Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

nes Beystandes bedurften, verehrten ihn
wegen seiner Tugend und Milde. Im
ganzen Laufe eines so langen Lebens
konnte niemand aufstehen und sagen:
Nobs habe ihn auch nur in Gedanken be-
leidigt. Bey einem sehr mittelmässigen
Einkommen behauptete er 60 Jahre hin-
durch den Namen des Mildthätigen,
und liess bey seinem Hinscheiden seiner
Familie nur wenig zurück. Aber er
vermachte ihr dabey ein unschäzbares
Erbe -- jene Segnungen, welche der
lohnende Himmel für die Kinder der
Barmherzigen aufbewahrt."

Diess sind die Beyspiele des höch-
sten Alters in neuern Zeiten, die mir be-
kannt worden sind. -- Leute von 100
Jahren rechne ich hierunter gar nicht,
denn die kommen häufiger vor. Noch
vor einigen Jahren starb in Bürgel, nicht
weit von hier, ein Zimmermann in sei-
nem 104ten Jahre. Er hatte noch täglich
gearbeitet. Seine liebste Beschäftigung
war zulezt, Garn zu spinnen. Einst sass

nes Beyſtandes bedurften, verehrten ihn
wegen ſeiner Tugend und Milde. Im
ganzen Laufe eines ſo langen Lebens
konnte niemand aufſtehen und ſagen:
Nobs habe ihn auch nur in Gedanken be-
leidigt. Bey einem ſehr mittelmäſsigen
Einkommen behauptete er 60 Jahre hin-
durch den Namen des Mildthätigen,
und lieſs bey ſeinem Hinſcheiden ſeiner
Familie nur wenig zurück. Aber er
vermachte ihr dabey ein unſchäzbares
Erbe — jene Segnungen, welche der
lohnende Himmel für die Kinder der
Barmherzigen aufbewahrt.“

Dieſs ſind die Beyſpiele des höch-
ſten Alters in neuern Zeiten, die mir be-
kannt worden ſind. — Leute von 100
Jahren rechne ich hierunter gar nicht,
denn die kommen häufiger vor. Noch
vor einigen Jahren ſtarb in Bürgel, nicht
weit von hier, ein Zimmermann in ſei-
nem 104ten Jahre. Er hatte noch täglich
gearbeitet. Seine liebſte Beſchäftigung
war zulezt, Garn zu ſpinnen. Einſt ſaſs

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0210" n="182"/>
nes Bey&#x017F;tandes bedurften, verehrten ihn<lb/>
wegen &#x017F;einer Tugend und Milde. Im<lb/>
ganzen Laufe eines &#x017F;o langen Lebens<lb/>
konnte niemand auf&#x017F;tehen und &#x017F;agen:<lb/><hi rendition="#i">Nobs</hi> habe ihn auch nur in Gedanken be-<lb/>
leidigt. Bey einem &#x017F;ehr mittelmä&#x017F;sigen<lb/>
Einkommen behauptete er 60 Jahre hin-<lb/>
durch den Namen des Mildthätigen,<lb/>
und lie&#x017F;s bey &#x017F;einem Hin&#x017F;cheiden &#x017F;einer<lb/>
Familie nur wenig zurück. Aber er<lb/>
vermachte ihr dabey ein un&#x017F;chäzbares<lb/>
Erbe &#x2014; jene Segnungen, welche der<lb/>
lohnende Himmel für die Kinder der<lb/>
Barmherzigen aufbewahrt.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;s &#x017F;ind die Bey&#x017F;piele des höch-<lb/>
&#x017F;ten Alters in neuern Zeiten, die mir be-<lb/>
kannt worden &#x017F;ind. &#x2014; Leute von 100<lb/>
Jahren rechne ich hierunter gar nicht,<lb/>
denn die kommen häufiger vor. Noch<lb/>
vor einigen Jahren &#x017F;tarb in <hi rendition="#i">Bürgel</hi>, nicht<lb/>
weit von hier, ein Zimmermann in &#x017F;ei-<lb/>
nem 104ten Jahre. Er hatte noch täglich<lb/>
gearbeitet. Seine lieb&#x017F;te Be&#x017F;chäftigung<lb/>
war zulezt, Garn zu &#x017F;pinnen. Ein&#x017F;t &#x017F;a&#x017F;s<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0210] nes Beyſtandes bedurften, verehrten ihn wegen ſeiner Tugend und Milde. Im ganzen Laufe eines ſo langen Lebens konnte niemand aufſtehen und ſagen: Nobs habe ihn auch nur in Gedanken be- leidigt. Bey einem ſehr mittelmäſsigen Einkommen behauptete er 60 Jahre hin- durch den Namen des Mildthätigen, und lieſs bey ſeinem Hinſcheiden ſeiner Familie nur wenig zurück. Aber er vermachte ihr dabey ein unſchäzbares Erbe — jene Segnungen, welche der lohnende Himmel für die Kinder der Barmherzigen aufbewahrt.“ Dieſs ſind die Beyſpiele des höch- ſten Alters in neuern Zeiten, die mir be- kannt worden ſind. — Leute von 100 Jahren rechne ich hierunter gar nicht, denn die kommen häufiger vor. Noch vor einigen Jahren ſtarb in Bürgel, nicht weit von hier, ein Zimmermann in ſei- nem 104ten Jahre. Er hatte noch täglich gearbeitet. Seine liebſte Beſchäftigung war zulezt, Garn zu ſpinnen. Einſt ſaſs

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/210
Zitationshilfe: Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/210>, abgerufen am 25.11.2024.