das Meer gar keine ausgedehnte Aussicht -- ach sie ist wie die Aussicht ins Leben, wenn nichts Ir- disches es begrenzt -- der Himmel vermählt sich sogleich mit der Erde! Man führte mich in Am- sterdam auf einen hohen Punkt, wo ich gegen den Pampus hin die Zuidersee sich öffnen sah. Dort war nun keine Grenze, aber auch keine Ferne. Der blaue strahlende Himmel senkte sich herab, und wo er den grauen, schimmernden Wasserspiegel berührte, lag ein leichter Nebel. Ob es auf dem Ocean anders ist? Vielleicht ists anders von einem hohen Felsenufer herab, vielleicht von dem Gipfel des Vesuvs. Aber je niederer du stehst, je be- schränkter ist diese Unendlichkeit. Auf dem Y rich- tete ich meine Blicke so, daß ich der Wasserfläche so nahe wie möglich war, und suchte jene Richtung nach dem Zuidersee wieder auf. Die rothen Dä- cher der Nordholländischen Dörfer blickten wie Jo- hanneswürmerchen über den grünen Faden des niedern Ufers her, und jetzt hörte der grüne Faden auf, und der leichte Nebel vereinte Himmel und Erde. Aber der Anblick des großen ungeheuern Gewässers so nahe an seiner Oberfläche, der ist er- greifend. Es scheint sich zu heben, zu wölben, zu steigen, du siehst nichts wie das furchtbare, lü-
das Meer gar keine ausgedehnte Ausſicht — ach ſie iſt wie die Ausſicht ins Leben, wenn nichts Ir- diſches es begrenzt — der Himmel vermaͤhlt ſich ſogleich mit der Erde! Man fuͤhrte mich in Am- ſterdam auf einen hohen Punkt, wo ich gegen den Pampus hin die Zuiderſee ſich oͤffnen ſah. Dort war nun keine Grenze, aber auch keine Ferne. Der blaue ſtrahlende Himmel ſenkte ſich herab, und wo er den grauen, ſchimmernden Waſſerſpiegel beruͤhrte, lag ein leichter Nebel. Ob es auf dem Ocean anders iſt? Vielleicht iſts anders von einem hohen Felſenufer herab, vielleicht von dem Gipfel des Veſuvs. Aber je niederer du ſtehſt, je be- ſchraͤnkter iſt dieſe Unendlichkeit. Auf dem Y rich- tete ich meine Blicke ſo, daß ich der Waſſerflaͤche ſo nahe wie moͤglich war, und ſuchte jene Richtung nach dem Zuiderſee wieder auf. Die rothen Daͤ- cher der Nordhollaͤndiſchen Doͤrfer blickten wie Jo- hanneswuͤrmerchen uͤber den gruͤnen Faden des niedern Ufers her, und jetzt hoͤrte der gruͤne Faden auf, und der leichte Nebel vereinte Himmel und Erde. Aber der Anblick des großen ungeheuern Gewaͤſſers ſo nahe an ſeiner Oberflaͤche, der iſt er- greifend. Es ſcheint ſich zu heben, zu woͤlben, zu ſteigen, du ſiehſt nichts wie das furchtbare, luͤ-
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das Meer gar keine ausgedehnte Ausſicht — ach
ſie iſt wie die Ausſicht ins Leben, wenn nichts Ir-
diſches es begrenzt — der Himmel vermaͤhlt ſich
ſogleich mit der Erde! Man fuͤhrte mich in Am-
ſterdam auf einen hohen Punkt, wo ich gegen den
Pampus hin die Zuiderſee ſich oͤffnen ſah. Dort
war nun keine Grenze, aber auch keine Ferne. Der
blaue ſtrahlende Himmel ſenkte ſich herab, und
wo er den grauen, ſchimmernden Waſſerſpiegel
beruͤhrte, lag ein leichter Nebel. Ob es auf dem
Ocean anders iſt? Vielleicht iſts anders von einem
hohen Felſenufer herab, vielleicht von dem Gipfel
des Veſuvs. Aber je niederer du ſtehſt, je be-
ſchraͤnkter iſt dieſe Unendlichkeit. Auf dem Y rich-
tete ich meine Blicke ſo, daß ich der Waſſerflaͤche
ſo nahe wie moͤglich war, und ſuchte jene Richtung
nach dem Zuiderſee wieder auf. Die rothen Daͤ-
cher der Nordhollaͤndiſchen Doͤrfer blickten wie Jo-
hanneswuͤrmerchen uͤber den gruͤnen Faden des
niedern Ufers her, und jetzt hoͤrte der gruͤne Faden
auf, und der leichte Nebel vereinte Himmel und
Erde. Aber der Anblick des großen ungeheuern
Gewaͤſſers ſo nahe an ſeiner Oberflaͤche, der iſt er-
greifend. Es ſcheint ſich zu heben, zu woͤlben,
zu ſteigen, du ſiehſt nichts wie das furchtbare, luͤ-
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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/171>, abgerufen am 27.11.2024.
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