Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Huber, Victor Aimé: Sieben Briefe über englisches Revival und deutsche Erweckung. Frankfurt (Main), 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

Strömungen fallen, die sich um einen der Mittelpunkte des Revivals,
zu oder von einem prayer meeting oder einer Theaterpredigt u. s. w.
bilden mögen. Und doch hat gerade in London das Revival alle
seine Kräfte auf's äußerste angestrengt, um diese Welt in der Welt
zu bezwingen oder doch einen irgend merklichen Eindruck auf sie zu
machen. -- Ja, der Eifer, um jeden Preis auch auf London die
Ausgießung des Heiligen Geistes gleichsam zu erzwingen, hat gerade
hier manche bedenkliche Erscheinungen hervorgerufen oder gesteigert,
die anderwärts entweder gar nicht, oder nur in viel geringerem
Grade vorkommen. -- Etwas gleichsam äußerlich Erzwungenes,
Gemachtes, bis auf einen gewißen Punkt und in gewißem Sinn
bei dem aufrichtigsten Eifer doch Unwahres ist oft nicht zu ver-
kennen.

Gehen wir nun von diesen ganz äußerlichen materiellen Punkten
zu dem innern Wesen dieser Sache über, so bietet sich der natür-
liche Uebergangspunkt in einem Moment dar, welcher zwar zunächst
auch nur ein äußerlicher ist, wodurch aber doch schon wesentlich die
sittliche Signatur und Berechtigung bedingt wird -- nämlich die
Natur und Stellung der dabei aktiv oder passiv betheiligten socialen
Elemente. Zu einem richtigen Verständniß des ganzen Revival-
wesens gehört aber vor allen Dingen die Beseitigung der optimi-
stischen Jllusionen über das religiöse und sittliche Volksleben in Eng-
land, die (wenn auch abnehmend), wie überhaupt in der specifisch
christlichen Welt in Deutschland, so namentlich auch ohne Zweifel in
Jhrem Kreise, geehrtester Freund, sehr allgemein verbreitet sind und
dann freilich nur allzu sehr in der bis zur unbegreiflichsten Verblendung
oder Heuchelei gehenden hochmüthigen nationalen Selbstgerechtigkeit
der Engländer ihre scheinbare Bestätigung finden. Die entsprechenden
Zeugniße solcher unserer christlichen Freunde, die auch Sie, geehrtester
Freund, mir ohne Zweifel entgegenhalten werden und die sich dann
auch auf eigene Anschauung berufen können, kann ich vollkommen in
Ehren halten, soweit sie gehen! Aber sie gehen eben nicht weiter
als der Horizont eines oder des andern der, Gottlob, noch immer
sehr zahlreichen Kreise aufrichtig lebendiger, gläubiger und auch
äußerlich kirchlicher Familien, worin solche Englandsfahrer sich in
jeder Hinsicht und vor Allem auch in der reichlichsten Befriedigung
ihres religiösen und kirchlichen Bedürfnißes zu wohl befunden haben,

Strömungen fallen, die ſich um einen der Mittelpunkte des Revivals,
zu oder von einem prayer meeting oder einer Theaterpredigt u. ſ. w.
bilden mögen. Und doch hat gerade in London das Revival alle
ſeine Kräfte auf’s äußerſte angeſtrengt, um dieſe Welt in der Welt
zu bezwingen oder doch einen irgend merklichen Eindruck auf ſie zu
machen. — Ja, der Eifer, um jeden Preis auch auf London die
Ausgießung des Heiligen Geiſtes gleichſam zu erzwingen, hat gerade
hier manche bedenkliche Erſcheinungen hervorgerufen oder geſteigert,
die anderwärts entweder gar nicht, oder nur in viel geringerem
Grade vorkommen. — Etwas gleichſam äußerlich Erzwungenes,
Gemachtes, bis auf einen gewißen Punkt und in gewißem Sinn
bei dem aufrichtigſten Eifer doch Unwahres iſt oft nicht zu ver-
kennen.

