Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Huber, Victor Aimé: Sieben Briefe über englisches Revival und deutsche Erweckung. Frankfurt (Main), 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

mag dann die Erweckung, nachdem die Mittel, deren sie sich bediente,
vielleicht dazu beitrugen, das Uebel herbeizuführen, oder zum Aus-
bruch zu steigern, dennoch schließlich gleichsam als Exorcismus
wirken, während doch in den meisten anderen Fällen nur die höchste
Concentration der an sich bekanntesten und berechtigtsten Erschei-
nungen des Ueberganges von dem tiefsten, heftigsten Sündenbewußt-
sein zu der höchsten Wonne des Erlösungsbewußtsein aufzuweisen
ist. Daß Sie, geehrtester Freund, an meiner Voraussetzung dämo-
nischer Möglichkeiten (mit unserer aufgeklärten Welt) allzugroßen
Anstoß nehmen werden, kann ich mir kaum denken; jedenfalls aber
werden Sie von vornherein angenommen haben, daß, wo nicht
"der Böse", doch "das Böse" in diesem ganzen, so ungewöhn-
lichen Treiben nicht fehlen werde, ohne daß wir deshalb irgend
berechtigt sind, die ganze Sache danach zu beurtheilen und darum
zu verwerfen -- am wenigsten, wo es sich um immerhin sehr
seltene Ausnahmen handelt, was von wirklich und nachweislich
bösartigen Beispielen des Befalls durchaus behauptet werden kann.
Noch weniger kann man den sonstigen Theilnehmern und namentlich
den bedeutenderen Leitern und Wortführern des Revivals im Ganzen
irgend mit Grund vorwerfen, daß sie die bedenkliche, gefährliche
Seite der Sache, namentlich des Befalls, verkannt oder nicht aner-
kannt oder gar absichtlich begünstigt hätten. Jedenfalls trifft diese
Beschuldigung mit einigem Recht nur Wenige und diese meist nur
in dem überraschenden Anfang und auf der taumelnden Höhe der
Bewegung in Ulster, wo denn allerdings auch bei Einigen der
unverständige Eifer oder bloße geistliche Eitelkeit so weit gieng, daß
die Absicht, solche "Fälle" (cases kurzweg!) zu produciren,
deutlich genug hervortritt. Die große Mehrzahl aber der irgend
bedeutenden Stimmen hat sich von vorne herein und mehr und mehr
dahin verständigt, nicht nur die auffallendsten extravagantesten Fälle
der Art unbedingt zu verwerfen und zu beklagen, sondern auch jede
höhere und auffallende krankhafte Steigerung an sich nicht ver-
werflicher Aufregung nur als ein unter allen gegebenen Umständen
unvermeidliches und, in Betracht der damit verbundenen überwiegend
ersprießlichen Früchte, zu duldendes Uebel anzusehen. Die günstigste
Meinung ist noch die, wonach auch an sich sehr unerfreuliche,
beklagenswerthe Erscheinungen, sofern sie nicht willkürlich hervor-

mag dann die Erweckung, nachdem die Mittel, deren ſie ſich bediente,
vielleicht dazu beitrugen, das Uebel herbeizuführen, oder zum Aus-
bruch zu ſteigern, dennoch ſchließlich gleichſam als Exorcismus
wirken, während doch in den meiſten anderen Fällen nur die höchſte
Concentration der an ſich bekannteſten und berechtigtſten Erſchei-
nungen des Ueberganges von dem tiefſten, heftigſten Sündenbewußt-
ſein zu der höchſten Wonne des Erlöſungsbewußtſein aufzuweiſen
iſt. Daß Sie, geehrteſter Freund, an meiner Vorausſetzung dämo-
niſcher Möglichkeiten (mit unſerer aufgeklärten Welt) allzugroßen
Anſtoß nehmen werden, kann ich mir kaum denken; jedenfalls aber
werden Sie von vornherein angenommen haben, daß, wo nicht
der Böſe‟, doch „das Böſe‟ in dieſem ganzen, ſo ungewöhn-
lichen Treiben nicht fehlen werde, ohne daß wir deshalb irgend
berechtigt ſind, die ganze Sache danach zu beurtheilen und darum
zu verwerfen — am wenigſten, wo es ſich um immerhin ſehr
ſeltene Ausnahmen handelt, was von wirklich und nachweislich
bösartigen Beiſpielen des Befalls durchaus behauptet werden kann.
