Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

und immer bei ihren Brüdern wohnen, deren Art zu quälen sie doch wenigstens kenne, sagt sie, und von denen sie keine Ueberraschung mehr zu befürchten habe.

Donna Ersilia wollte die Rückkunft des abwesenden Mädchens abwarten, und die Bäuerin ließ es sich nicht nehmen, den seltenen Besuch zu bewirthen. Armuth schadet nicht der Artigkeit, so entschuldigte sie sich mit dem toscanischen Sprichwort, lud die Gäste ein, ins Haus zu treten, und holte schönes Weißbrot, Trauben, Feigen, einen Masco Landwein, zündete auch auf dem Herde ein Reisigfeuer an, um Kastanien zu rösten. Die Signora griff aus Höflichkeit zu, der Signor Germanico aber ließ sich's mit deutscher Gründlichkeit schmecken in dem reinlichen Gemach, welches, Küche und Wohnstube zugleich, hoch, hell, mit dem rothen, geplätteten Fußboden, dem breiten Webstuhl in der Mitte und dem gewaltigen, vollbauchigen, schöngehenkelten Oelkrug in der Ecke von homerischer Luft erfüllt zu sein schien. Und nun kam die anmuthige Nymphe Gigia, grüßte freundlich und blieb so wenig als ihre Mutter der fragelustigen Dame eine Antwort schuldig. Bald hatte diese das Gespräch so gewendet, daß sie, ohne befremdliche Neugierde zu zeigen, das Mädchen ausforschen konnte: Ihr müßt auch den Maso kennen, den Maso Nencioni von Valtella.

Ja, sie nennen ihn den Säugling, erwiderte Gigia leichthin, und ein spöttisches Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel[.]

und immer bei ihren Brüdern wohnen, deren Art zu quälen sie doch wenigstens kenne, sagt sie, und von denen sie keine Ueberraschung mehr zu befürchten habe.

Donna Ersilia wollte die Rückkunft des abwesenden Mädchens abwarten, und die Bäuerin ließ es sich nicht nehmen, den seltenen Besuch zu bewirthen. Armuth schadet nicht der Artigkeit, so entschuldigte sie sich mit dem toscanischen Sprichwort, lud die Gäste ein, ins Haus zu treten, und holte schönes Weißbrot, Trauben, Feigen, einen Masco Landwein, zündete auch auf dem Herde ein Reisigfeuer an, um Kastanien zu rösten. Die Signora griff aus Höflichkeit zu, der Signor Germanico aber ließ sich's mit deutscher Gründlichkeit schmecken in dem reinlichen Gemach, welches, Küche und Wohnstube zugleich, hoch, hell, mit dem rothen, geplätteten Fußboden, dem breiten Webstuhl in der Mitte und dem gewaltigen, vollbauchigen, schöngehenkelten Oelkrug in der Ecke von homerischer Luft erfüllt zu sein schien. Und nun kam die anmuthige Nymphe Gigia, grüßte freundlich und blieb so wenig als ihre Mutter der fragelustigen Dame eine Antwort schuldig. Bald hatte diese das Gespräch so gewendet, daß sie, ohne befremdliche Neugierde zu zeigen, das Mädchen ausforschen konnte: Ihr müßt auch den Maso kennen, den Maso Nencioni von Valtella.

Ja, sie nennen ihn den Säugling, erwiderte Gigia leichthin, und ein spöttisches Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel[.]

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0027"/>
und immer bei ihren Brüdern wohnen, deren Art zu quälen sie doch wenigstens      kenne, sagt sie, und von denen sie keine Ueberraschung mehr zu befürchten habe.</p><lb/>
        <p>Donna Ersilia wollte die Rückkunft des abwesenden Mädchens abwarten, und die Bäuerin ließ es      sich nicht nehmen, den seltenen Besuch zu bewirthen. Armuth schadet nicht der Artigkeit, so      entschuldigte sie sich mit dem toscanischen Sprichwort, lud die Gäste ein, ins Haus zu treten,      und holte schönes Weißbrot, Trauben, Feigen, einen Masco Landwein, zündete auch auf dem Herde      ein Reisigfeuer an, um Kastanien zu rösten. Die Signora griff aus Höflichkeit zu, der Signor      Germanico aber ließ sich's mit deutscher Gründlichkeit schmecken in dem reinlichen Gemach,      welches, Küche und Wohnstube zugleich, hoch, hell, mit dem rothen, geplätteten Fußboden, dem      breiten Webstuhl in der Mitte und dem gewaltigen, vollbauchigen, schöngehenkelten Oelkrug in der      Ecke von homerischer Luft erfüllt zu sein schien. Und nun kam die anmuthige Nymphe Gigia,      grüßte freundlich und blieb so wenig als ihre Mutter der fragelustigen Dame eine Antwort      schuldig. Bald hatte diese das Gespräch so gewendet, daß sie, ohne befremdliche Neugierde zu      zeigen, das Mädchen ausforschen konnte: Ihr müßt auch den Maso kennen, den Maso Nencioni von      Valtella.</p><lb/>
        <p>Ja, sie nennen ihn den Säugling, erwiderte Gigia leichthin, und ein spöttisches Lächeln      zuckte um ihre Mundwinkel<supplied>.</supplied></p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0027] und immer bei ihren Brüdern wohnen, deren Art zu quälen sie doch wenigstens kenne, sagt sie, und von denen sie keine Ueberraschung mehr zu befürchten habe. Donna Ersilia wollte die Rückkunft des abwesenden Mädchens abwarten, und die Bäuerin ließ es sich nicht nehmen, den seltenen Besuch zu bewirthen. Armuth schadet nicht der Artigkeit, so entschuldigte sie sich mit dem toscanischen Sprichwort, lud die Gäste ein, ins Haus zu treten, und holte schönes Weißbrot, Trauben, Feigen, einen Masco Landwein, zündete auch auf dem Herde ein Reisigfeuer an, um Kastanien zu rösten. Die Signora griff aus Höflichkeit zu, der Signor Germanico aber ließ sich's mit deutscher Gründlichkeit schmecken in dem reinlichen Gemach, welches, Küche und Wohnstube zugleich, hoch, hell, mit dem rothen, geplätteten Fußboden, dem breiten Webstuhl in der Mitte und dem gewaltigen, vollbauchigen, schöngehenkelten Oelkrug in der Ecke von homerischer Luft erfüllt zu sein schien. Und nun kam die anmuthige Nymphe Gigia, grüßte freundlich und blieb so wenig als ihre Mutter der fragelustigen Dame eine Antwort schuldig. Bald hatte diese das Gespräch so gewendet, daß sie, ohne befremdliche Neugierde zu zeigen, das Mädchen ausforschen konnte: Ihr müßt auch den Maso kennen, den Maso Nencioni von Valtella. Ja, sie nennen ihn den Säugling, erwiderte Gigia leichthin, und ein spöttisches Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:13:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:13:28Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/horner_saeugling_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/horner_saeugling_1910/27
Zitationshilfe: Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/horner_saeugling_1910/27>, abgerufen am 23.11.2024.