stimmung hatte. Von Treppen findet sich nir- gends eine Spur, und von einem Eingange am Fuße des Thurms scheint niemand etwas zu wis- sen. Wie wunderlich, daß wir den Gebrauch ei- nes so mühseeligen, für die Ewigkeit festen Ge- bäudes, aus doch nicht so gar fernen Zeiten, gar nicht bestimmen können. Mich weht aus diesen Gewölben immer Kerkerluft an, und die leisen Lüfte, die durch die Trümmern ziehen, rufen mir zu: Gedenke der Seufzer, die hier ver- hallten!
Die schöne Fronte des neuen Schlosses erin- nerte mich an einen Auftritt, der kurz nach der Bartholomäusnacht in Paris hier vorfiel. Der Herzog von Anjou besuchte auf seinem Wege nach Polen, zu dessen König er erwählt war, den Churfürsten von der Pfalz hier auf seinem Schlos- se. Bei seinem Eintritt in die Höfe empfing ihn kein Mensch, er ging bestürzt bis an den Eingang des Schlosses, wo zwei deutsche Edle ihn erwar- teten, und schweigend die Treppe hinauf führ- ten. Im Vorsaal erblickte er zu beiden Seiten einen Haufen französischer Hugenotten, die, der Mordnacht entflohen, bei dem Churfürsten Schutz gefunden hatten, und jetzt ihn mit rache-
ſtimmung hatte. Von Treppen findet ſich nir- gends eine Spur, und von einem Eingange am Fuße des Thurms ſcheint niemand etwas zu wiſ- ſen. Wie wunderlich, daß wir den Gebrauch ei- nes ſo muͤhſeeligen, fuͤr die Ewigkeit feſten Ge- baͤudes, aus doch nicht ſo gar fernen Zeiten, gar nicht beſtimmen koͤnnen. Mich weht aus dieſen Gewoͤlben immer Kerkerluft an, und die leiſen Luͤfte, die durch die Truͤmmern ziehen, rufen mir zu: Gedenke der Seufzer, die hier ver- hallten!
Die ſchoͤne Fronte des neuen Schloſſes erin- nerte mich an einen Auftritt, der kurz nach der Bartholomaͤusnacht in Paris hier vorfiel. Der Herzog von Anjou beſuchte auf ſeinem Wege nach Polen, zu deſſen Koͤnig er erwaͤhlt war, den Churfuͤrſten von der Pfalz hier auf ſeinem Schloſ- ſe. Bei ſeinem Eintritt in die Hoͤfe empfing ihn kein Menſch, er ging beſtuͤrzt bis an den Eingang des Schloſſes, wo zwei deutſche Edle ihn erwar- teten, und ſchweigend die Treppe hinauf fuͤhr- ten. Im Vorſaal erblickte er zu beiden Seiten einen Haufen franzoͤſiſcher Hugenotten, die, der Mordnacht entflohen, bei dem Churfuͤrſten Schutz gefunden hatten, und jetzt ihn mit rache-
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ſtimmung hatte. Von Treppen findet ſich nir-
gends eine Spur, und von einem Eingange am
Fuße des Thurms ſcheint niemand etwas zu wiſ-
ſen. Wie wunderlich, daß wir den Gebrauch ei-
nes ſo muͤhſeeligen, fuͤr die Ewigkeit feſten Ge-
baͤudes, aus doch nicht ſo gar fernen Zeiten, gar
nicht beſtimmen koͤnnen. Mich weht aus dieſen
Gewoͤlben immer Kerkerluft an, und die leiſen
Luͤfte, die durch die Truͤmmern ziehen, rufen
mir zu: Gedenke der Seufzer, die hier ver-
hallten!
Die ſchoͤne Fronte des neuen Schloſſes erin-
nerte mich an einen Auftritt, der kurz nach der
Bartholomaͤusnacht in Paris hier vorfiel. Der
Herzog von Anjou beſuchte auf ſeinem Wege nach
Polen, zu deſſen Koͤnig er erwaͤhlt war, den
Churfuͤrſten von der Pfalz hier auf ſeinem Schloſ-
ſe. Bei ſeinem Eintritt in die Hoͤfe empfing ihn
kein Menſch, er ging beſtuͤrzt bis an den Eingang
des Schloſſes, wo zwei deutſche Edle ihn erwar-
teten, und ſchweigend die Treppe hinauf fuͤhr-
ten. Im Vorſaal erblickte er zu beiden Seiten
einen Haufen franzoͤſiſcher Hugenotten, die, der
Mordnacht entflohen, bei dem Churfuͤrſten
Schutz gefunden hatten, und jetzt ihn mit rache-
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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/26>, abgerufen am 24.11.2024.
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