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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

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den gebrechlichen Fähren noch große Steine den
Ort in den Flüssen bezeichnen, der die Ufer nach-
barlich durch Brücken verband, nennt das bange
Andenken unter dem Volke den Namen der schwe-
dischen Heere. Oft hat mir die Geschichte viel
mehr Erstaunen erregt um dessentwillen, was die
Menschen vergessen, als was sie leiden. Ist denn
die Seltenheit von Nationalhaß, Nationalrache,
ein Beweis für die Güte der menschlichen Natur,
oder gegen das Daseyn des wirklichen Nationalgei-
stes, der mir mit dem Gefühl fürs Vaterland na-
he verschwistert zu seyn scheint?

Wenn mich der nahe Anblick der Denkmale al-
ter Zeit lauf meinem Wege beschäftigte, genoß ich
nicht weniger die Aussicht auf die mich umgeben-
den Gegenstände. Welche Mannigfaltigkeit, wel-
cher Reichthum in der Ansicht der Ufer, von der
ersten Erscheinung der sieben Brüder, die bald,
nachdem man Cölln im Rücken hat, am rechten
Rheinufer hervortreten, bis zu dem letzten hohen
Uferfelsen, wo Rüdesheim sich an das Rheingau
anschließt. Alle die alten Burgen mit ihren bar-
barischen Namen, die auf noch barbarischere Tha-
ten hindeuten, sieht man im Fortschreiten auf dem
Weg von den verschiedensten Seiten, sieht von den

den gebrechlichen Faͤhren noch große Steine den
Ort in den Fluͤſſen bezeichnen, der die Ufer nach-
barlich durch Bruͤcken verband, nennt das bange
Andenken unter dem Volke den Namen der ſchwe-
diſchen Heere. Oft hat mir die Geſchichte viel
mehr Erſtaunen erregt um deſſentwillen, was die
Menſchen vergeſſen, als was ſie leiden. Iſt denn
die Seltenheit von Nationalhaß, Nationalrache,
ein Beweis fuͤr die Guͤte der menſchlichen Natur,
oder gegen das Daſeyn des wirklichen Nationalgei-
ſtes, der mir mit dem Gefuͤhl fuͤrs Vaterland na-
he verſchwiſtert zu ſeyn ſcheint?

Wenn mich der nahe Anblick der Denkmale al-
ter Zeit lauf meinem Wege beſchaͤftigte, genoß ich
nicht weniger die Ausſicht auf die mich umgeben-
den Gegenſtaͤnde. Welche Mannigfaltigkeit, wel-
cher Reichthum in der Anſicht der Ufer, von der
erſten Erſcheinung der ſieben Bruͤder, die bald,
nachdem man Coͤlln im Ruͤcken hat, am rechten
Rheinufer hervortreten, bis zu dem letzten hohen
Uferfelſen, wo Ruͤdesheim ſich an das Rheingau
anſchließt. Alle die alten Burgen mit ihren bar-
bariſchen Namen, die auf noch barbariſchere Tha-
ten hindeuten, ſieht man im Fortſchreiten auf dem
Weg von den verſchiedenſten Seiten, ſieht von den

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[391/0405] den gebrechlichen Faͤhren noch große Steine den Ort in den Fluͤſſen bezeichnen, der die Ufer nach- barlich durch Bruͤcken verband, nennt das bange Andenken unter dem Volke den Namen der ſchwe- diſchen Heere. Oft hat mir die Geſchichte viel mehr Erſtaunen erregt um deſſentwillen, was die Menſchen vergeſſen, als was ſie leiden. Iſt denn die Seltenheit von Nationalhaß, Nationalrache, ein Beweis fuͤr die Guͤte der menſchlichen Natur, oder gegen das Daſeyn des wirklichen Nationalgei- ſtes, der mir mit dem Gefuͤhl fuͤrs Vaterland na- he verſchwiſtert zu ſeyn ſcheint? Wenn mich der nahe Anblick der Denkmale al- ter Zeit lauf meinem Wege beſchaͤftigte, genoß ich nicht weniger die Ausſicht auf die mich umgeben- den Gegenſtaͤnde. Welche Mannigfaltigkeit, wel- cher Reichthum in der Anſicht der Ufer, von der erſten Erſcheinung der ſieben Bruͤder, die bald, nachdem man Coͤlln im Ruͤcken hat, am rechten Rheinufer hervortreten, bis zu dem letzten hohen Uferfelſen, wo Ruͤdesheim ſich an das Rheingau anſchließt. Alle die alten Burgen mit ihren bar- bariſchen Namen, die auf noch barbariſchere Tha- ten hindeuten, ſieht man im Fortſchreiten auf dem Weg von den verſchiedenſten Seiten, ſieht von den

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Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/405>, abgerufen am 28.11.2024.