Noch weniger kann man den ſonſtigen Theilnehmern und namentlich
den bedeutenderen Leitern und Wortführern des Revivals im Ganzen
irgend mit Grund vorwerfen, daß ſie die bedenkliche, gefährliche
Seite der Sache, namentlich des Befalls, verkannt oder nicht aner-
kannt oder gar abſichtlich begünſtigt hätten. Jedenfalls trifft dieſe
Beſchuldigung mit einigem Recht nur Wenige und dieſe meiſt nur
in dem überraſchenden Anfang und auf der taumelnden Höhe der
Bewegung in Ulſter, wo denn allerdings auch bei Einigen der
unverſtändige Eifer oder bloße geiſtliche Eitelkeit ſo weit gieng, daß
die Abſicht, ſolche „Fälle‟ (cases kurzweg!) zu produciren,
deutlich genug hervortritt. Die große Mehrzahl aber der irgend
bedeutenden Stimmen hat ſich von vorne herein und mehr und mehr
dahin verſtändigt, nicht nur die auffallendſten extravaganteſten Fälle
der Art unbedingt zu verwerfen und zu beklagen, ſondern auch jede
höhere und auffallende krankhafte Steigerung an ſich nicht ver-
werflicher Aufregung nur als ein unter allen gegebenen Umſtänden
unvermeidliches und, in Betracht der damit verbundenen überwiegend
erſprießlichen Früchte, zu duldendes Uebel anzuſehen. Die günſtigſte
Meinung iſt noch die, wonach auch an ſich ſehr unerfreuliche,
beklagenswerthe Erſcheinungen, ſofern ſie nicht willkürlich hervor-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0030" n="24"/>
mag dann die Erweckung, nachdem die Mittel, deren &#x017F;ie &#x017F;ich bediente,<lb/>
vielleicht dazu beitrugen, das Uebel herbeizuführen, oder zum Aus-<lb/>
bruch zu &#x017F;teigern, dennoch &#x017F;chließlich gleich&#x017F;am als Exorcismus<lb/>
wirken, während doch in den mei&#x017F;ten anderen Fällen nur die höch&#x017F;te<lb/>
Concentration der an &#x017F;ich bekannte&#x017F;ten und berechtigt&#x017F;ten Er&#x017F;chei-<lb/>
nungen des Ueberganges von dem tief&#x017F;ten, heftig&#x017F;ten Sündenbewußt-<lb/>
&#x017F;ein zu der höch&#x017F;ten Wonne des Erlö&#x017F;ungsbewußt&#x017F;ein aufzuwei&#x017F;en<lb/>
i&#x017F;t. Daß Sie, geehrte&#x017F;ter Freund, an meiner Voraus&#x017F;etzung dämo-<lb/>
ni&#x017F;cher Möglichkeiten (mit un&#x017F;erer aufgeklärten Welt) allzugroßen<lb/>
An&#x017F;toß nehmen werden, kann ich mir kaum denken; jedenfalls aber<lb/>
werden Sie von vornherein angenommen haben, daß, wo nicht<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">der Bö&#x017F;e</hi>&#x201F;, doch &#x201E;<hi rendition="#g">das Bö&#x017F;e</hi>&#x201F; in die&#x017F;em ganzen, &#x017F;o ungewöhn-<lb/>
lichen Treiben nicht fehlen werde, ohne daß wir deshalb irgend<lb/>
berechtigt &#x017F;ind, die ganze Sache <hi rendition="#g">danach</hi> zu beurtheilen und <hi rendition="#g">darum</hi><lb/>
zu verwerfen &#x2014; am wenig&#x017F;ten, wo es &#x017F;ich um immerhin &#x017F;ehr<lb/>
&#x017F;eltene Ausnahmen handelt, was von wirklich und nachweislich<lb/>
bösartigen Bei&#x017F;pielen des Befalls durchaus behauptet werden kann.<lb/>
Noch weniger kann man den &#x017F;on&#x017F;tigen Theilnehmern und namentlich<lb/>
den bedeutenderen Leitern und Wortführern des Revivals im Ganzen<lb/>
irgend mit Grund vorwerfen, daß &#x017F;ie die bedenkliche, gefährliche<lb/>
Seite der Sache, namentlich des Befalls, verkannt oder nicht aner-<lb/>
kannt oder gar ab&#x017F;ichtlich begün&#x017F;tigt hätten. Jedenfalls trifft die&#x017F;e<lb/>
Be&#x017F;chuldigung mit einigem Recht nur Wenige und die&#x017F;e mei&#x017F;t nur<lb/>
in dem überra&#x017F;chenden Anfang und auf der taumelnden Höhe der<lb/>
Bewegung in Ul&#x017F;ter, wo denn allerdings auch bei Einigen der<lb/>
unver&#x017F;tändige Eifer oder bloße gei&#x017F;tliche Eitelkeit &#x017F;o weit gieng, daß<lb/>
die <hi rendition="#g">Ab&#x017F;icht,</hi> &#x017F;olche &#x201E;<hi rendition="#g">Fälle</hi>&#x201F; (<hi rendition="#aq">cases</hi> kurzweg!) zu produciren,<lb/>
