tags den Kirchhof besuchen können, wo ihre El- tern schlafen, und am Neujahrstag Enkel und Kinder zu einem Familienmale laden. Mir ist das so heilig, wie die Unschuld eines Kindes. --
Nachdem diese gute Großmama bei Neuwied ans Land gerudert war, blieb uns nur noch ein Frauenzimmer übrig, die in jedem niedrigkomi- schen Roman eine Rolle hätte spielen können. Ei- ne Berlinerin wie sie sagte, und ihre Sprache nicht widerlegte; sie war mit ihrem Manue in ir- gend einem Dienstverhältniß mit einem französi- schen General, von dem sie immer sprach als müßte er mit so bekannt wie mein leiblicher Vet- ter seyn, ihn aber nur "den General" nannte, als habe Frankreich und die Welt keinen andern, was mir denn vieles Denken ersparte, weil ich mich bei ihrem widrigen, anmßenden, und den- noch überall nach Armseligkeit schmeckenden Ge- schwätz, gläubig an den abstrakteu Begriff eines Generals hielt. Sie wollte zu ihren Schwieger- eltern nach Crefeld, und ängstigte sich sehr über die Mittel eine Anzahl Muselin und Basinreste, durch die Douane bei Cölln einzuschwärzen. Ich rieth ihr eine Art Unterrock daraus zusammen zu reihen, welches keinen Verdacht erregen werde,
tags den Kirchhof beſuchen koͤnnen, wo ihre El- tern ſchlafen, und am Neujahrstag Enkel und Kinder zu einem Familienmale laden. Mir iſt das ſo heilig, wie die Unſchuld eines Kindes. —
Nachdem dieſe gute Großmama bei Neuwied ans Land gerudert war, blieb uns nur noch ein Frauenzimmer uͤbrig, die in jedem niedrigkomi- ſchen Roman eine Rolle haͤtte ſpielen koͤnnen. Ei- ne Berlinerin wie ſie ſagte, und ihre Sprache nicht widerlegte; ſie war mit ihrem Manue in ir- gend einem Dienſtverhaͤltniß mit einem franzoͤſi- ſchen General, von dem ſie immer ſprach als muͤßte er mit ſo bekannt wie mein leiblicher Vet- ter ſeyn, ihn aber nur „den General“ nannte, als habe Frankreich und die Welt keinen andern, was mir denn vieles Denken erſparte, weil ich mich bei ihrem widrigen, anmßenden, und den- noch uͤberall nach Armſeligkeit ſchmeckenden Ge- ſchwaͤtz, glaͤubig an den abſtrakteu Begriff eines Generals hielt. Sie wollte zu ihren Schwieger- eltern nach Crefeld, und aͤngſtigte ſich ſehr uͤber die Mittel eine Anzahl Muſelin und Baſinreſte, durch die Douane bei Coͤlln einzuſchwaͤrzen. Ich rieth ihr eine Art Unterrock daraus zuſammen zu reihen, welches keinen Verdacht erregen werde,
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tags den Kirchhof beſuchen koͤnnen, wo ihre El-
tern ſchlafen, und am Neujahrstag Enkel und
Kinder zu einem Familienmale laden. Mir iſt
das ſo heilig, wie die Unſchuld eines Kindes. —
Nachdem dieſe gute Großmama bei Neuwied
ans Land gerudert war, blieb uns nur noch ein
Frauenzimmer uͤbrig, die in jedem niedrigkomi-
ſchen Roman eine Rolle haͤtte ſpielen koͤnnen. Ei-
ne Berlinerin wie ſie ſagte, und ihre Sprache
nicht widerlegte; ſie war mit ihrem Manue in ir-
gend einem Dienſtverhaͤltniß mit einem franzoͤſi-
ſchen General, von dem ſie immer ſprach als
muͤßte er mit ſo bekannt wie mein leiblicher Vet-
ter ſeyn, ihn aber nur „den General“ nannte,
als habe Frankreich und die Welt keinen andern,
was mir denn vieles Denken erſparte, weil ich
mich bei ihrem widrigen, anmßenden, und den-
noch uͤberall nach Armſeligkeit ſchmeckenden Ge-
ſchwaͤtz, glaͤubig an den abſtrakteu Begriff eines
Generals hielt. Sie wollte zu ihren Schwieger-
eltern nach Crefeld, und aͤngſtigte ſich ſehr uͤber
die Mittel eine Anzahl Muſelin und Baſinreſte,
durch die Douane bei Coͤlln einzuſchwaͤrzen. Ich
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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/72>, abgerufen am 24.11.2024.
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