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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

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Familien, genießen einer Achtung, die sie auffor-
dern sollte, ihren geehrten Beruf in seinem gan-
zen Umfang zu erfüllen, das heißt, von sich aus
ein schönes mildes Licht über den Glauben, und
das Leben und das Denken ihrer Heerden zu ver-
breiten. Mit wahrer Theilnahme hörte ich, wel-
chen Werth man hier auf eine Predigt legt, wie
viel Einfluß man vom Besuche des Gottesdienstes
erwartet. Und nicht der niedere Stand, der bessere,
der reichere schämt sich der äußern Frömmigkeit nicht.
Der Hausvater, oder eine ältere Person der Ge-
sellschaft, betete vor der Mahlzeit laut, und ich
hörte zuweilen diese Gebete in der braven vertrau-
lichen Sprache mit Rührung aussprechen. War-
um nehmen wir, denen doch heilige Gefühle im
Herzen glühen, diese Sitte nicht alle wieder an?
Was ist uns denn die Mahlzeit? ist sie ein bloßes
Abfuttern, ein bloßes Stillen des gröbsten Be-
dürfnisses, so krieche ein jeder mit seiner Schüssel
in einen Winkel. -- Ist denn nicht die Mahlzeit
für uns ein Augenblick von Familienverein, ein
Augenblick, wo wir gleichsam von einem kleinen
Hügel herab den Tag übersehen, schon viel gethan,
schon viel getragen haben müssen; wo wir genie-
ßen wollen, wo die Eltern sich besinnen, mit ih-

Familien, genießen einer Achtung, die ſie auffor-
dern ſollte, ihren geehrten Beruf in ſeinem gan-
zen Umfang zu erfuͤllen, das heißt, von ſich aus
ein ſchoͤnes mildes Licht uͤber den Glauben, und
das Leben und das Denken ihrer Heerden zu ver-
breiten. Mit wahrer Theilnahme hoͤrte ich, wel-
chen Werth man hier auf eine Predigt legt, wie
viel Einfluß man vom Beſuche des Gottesdienſtes
erwartet. Und nicht der niedere Stand, der beſſere,
der reichere ſchaͤmt ſich der aͤußern Froͤmmigkeit nicht.
Der Hausvater, oder eine aͤltere Perſon der Ge-
ſellſchaft, betete vor der Mahlzeit laut, und ich
hoͤrte zuweilen dieſe Gebete in der braven vertrau-
lichen Sprache mit Ruͤhrung ausſprechen. War-
um nehmen wir, denen doch heilige Gefuͤhle im
Herzen gluͤhen, dieſe Sitte nicht alle wieder an?
Was iſt uns denn die Mahlzeit? iſt ſie ein bloßes
Abfuttern, ein bloßes Stillen des groͤbſten Be-
duͤrfniſſes, ſo krieche ein jeder mit ſeiner Schuͤſſel
in einen Winkel. — Iſt denn nicht die Mahlzeit
fuͤr uns ein Augenblick von Familienverein, ein
Augenblick, wo wir gleichſam von einem kleinen
Huͤgel herab den Tag uͤberſehen, ſchon viel gethan,
ſchon viel getragen haben muͤſſen; wo wir genie-
ßen wollen, wo die Eltern ſich beſinnen, mit ih-

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[186/0200] Familien, genießen einer Achtung, die ſie auffor- dern ſollte, ihren geehrten Beruf in ſeinem gan- zen Umfang zu erfuͤllen, das heißt, von ſich aus ein ſchoͤnes mildes Licht uͤber den Glauben, und das Leben und das Denken ihrer Heerden zu ver- breiten. Mit wahrer Theilnahme hoͤrte ich, wel- chen Werth man hier auf eine Predigt legt, wie viel Einfluß man vom Beſuche des Gottesdienſtes erwartet. Und nicht der niedere Stand, der beſſere, der reichere ſchaͤmt ſich der aͤußern Froͤmmigkeit nicht. Der Hausvater, oder eine aͤltere Perſon der Ge- ſellſchaft, betete vor der Mahlzeit laut, und ich hoͤrte zuweilen dieſe Gebete in der braven vertrau- lichen Sprache mit Ruͤhrung ausſprechen. War- um nehmen wir, denen doch heilige Gefuͤhle im Herzen gluͤhen, dieſe Sitte nicht alle wieder an? Was iſt uns denn die Mahlzeit? iſt ſie ein bloßes Abfuttern, ein bloßes Stillen des groͤbſten Be- duͤrfniſſes, ſo krieche ein jeder mit ſeiner Schuͤſſel in einen Winkel. — Iſt denn nicht die Mahlzeit fuͤr uns ein Augenblick von Familienverein, ein Augenblick, wo wir gleichſam von einem kleinen Huͤgel herab den Tag uͤberſehen, ſchon viel gethan, ſchon viel getragen haben muͤſſen; wo wir genie- ßen wollen, wo die Eltern ſich beſinnen, mit ih-

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Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/200>, abgerufen am 12.05.2024.