deutlich genug hervortritt. Die große Mehrzahl aber der irgend<lb/>
bedeutenden Stimmen hat &#x017F;ich von vorne herein und mehr und mehr<lb/>
dahin ver&#x017F;tändigt, nicht nur die auffallend&#x017F;ten extravagante&#x017F;ten Fälle<lb/>
der Art unbedingt zu verwerfen und zu beklagen, &#x017F;ondern auch jede<lb/>
höhere und auffallende krankhafte Steigerung <hi rendition="#g">an &#x017F;ich</hi> nicht ver-<lb/>
werflicher Aufregung nur als ein unter allen gegebenen Um&#x017F;tänden<lb/>
unvermeidliches und, in Betracht der damit verbundenen überwiegend<lb/>
er&#x017F;prießlichen Früchte, zu duldendes Uebel anzu&#x017F;ehen. Die gün&#x017F;tig&#x017F;te<lb/>
Meinung i&#x017F;t noch die, wonach auch <hi rendition="#g">an &#x017F;ich</hi> &#x017F;ehr unerfreuliche,<lb/>
beklagenswerthe Er&#x017F;cheinungen, &#x017F;ofern &#x017F;ie nicht willkürlich hervor-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0030] mag dann die Erweckung, nachdem die Mittel, deren ſie ſich bediente, vielleicht dazu beitrugen, das Uebel herbeizuführen, oder zum Aus- bruch zu ſteigern, dennoch ſchließlich gleichſam als Exorcismus wirken, während doch in den meiſten anderen Fällen nur die höchſte Concentration der an ſich bekannteſten und berechtigtſten Erſchei- nungen des Ueberganges von dem tiefſten, heftigſten Sündenbewußt- ſein zu der höchſten Wonne des Erlöſungsbewußtſein aufzuweiſen iſt. Daß Sie, geehrteſter Freund, an meiner Vorausſetzung dämo- niſcher Möglichkeiten (mit unſerer aufgeklärten Welt) allzugroßen Anſtoß nehmen werden, kann ich mir kaum denken; jedenfalls aber werden Sie von vornherein angenommen haben, daß, wo nicht „der Böſe‟, doch „das Böſe‟ in dieſem ganzen, ſo ungewöhn- lichen Treiben nicht fehlen werde, ohne daß wir deshalb irgend berechtigt ſind, die ganze Sache danach zu beurtheilen und darum zu verwerfen — am wenigſten, wo es ſich um immerhin ſehr ſeltene Ausnahmen handelt, was von wirklich und nachweislich bösartigen Beiſpielen des Befalls durchaus behauptet werden kann. Noch weniger kann man den ſonſtigen Theilnehmern und namentlich den bedeutenderen Leitern und Wortführern des Revivals im Ganzen irgend mit Grund vorwerfen, daß ſie die bedenkliche, gefährliche Seite der Sache, namentlich des Befalls, verkannt oder nicht aner- kannt oder gar abſichtlich begünſtigt hätten. Jedenfalls trifft dieſe Beſchuldigung mit einigem Recht nur Wenige und dieſe meiſt nur in dem überraſchenden Anfang und auf der taumelnden Höhe der Bewegung in Ulſter, wo denn allerdings auch bei Einigen der unverſtändige Eifer oder bloße geiſtliche Eitelkeit ſo weit gieng, daß die Abſicht, ſolche „Fälle‟ (cases kurzweg!) zu produciren, deutlich genug hervortritt. Die große Mehrzahl aber der irgend bedeutenden Stimmen hat ſich von vorne herein und mehr und mehr dahin verſtändigt, nicht nur die auffallendſten extravaganteſten Fälle der Art unbedingt zu verwerfen und zu beklagen, ſondern auch jede höhere und auffallende krankhafte Steigerung an ſich nicht ver- werflicher Aufregung nur als ein unter allen gegebenen Umſtänden unvermeidliches und, in Betracht der damit verbundenen überwiegend erſprießlichen Früchte, zu duldendes Uebel anzuſehen. Die günſtigſte Meinung iſt noch die, wonach auch an ſich ſehr unerfreuliche, beklagenswerthe Erſcheinungen, ſofern ſie nicht willkürlich hervor-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/huber_revival_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/huber_revival_1862/30
Zitationshilfe: Huber, Victor Aimé: Sieben Briefe über englisches Revival und deutsche Erweckung. Frankfurt (Main), 1862, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_revival_1862/30>, abgerufen am 27.04.2024.