Gehen wir nun von dieſen ganz äußerlichen materiellen Punkten
zu dem innern Weſen dieſer Sache über, ſo bietet ſich der natür-
liche Uebergangspunkt in einem Moment dar, welcher zwar zunächſt
auch nur ein äußerlicher iſt, wodurch aber doch ſchon weſentlich die
ſittliche Signatur und Berechtigung bedingt wird — nämlich die
Natur und Stellung der dabei aktiv oder paſſiv betheiligten ſocialen
Elemente. Zu einem richtigen Verſtändniß des ganzen Revival-
weſens gehört aber vor allen Dingen die Beſeitigung der optimi-
ſtiſchen Jlluſionen über das religiöſe und ſittliche Volksleben in Eng-
land, die (wenn auch abnehmend), wie überhaupt in der ſpecifiſch
chriſtlichen Welt in Deutſchland, ſo namentlich auch ohne Zweifel in
Jhrem Kreiſe, geehrteſter Freund, ſehr allgemein verbreitet ſind und
dann freilich nur allzu ſehr in der bis zur unbegreiflichſten Verblendung
oder Heuchelei gehenden hochmüthigen nationalen Selbſtgerechtigkeit
der Engländer ihre ſcheinbare Beſtätigung finden. Die entſprechenden
Zeugniße ſolcher unſerer chriſtlichen Freunde, die auch Sie, geehrteſter
Freund, mir ohne Zweifel entgegenhalten werden und die ſich dann
auch auf eigene Anſchauung berufen können, kann ich vollkommen in
Ehren halten, ſoweit ſie gehen! Aber ſie gehen eben nicht weiter
als der Horizont eines oder des andern der, Gottlob, noch immer
ſehr zahlreichen Kreiſe aufrichtig lebendiger, gläubiger und auch
äußerlich kirchlicher Familien, worin ſolche Englandsfahrer ſich in
jeder Hinſicht und vor Allem auch in der reichlichſten Befriedigung
ihres religiöſen und kirchlichen Bedürfnißes zu wohl befunden haben,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0017" n="11"/>
Strömungen fallen, die &#x017F;ich um einen der Mittelpunkte des Revivals,<lb/>
zu oder von einem <hi rendition="#aq">prayer meeting</hi> oder einer Theaterpredigt u. &#x017F;. w.<lb/>
bilden mögen. Und doch hat gerade in London das Revival alle<lb/>
&#x017F;eine Kräfte auf&#x2019;s äußer&#x017F;te ange&#x017F;trengt, um die&#x017F;e Welt in der Welt<lb/>
zu bezwingen oder doch einen irgend merklichen Eindruck auf &#x017F;ie zu<lb/>
machen. &#x2014; Ja, der Eifer, um jeden Preis auch auf London die<lb/>
Ausgießung des Heiligen Gei&#x017F;tes gleich&#x017F;am zu erzwingen, hat gerade<lb/>
hier manche bedenkliche Er&#x017F;cheinungen hervorgerufen oder ge&#x017F;teigert,<lb/>
die anderwärts entweder gar nicht, oder nur in viel geringerem<lb/>
Grade vorkommen. &#x2014; Etwas gleich&#x017F;am äußerlich Erzwungenes,<lb/>
Gemachtes, bis auf einen gewißen Punkt und in gewißem Sinn<lb/>
bei dem aufrichtig&#x017F;ten Eifer doch Unwahres i&#x017F;t oft nicht zu ver-<lb/>
kennen.</p><lb/>
        <p>Gehen wir nun von die&#x017F;en ganz äußerlichen materiellen Punkten<lb/>
zu dem innern We&#x017F;en die&#x017F;er Sache über, &#x017F;o bietet &#x017F;ich der natür-<lb/>
liche Uebergangspunkt in einem Moment dar, welcher zwar zunäch&#x017F;t<lb/>
auch nur ein äußerlicher i&#x017F;t, wodurch aber doch &#x017F;chon we&#x017F;entlich die<lb/>
&#x017F;ittliche Signatur und Berechtigung bedingt wird &#x2014; nämlich die<lb/>
Natur und Stellung der dabei aktiv oder pa&#x017F;&#x017F;iv betheiligten &#x017F;ocialen<lb/>
Elemente. Zu einem richtigen Ver&#x017F;tändniß des ganzen Revival-<lb/>
we&#x017F;ens gehört aber vor allen Dingen die Be&#x017F;eitigung der optimi-<lb/>
&#x017F;ti&#x017F;chen Jllu&#x017F;ionen über das religiö&#x017F;e und &#x017F;ittliche Volksleben in Eng-<lb/>
land, die (wenn auch abnehmend), wie überhaupt in der &#x017F;pecifi&#x017F;ch<lb/>
chri&#x017F;tlichen Welt in Deut&#x017F;chland, &#x017F;o namentlich auch ohne Zweifel in<lb/>
Jhrem Krei&#x017F;e, geehrte&#x017F;ter Freund, &#x017F;ehr allgemein verbreitet &#x017F;ind <hi rendition="#g">und</hi><lb/>
dann freilich nur allzu &#x017F;ehr in der bis zur unbegreiflich&#x017F;ten Verblendung<lb/>
