"liche Gestalten sehen, die sich weder an unsre "Vergangenheit noch an unsre Zukunft knüpfen, "das ist Einsamkeit und Absonderung ohne "Ruhe, ohne Selbstgenuß. Denn dieses Stre- "ben, diese Eile, da anzukommen, wo uns "niemand erwartet, diese Unruhe, wovon "Neugier der einzige Grund ist, kann uns we- "nig Achtung für uns selbst einflößen, bis zu "dem Augenblick, wo die neuen Gegenstände "schon ein wenig alt werden, und um uns her "einige sanfte Bande des Gefühls und der Ge- "wohnheit stiften."
Wie viel ließ sich noch hinzusetzen, besonders von der Wirkung der gänzlichen Vereinzelung, die ein Weib auf Reisen in ganz fremden Gegenden empfindet. Wir haben gleichsam gar keine Bür- gen unsrer eignen Persönlichkeit, wenn wir von unsern gewohnten Umgebungen getrennt, sei es auch noch so sicher geschützt, in der Welt stehen. Zurückhaltend, schweigend, unser Innres vor dem fremden Auge verschließend, wie es Sitte und weibliches Gefühl uns auflegt, verlieren wir ge- gen die Außenwelt alle Individualität, wir er- scheinen gleichsam im abstrakten Begriffe als Weib. Daher sich auch Männer nicht karakteristischer zei-
„liche Geſtalten ſehen, die ſich weder an unſre „Vergangenheit noch an unſre Zukunft knuͤpfen, „das iſt Einſamkeit und Abſonderung ohne „Ruhe, ohne Selbſtgenuß. Denn dieſes Stre- „ben, dieſe Eile, da anzukommen, wo uns „niemand erwartet, dieſe Unruhe, wovon „Neugier der einzige Grund iſt, kann uns we- „nig Achtung fuͤr uns ſelbſt einfloͤßen, bis zu „dem Augenblick, wo die neuen Gegenſtaͤnde „ſchon ein wenig alt werden, und um uns her „einige ſanfte Bande des Gefuͤhls und der Ge- „wohnheit ſtiften.“
Wie viel ließ ſich noch hinzuſetzen, beſonders von der Wirkung der gaͤnzlichen Vereinzelung, die ein Weib auf Reiſen in ganz fremden Gegenden empfindet. Wir haben gleichſam gar keine Buͤr- gen unſrer eignen Perſoͤnlichkeit, wenn wir von unſern gewohnten Umgebungen getrennt, ſei es auch noch ſo ſicher geſchuͤtzt, in der Welt ſtehen. Zuruͤckhaltend, ſchweigend, unſer Innres vor dem fremden Auge verſchließend, wie es Sitte und weibliches Gefuͤhl uns auflegt, verlieren wir ge- gen die Außenwelt alle Individualitaͤt, wir er- ſcheinen gleichſam im abſtrakten Begriffe als Weib. Daher ſich auch Maͤnner nicht karakteriſtiſcher zei-
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„liche Geſtalten ſehen, die ſich weder an unſre
„Vergangenheit noch an unſre Zukunft knuͤpfen,
„das iſt Einſamkeit und Abſonderung ohne
„Ruhe, ohne Selbſtgenuß. Denn dieſes Stre-
„ben, dieſe Eile, da anzukommen, wo uns
„niemand erwartet, dieſe Unruhe, wovon
„Neugier der einzige Grund iſt, kann uns we-
„nig Achtung fuͤr uns ſelbſt einfloͤßen, bis zu
„dem Augenblick, wo die neuen Gegenſtaͤnde
„ſchon ein wenig alt werden, und um uns her
„einige ſanfte Bande des Gefuͤhls und der Ge-
„wohnheit ſtiften.“
Wie viel ließ ſich noch hinzuſetzen, beſonders
von der Wirkung der gaͤnzlichen Vereinzelung, die
ein Weib auf Reiſen in ganz fremden Gegenden
empfindet. Wir haben gleichſam gar keine Buͤr-
gen unſrer eignen Perſoͤnlichkeit, wenn wir von
unſern gewohnten Umgebungen getrennt, ſei es
auch noch ſo ſicher geſchuͤtzt, in der Welt ſtehen.
Zuruͤckhaltend, ſchweigend, unſer Innres vor dem
fremden Auge verſchließend, wie es Sitte und
weibliches Gefuͤhl uns auflegt, verlieren wir ge-
gen die Außenwelt alle Individualitaͤt, wir er-
ſcheinen gleichſam im abſtrakten Begriffe als Weib.
Daher ſich auch Maͤnner nicht karakteriſtiſcher zei-
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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/46>, abgerufen am 03.12.2024.
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