihm möglich sind; nun erst können wir

wilden Menſchen brächten; denn in die-
ſem Naturſtande müſſe ſich wohl das na-
türliche Lebensziel am ſicherſten ausmit-
teln laſſen. Aber dieſs iſt falſch. Wir
müſſen bedenken, daſs dieſer Stand der
Natur auch meiſtens der Stand des
Elends iſt, wo der Mangel an Geſellig-
keit und Kultur den Menſchen nöthigt,
ſich weit über ſeine Kräfte zu ſtrapazi-
ren und zu conſumiren, wo er über-
dieſs, vermöge ſeiner Lage, weit mehr
deſtruirende Einflüſſe und weit weniger
Reſtauration genieſst. Nicht aus der
Klaſſe der Thiermenſchen müſſen wir
unſre Beyſpiele nehmen (denn da theilt
er ſeine Eigenſchaften mit dem Thier)
ſondern aus der Klaſſe, wo durch Ent-
wicklung und Kultur der Menſch ein
vernünftiges wirklich menſchliches We-
ſen worden iſt, dann erſt hat er auch im
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[207/0235] wilden Menſchen brächten; denn in die- ſem Naturſtande müſſe ſich wohl das na- türliche Lebensziel am ſicherſten ausmit- teln laſſen. Aber dieſs iſt falſch. Wir müſſen bedenken, daſs dieſer Stand der Natur auch meiſtens der Stand des Elends iſt, wo der Mangel an Geſellig- keit und Kultur den Menſchen nöthigt, ſich weit über ſeine Kräfte zu ſtrapazi- ren und zu conſumiren, wo er über- dieſs, vermöge ſeiner Lage, weit mehr deſtruirende Einflüſſe und weit weniger Reſtauration genieſst. Nicht aus der Klaſſe der Thiermenſchen müſſen wir unſre Beyſpiele nehmen (denn da theilt er ſeine Eigenſchaften mit dem Thier) ſondern aus der Klaſſe, wo durch Ent- wicklung und Kultur der Menſch ein vernünftiges wirklich menſchliches We- ſen worden iſt, dann erſt hat er auch im Phyſiſchen ſeine Beſtimmung und ſeine Vorzüge erreicht, und durch Vernunft auch auſſer ſich die Reſtaurationsmittel und glücklichern Lagen bewirkt, die ihm möglich ſind; nun erſt können wir

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Zitationshilfe: Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/235>, abgerufen am 24.11.2024.