oder Heuchelei gehenden hochmüthigen nationalen Selb&#x017F;tgerechtigkeit<lb/>
der Engländer ihre &#x017F;cheinbare Be&#x017F;tätigung finden. Die ent&#x017F;prechenden<lb/>
Zeugniße &#x017F;olcher un&#x017F;erer chri&#x017F;tlichen Freunde, die auch Sie, geehrte&#x017F;ter<lb/>
Freund, mir ohne Zweifel entgegenhalten werden und die &#x017F;ich dann<lb/>
auch auf eigene An&#x017F;chauung berufen können, kann ich vollkommen in<lb/>
Ehren halten, <hi rendition="#g">&#x017F;oweit &#x017F;ie gehen!</hi> Aber &#x017F;ie <hi rendition="#g">gehen</hi> eben nicht weiter<lb/>
als der Horizont eines oder des andern der, Gottlob, noch immer<lb/>
&#x017F;ehr zahlreichen Krei&#x017F;e aufrichtig lebendiger, gläubiger und auch<lb/>
äußerlich kirchlicher Familien, worin &#x017F;olche Englandsfahrer &#x017F;ich in<lb/>
jeder Hin&#x017F;icht und vor Allem auch in der reichlich&#x017F;ten Befriedigung<lb/>
ihres religiö&#x017F;en und kirchlichen Bedürfnißes zu wohl befunden haben,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[11/0017] Strömungen fallen, die ſich um einen der Mittelpunkte des Revivals, zu oder von einem prayer meeting oder einer Theaterpredigt u. ſ. w. bilden mögen. Und doch hat gerade in London das Revival alle ſeine Kräfte auf’s äußerſte angeſtrengt, um dieſe Welt in der Welt zu bezwingen oder doch einen irgend merklichen Eindruck auf ſie zu machen. — Ja, der Eifer, um jeden Preis auch auf London die Ausgießung des Heiligen Geiſtes gleichſam zu erzwingen, hat gerade hier manche bedenkliche Erſcheinungen hervorgerufen oder geſteigert, die anderwärts entweder gar nicht, oder nur in viel geringerem Grade vorkommen. — Etwas gleichſam äußerlich Erzwungenes, Gemachtes, bis auf einen gewißen Punkt und in gewißem Sinn bei dem aufrichtigſten Eifer doch Unwahres iſt oft nicht zu ver- kennen. Gehen wir nun von dieſen ganz äußerlichen materiellen Punkten zu dem innern Weſen dieſer Sache über, ſo bietet ſich der natür- liche Uebergangspunkt in einem Moment dar, welcher zwar zunächſt auch nur ein äußerlicher iſt, wodurch aber doch ſchon weſentlich die ſittliche Signatur und Berechtigung bedingt wird — nämlich die Natur und Stellung der dabei aktiv oder paſſiv betheiligten ſocialen Elemente. Zu einem richtigen Verſtändniß des ganzen Revival- weſens gehört aber vor allen Dingen die Beſeitigung der optimi- ſtiſchen Jlluſionen über das religiöſe und ſittliche Volksleben in Eng- land, die (wenn auch abnehmend), wie überhaupt in der ſpecifiſch chriſtlichen Welt in Deutſchland, ſo namentlich auch ohne Zweifel in Jhrem Kreiſe, geehrteſter Freund, ſehr allgemein verbreitet ſind und dann freilich nur allzu ſehr in der bis zur unbegreiflichſten Verblendung oder Heuchelei gehenden hochmüthigen nationalen Selbſtgerechtigkeit der Engländer ihre ſcheinbare Beſtätigung finden. Die entſprechenden Zeugniße ſolcher unſerer chriſtlichen Freunde, die auch Sie, geehrteſter Freund, mir ohne Zweifel entgegenhalten werden und die ſich dann auch auf eigene Anſchauung berufen können, kann ich vollkommen in Ehren halten, ſoweit ſie gehen! Aber ſie gehen eben nicht weiter als der Horizont eines oder des andern der, Gottlob, noch immer ſehr zahlreichen Kreiſe aufrichtig lebendiger, gläubiger und auch äußerlich kirchlicher Familien, worin ſolche Englandsfahrer ſich in jeder Hinſicht und vor Allem auch in der reichlichſten Befriedigung ihres religiöſen und kirchlichen Bedürfnißes zu wohl befunden haben,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/huber_revival_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/huber_revival_1862/17
Zitationshilfe: Huber, Victor Aimé: Sieben Briefe über englisches Revival und deutsche Erweckung. Frankfurt (Main), 1862, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_revival_1862/17>, abgerufen am 26.04.2024.